Die Karte zeigt, wo die Befürworter leben, wo die Gegner. Die Initiative warnt Vattenfall indes vor einer Blockade des Rückkaufs. Nun müssen alle Seiten mit der Umsetzung des Volkswillen beginnen.
Hamburg. Einen Tag nach dem Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze hat die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ sich zufrieden mit dem knappen Sieg gezeigt. Angesichts der Tatsache, dass die Gegner des Netzrückkaufs das etwa 50-fache an finanziellen Mitteln für Ihre Kampagne aufgewendet hätten, könne man gut mit Ergebnis leben, sagte Initiativen-Sprecher Manfred Braasch. „Wir hoffen aber, dass der Anteil der Hamburger, die die Entscheidung richtig finden in der Zukunft noch über die jetzigen 51 Prozent anwächst“, sagte Braasch. „Denn der Rückkauf der Netze wird sich als gute Entscheidung für Hamburg herausstellen.“
Am Sonntag hatte sich eine Mehrheit von knapp 51 der Hamburger in einem Volksentscheid parallel zur Bundestagswahl dafür ausgesprochen, dass die Stadt die Energienetze vollständig zurückkauft. Sehen Sie hier, in welchen Stadtteilen die Befürworter des Rückkaufs leben und wo dagegen gestimmt wurde.
Diese Stadtteile stimmten für den Rückkauf
Die Initiative löst sich jetzt zwar formal auf, dennoch solle das Thema im öffentlichen Bewusstsein bleiben. Die Schritte zur Rekommunalisierung, die der Senat nun beschreiten werde, würden gleichsam „unter einem Brennglas“ beobachtet. „Der Ball liegt nun im Spielfeld des Senates“, sagte der zweite Vertrauensmann der Initiative, Verbraucherzentralen-Geschäftsführer Günter Hörmann. „Wir alle werden als interessierte Bürger an dem Thema dran bleiben.“
Theo Christiansen von der Diakonie des Kirchenkreises sagte, dass die massive Kampagne der Gegenseite der Volksinitiative möglicherweise sogar genutzt haben könne. „Das Ganze hat etwas von David gegen Goliath bekommen“, so Christiansen.
Die drei Vertrauensleute betonten, dass es angesichts der massiven Werbekampagnen von Vattenfall und der Initiative „NEIN zum Netzrückkauf!“ eine „neue Dimension der Finanzierung“ bei der Volksgesetzgebung gebe. Vattenfall habe nach Schätzungen der Initiatiave zwischen 10 und 20 Millionen Euro für die Kampagnen gegen den Rückkauf aufgewendet. Die Initiative selber habe dagegen lediglich 190.000 Euro zur Verfügung gehabt. Vattenfall wollte sich zu den Ausgaben für die Kampagne bisher nicht äußern. Nach der Gesetzeslage muss eine Volksinitiative ihre Finanzierung offenlegen, ihre Gegenspieler im Kampf um Stimmen bei einem Volksentscheid müssen das nicht.
Der Verein „Mehr Demokratie“ forderte jetzt „alle Beteiligten der Nein-Kampagne auf, die eingesetzten Finanzmittel offen zu legen“. Nur so lasse sich nachvollziehen, „ob und in welchem Ausmaß finanzstarke Interessen versucht haben, Einfluss auf das Ergebnis des Volksentscheids zu nehmen“.
„Wir wollen, dass der Erfolg von Volksentscheiden nicht von der Wirtschaftskraft der Akteure abhängig ist“, sagte Vereinsvorstand Gregor Hackmack. „Zudem muss klar sein, wer Mittel in welcher Höhe für und gegen diesen Volksentscheid eingesetzt hat. Auch wenn die Netzinitiative erfolgreich war, müssen wir aus dem diesem Volksentscheid lernen. Schritt eins ist nun, dass die Öffentlichkeit darüber informiert wird, wie viele Millionen tatsächlich im Spiel waren.“
Initiative: Rekommunalisierung nicht behindern
Die Hamburger Initiative zum Rückkauf der Energienetze hat Vattenfall und E.on nach dem erfolgreichen Volksentscheid aufgefordert, einer Rekommunalisierung nun nicht durch Prozesse im Weg zu stehen. „Wir erwarten und hoffen, dass sie sich in dieser Frage zurückhalten und hier nicht weitere Prozesse auf die Stadt zukommen lassen“, sagte der Sprecher der Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“, Günter Hörmann, am Montag in Hamburg.
Initiativensprecher Manfred Braasch sagte, Vattenfall habe nun in der Tat große Probleme. Schließlich seien die Energienetze das letzte sichere Geschäft gewesen. Dennoch forderte er den schwedischen Staatskonzern auf, Prozesse zu vermeiden. Denn die könnten sich über mehrere Jahre hinziehen, sagte Braasch – wobei jedoch unklar sei, ob sie eine Rekommunalisierung der Energienetze aufschieben können.
