Bürgermeister Olaf Scholz: „Senat sieht sich dem Votum verpflichtet.“ Nach bisherigen Auszählungen wollen Hamburger Rückkauf der Energienetze. Braasch sieht „klaren Auftrag“ an die Politik.
Hamburg. Die Hamburger wollen ihre Energienetze wieder vollständig in die Hand der Stadt zurückführen. Das zeichnet sich nach der Auszählung von mehr als 80 Prozent der Stimmen bei einem entsprechenden Volksentscheid ab. Danach stimmte die Mehrheit der Teilnehmer für den Vorschlag der Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“, nach dem die Stadt sich um den Erwerb der Netze bemühen soll. Nach aktuellen Zahlen des Landeswahlamtes stimmte 419.010 Hamburger für den vollständigen Rückkauf der Netze. Das sind 50,9 Prozent. 404.029 (49,1 Prozent) stimmten dagegen. Bisher sind 1.604 von 1.686 Stimmbezirken ausgezählt.
Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagte zum Ergebnis des Volksentscheids: Volksentscheide sind Abstimmungen über Sachfragen, und in dieser Frage hat das Volk anders entschieden als Senat und Bürgerschaft zuvor. Die Bürger haben sich im Volksentscheid für den vollständigen Rückkauf ausgesprochen. Diesem Votum sieht sich der Senat verpflichtet. Der Senat habe Vorsorge für diesen Fall getroffen, so Scholz. Bei der Vorstellung seiner energiepolitischen Vereinbarungen und auch darüber hinaus habe er wiederholt betont, dass er einen Volksentscheid über den vollständigen Rückkauf der Versorgungsnetze für Strom, Gas und Fernwärme nicht ins Leere laufen lassen werde. „Der Senat hält seine Zusage ein“, so Scholz.
Andreas Dressel will ab Montag Voksentscheid umsetzen
Hamburgs SPD-Fraktionschef Andreas Dressel hat die Niederlage der Rekommunalisierungsgegner beim Volksentscheid eingeräumt. „Mehrheit ist Mehrheit und wir sind gute Demokraten. Deshalb werden wir uns selbstverständlich daran halten“, sagte Dressel am Sonntagabend. Er gratuliere der Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“. Nach der Auszählung von mehr als 80 Prozent der Stimmen votierte die Mehrheit für den Vorschlag, nach dem die Stadt sich um den Erwerb der Energienetze bemühen soll. Gegen 22.00 Uhr lagen die Befürworter mit rund 10 000 Stimmen vorn, nach Prozenten mit 50,7 gegen 49,3.
Bereits am Montag werde er seiner Fraktion einen Fahrplan zum Rückkauf der Energienetze vorlegen, der bereits am Mittwoch von der Bürgerschaft beschlossen werden soll, sagte Dressel am Sonntag im Hamburger Rathaus. Schließlich ende bereits Mitte Januar die Interessenbekundungsphase für das Stromnetz.
Manfred Braasch, Vertrauensmann der Initiative sagte dem Abendblatt: Manfred Braasch: „Das ist ein Meilenstein für die direkte Demokratie, weil wir die Mehrheit in Hamburg hinter uns haben – trotz massiver Medienkampagne mit millionenschwerer Anzeigenkampagne und einem Bündnis aus Wirtschaft und Politik. Wir haben vor drei Jahren angefangen mit einem klaren Auftrag an Bürgerschaft und Senat, die Netze zurückzukaufen. Dafür haben wir heute in Hamburg eine Mehrheit bekommen. Wir erwarten, dass dieser klare politische Auftrag auch umgesetzt wird."
Vattenfall rechnet sich gute Chancen für Stromnetz-Konzession aus
Auch nach dem erfolgreichen Volksentscheid in Hamburg für den Rückkauf der Energienetze rechnet sich der Energiekonzern Vattenfall gute Chancen aus, die Konzession für das Stromnetz wieder zu bekommen. „Wir nehmen das Votum der Hamburger mit Respekt zur Kenntnis“, sagte der deutsche Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka in der Nacht zu Montag. „Unabhängig vom Volksentscheid wird die Stromnetz Hamburg GmbH in den kommenden Wochen mit Hochdruck die Bewerbungsunterlagen für das Konzessionsvergabeverfahren vorbereiten.“ Die Vattenfall-Mitarbeiter hätten in den vergangenen Jahren hervorragende Arbeit geleistet. Das zeige auch die hohe Versorgungssicherheit in Hamburg.
Umweltsenatorin Blankau: Volksentscheid kein Rückschlag
Hamburgs Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD) sieht in einer Niederlage der Rekommunalisierungsgegner beim Volksentscheid keine Niederlage für den Senat. „Ein Rückschlag für den Hamburger Senat ist das nicht“, sagte Blankau am Sonntagabend im Hamburger Rathaus. Es sei klar gewesen, dass es in dieser Frage zwei deutlich abweichende Auffassungen in der Stadt gebe – es hätte daher auch knapp anders ausgehen können. Zuvor hatte sich nach Auszählung von mehr als 90 Prozent der Stimmen eine Mehrheit für den Vorschlag ausgesprochen, nach dem die Stadt sich um den Erwerb der Energienetze bemühen soll – Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und seine Partei hatten sich dagegen positioniert.
Hamburger Industrie: Kein guter Tag für Hamburg
Das Aktionsbündnis „Nein zum Netzkauf“ hat enttäuscht auf den wahrscheinlichen Ausgang des Hamburger Volksentscheids reagiert. „Das ist kein guter Tag für die Zukunft unseres Standorts“, sagte Michael Westhagemann, Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH) und Sprecher für das Aktionsbündnis aus 15 Kammern, Verbänden und Vereinen. Auf Hamburg werde nun eine lange und riskante Phase mit Planungsunsicherheit zukommen. Er erwarte langwierige politische und juristische Verfahren und möglicherweise negative Auswirkungen auf das allgemeine Investitionsklima in der Stadt.
Auch das Hamburger Handwerk erklärte, es sehe diese Entscheidung mit großer Sorge. „Nach dem Volksentscheid bleibt völlig unsicher, ob die Stadt Hamburg die anstehende Ausschreibung gewinnen und die Netze zurückkaufen kann“, sagte Josef Katzer, Präsident der Handwerkskammer. Die Wirtschaft sei aber auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen. Am späten Sonntagabend zeichnete sich eine knappe, aber klare Mehrheit für die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ ab. Eine offizielle Bestätigung durch das Landeswahlamt steht noch aus.
Hamburgs Spitzenpolitiker haben sich beim Abendblatt zum Volksentscheid geäußert. In der Elefantenrunde, die bei abendblatt.de live zu sehen war, waren Dietrich Wersich (CDU) und Co. aber noch vorsichtig mit ihren Bewertungen. Sehen Sie noch einmal das komplette Video der Diskussionsrunde.