Im Rollstuhl kommt Siegfried Lenz zum Hamburger Filmfest, um sich die Premiere „Die Flut ist pünktlich“ anzuschauen. Das intensive Beziehungsdrama basiert auf einer Kurzgeschichte des Autors. Das ZDF wird die Produktion mit Staraufgebot ausstrahlen.
Hamburg. Im Blitzlichtgewitter der Fotografen lässt sich Siegfried Lenz, 87, im Rollstuhl über den roten Teppich beim Hamburger Filmfest schieben. Der Schriftsteller („Deutschstunde“), dunkel gekleidet mit schwarzer Baskenmütze und Schal, erregt am Sonnabend im Passage Kino nahe dem Rathaus mehr Aufmerksamkeit als Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und das Staraufgebot des Fernsehfilms um Jürgen Vogel, Ina Weisse und Nicolette Krebitz.
Im Jahre 1953, noch als junger, von Ernest Hemingway stark beeinflusster Autor, hat Siegfried Lenz die wenige Seiten schmale Geschichte verfasst – weitgehend als Dialog einer Geliebten und ihres Geliebten über den aus dem Watt nicht mehr zurückkehrenden Ehemann.
Regisseur Thomas Berger („Wir sind das Volk“, „Kommissarin Lukas“) schätzt, dass Drehbuchautor André Georgi das Script etwa zu 90 Prozent selber geschrieben, aber sich dabei zu 100 Prozent auf Lenz eingelassen habe.
Scholz bekennt vor der Premiere in einem kurzen Grußwort vor der Leinwand, ein großer Siegfried-Lenz-Fan zu sein: „Er ist ein großartiger Geschichtenerzähler. Ich bin gespannt, wie man aus einem solch kurzen Text wie dieser Kurzgeschichte einen 90 Minuten langen Film machen kann.“ „Die Flut ist pünktlich“ spiegele beeindruckend die Liebe von Lenz zum Meer und zur norddeutschen Landschaft wider.
Dann wird Lenz über die eigens für ihn errichtete Rampe und Bühne vor der Leinwand zum Sprechpult geschoben – ein berührender Moment, die Premierenbesucher erheben sich aus den Kinosesseln und applaudieren dem großen Autor der deutschen Nachkriegsliteratur.
„Meine Damen und Herren, es ist nicht üblich, dass ein Schriftsteller eine veränderte Fassung liest“, beginnt Lenz sein kurzes Grußwort mit leiser Stimme. Er habe aber stets „Bewunderung und Hochachtung“ für die Filmemacher, was sie eingehend, kenntnisreich aus seinen literarischen Vorlagen machten. „Wir wollen sehen, ich wünsche Ihnen eine kurzweilige Unterhaltung.“
„Die Flut ist pünktlich“ ist auf der Leinwand ein 90 Minuten langes Beziehungsdrama geworden, in dem das Meer zum schicksalhaften Element wird. Die subtile Ménage à trois wird von Weisse, Vogel und August Zirner verkörpert. Eine Hauptrolle in dem ruhigen, aber psychologisch sehr intensiven Film auf einer Nordseeinsel spielen die norddeutsche Landschaft und die Nordsee. Viele Szenen wirken, als stünden die von seelischen Konflikten belasteten Protagonisten in Landschaftspostkarten, so schön und so langsam hat Regisseur Berger den Film gearbeitet. Lediglich vier Kamerafahrten habe er gebraucht, betont Berger, in den anderen Szenen ist die Kameraführung starr.
Auch Jürgen Vogel, für den es die erste Lenz-Verfilmung ist, lobt die besondere Atmosphäre des Films. Strandgrass biegt sich im Wind, die Nordsee glitzert in der Sonne, im Hintergrund beeindruckende Wolkenformationen, mal heiter, mal bedrohlich. Immer wieder kreischen Möwen, symphonische Klänge oder Klavierspiel untermalen die Szenen und korrespondieren mit den psychologischen Zuspitzungen. Der Film lebt davon, dass vieles nicht gesagt wird. Die durchweg großartigen Schauspieler müssen oft mit den Augen und ihrer Gesichtsmimik ausdrücken, was sie bewegt. Drehbuchautor Georgi hat zusätzliche Figuren und Handlungsstränge eingefügt, mit schwachen Männern und sehr starken Frauen.
Eine junge Polizistin (sehr überzeugend: Bernadette Heerwagen) will den Tod im Watt aufklären: Ob es ein Unfall, ein Suizid oder ein Verbrechen war. „Eine Super-Drehbuch, eine Superbesetzung“, sagt Vogel.
Gedreht wurde auf den Nordseeinseln Sylt und Rømø sowie an der dänischen Küste und in Hamburg. Die Hamburger Produktion Network Movie verfilmt im Auftrag des ZDF außerdem noch den Lenz-Roman „Der Verlust“ und zudem die „Deutschstunde“ als Neuverfilmung. Der Sendetermin im ZDF für „Die Flut ist pünktlich“ ist noch offen.