Handelskammer enttäuscht vom Ergebnis
„Emotionen haben über die Vernunft gesiegt, die Energiewende wird faktisch aufgehalten, statt sie zu beschleunigen.“ Das ist die Reaktion von Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer auf den Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze. Die Stadt müsse nun ihre bestehende Beteiligung rückabwickeln, ein neues Unternehmen gründen, die Konzession ausschreiben, sich bewerben und dann auch noch, trotz zahlreicher anderer Bewerber, den Zuschlag erhalten. Was dies tatsächlich und auf der Zeitachse bedeutet, sei ungewiss. Zudem sind die von den Energieversorgern zugesagten Investitionen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro jetzt fraglich. Er sei zwar nicht glücklich mit dem Ergebnis, „aber wir sind gute Demokraten, akzeptieren das Ergebnis und haben uns vorgenommen, im Hinblick auf künftige Volksinitiativen daraus zu lernen“, sagte Melsheimer.
SPD will in dieser Woche Fahrplan vorlegen
Nach dem Votum der Hamburger Wähler für einen Rückkauf der Energienetze will die in der Hansestadt alleine regierende SPD noch in dieser Woche einen Fahrplan vorlegen. Bereits am Mittwoch solle die Bürgerschaft die Vorbereitungen treffen, kündigte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel am Montag an. Eile sei nötig, da Anfang Januar die Frist ablaufe, bis zu der die Stadt ihr Interesse am Rückkauf des Stromnetzes bekundet haben müsse.
Zunächst sollen die Versorger E.ON (Gas) und Vattenfall (Strom und Fernwärme) angesprochen werden, ob sie ihre Anteile an den Netzen verkaufen wollen. Da dies „nicht überwiegend wahrscheinlich“ sei, werde die Hansestadt im Anschluss daran eine Gesellschaft gründen, die sich um die Konzessionen bewerben solle, erläuterte Dressel. In den kommenden Jahren laufen die Nutzungsrechte für die Energienetze aus und müssen neu vergeben werden.
Das sagen Parteien und Organisationen zum Volksentscheid
Unterdessen gratulierte der Landesverband von Mehr Demokratie e.V. der Netzinitiative zum erfolgreichen Volksentscheid und zollte auch der „NEIN Kampagne“ Anerkennung für das respektable Ergebnis. Auch die Fraktion „Die Linke“ in der Hamburgischen Bürgerschaft nannte den Volksentscheid einen „großen Erfolg für die direkte Demokratie in Hamburg“.
Jetzt müsse der Senat gezwungenermaßen den Volkswillen umsetzen. Die Fraktionsvorsitzende der Linken Dora Heyenn erklärte: „Wir werden in der Bürgerschaft sehr genau darauf achten, wie die Ausschreibung gestaltet wird. Ein öffentliches Unternehmen muss eine faire Chance bekommen, den Zuschlag zu erhalten.“ Dazu bedürfe es umgehend einer Einladung an die Volksinitiative, fordert Heyenn.
Zum Ergebnis des Volksentscheides erklärt Dietrich Wersich, Vorsitzender der CDU-Bürgerschaftsfraktion: „Wir respektieren das Ergebnis des Volksentscheids zum Netzrückkauf, auch wenn es eine große Belastung für die Zukunft Hamburgs wird. Das Resultat ist aber auch eine schwere Niederlage für Bürgermeister Scholz.“ Die SPD sei in dieser Frage offenbar viel tiefer gespalten, als es der Bürgermeister zugegeben hat.
Trotz der klaren Haltung der CDU und vieler wichtiger Hamburger Institutionen, seien offenbar viele SPD-Anhänger ihrem Bürgermeister nicht gefolgt. „Wenn man wie die SPD jahrelang mehr Staat propagiert und mehr staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft will, kann man die eigenen Anhänger nicht mal eben mit einer Werbekampagne vom Gegenteil überzeugen. So gesehen ist Olaf Scholz an sich selbst gescheitert“, sagte Wersich.
Aber auch fast drei Jahre Energiepolitik des SPD-Senats sind komplett misslungen. Der Bürgermeister habe ohne Not angekündigt, alle Verträge rückabzuwickeln. Statt die Versorgung zu gewährleisten und die Energiewende voranzutreiben, habe Olaf Scholz Hamburg in ein Energiechaos geführt, so der CDU-Fraktionschef.
Beim Volksentscheid zur Rekommunalisierung der Energienetze hatte sich am Sonntag eine knappe Mehrheit für den Rückkauf entschieden. Nach Auszählung von 1677 von 1686 Wahlbezirken kamen die Befürworter auf 440.690 Stimmen, was 50,9 Prozent entspricht. Die Gegner schafften 425.446 Stimmen oder 49,1 Prozent. Ihrer Meinung nach hätte es ausgereicht, wenn die Stadt bei ihren 25,1-Beteiligungen an den Strom-, Gas- und Fernwärmenetzen von Vattenfall und Eon geblieben wäre und sich nicht weiter engagieren würde.