Bis zum Jahr 2015 laufen noch Hunderte Konzessionen für deren Betrieb aus. Die Kommunen hoffen auf mehr Geld, mehr Demokratie und mehr Umweltschutz. Die Erfahrungen und Situation der anderen.
Hamburg. Wenn am 22.September die Hamburgerinnen und Hamburger über die einhundertprozentige Rekommunalisierung der Energienetze entscheiden, werden viele Kommunen Deutschlands sehr genau auf den Ausgang des Volksentscheids achten. Die Idee, die einst privatisierte Strom-, Gas- und Fernwärmeversorgung zurückzukaufen, hat Hochkonjunktur und treibt seit sechs, sieben Jahren eine Vielzahl deutscher Kommunen um.
Der Grund: Bis zum Jahr 2015 laufen deutschlandweit noch mehrere Hundert Konzessionsverträge aus. Die Kommunen müssen also entscheiden, ob sie in den kommenden zehn oder gar 20 Jahren weiter auf einen privaten Betreiber setzen oder erneut selbst die Verantwortung übernehmen wollen.
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) beziffert die Zahl der seit 2007 neu gegründeten Stadtwerke auf mehr als 60. In mehr als 170 Fällen sei die Konzession für die lokalen Energienetze wieder an einen kommunalen Anbieter vergeben worden. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie stellte in einer im April dieses Jahres erschienenen Studie denn auch fest: Viele kommunale Entscheidungsträger wollten „die mit eigenen Stadtwerken verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten stärker nutzen“.
Hamburg und Berlin – in der Bundeshauptstadt können die Bürger am Tag der Bundestagswahl über den Rückkauf des Stromnetzes entscheiden – sind prominente Beispiele für den aktuellen Trend zur Reprivatisierung. Warum aber versuchen Kommunen seit einigen Jahren, ihr „Tafelsilber“ zurückzukaufen? „Wer die Netze hat, hat die Macht“, sagte Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung unlängst in einem Interview mit der „tageszeitung“.
Christof Schorsch und Jessica Faber von der Berliner LBD-Beratungsgesellschaft sehen einen wichtigen Grund in den den Veränderungen auf dem Energiemarkt. Die Zeiten, in denen die über ein Monopol verfügenden Stadtwerke Jahr für Jahr Gewinne erwirtschafteten, sind längst vorbei. Daher versuchten Stadtwerke vermehrt, durch eine Übernahme von Energieversorgungsnetzen sinkende Erträge in ihrem Stammgeschäft auszugleichen.
Zudem seien viele Kommunen mit den bisherigen privaten Netzbetreibern unzufrieden. Das hätten 15 Prozent der Stadtwerke in einer speziellen Studie des finanzwissenschaftlichen Lehrstuhls der Universität Leipzig angegeben, schreiben Schorsch und Faber. So flossen nach der Privatisierung erwirtschaftete Gewinne und Steuern aus der Region ab. Hinzu erlebten vor allem kleinere Kommunen einen Verlust an wirtschaftlicher Bedeutung.
Als häufigstes Rekommunalisierungsziel – 61 Prozent – hätten die Stadtwerke die „Wahrung des kommunalen Einflusses“ angegeben, schreiben Schorsch und Faber. „Wichtige Entscheidungen werden nun nicht mehr in Düsseldorf, sondern in Erfurt getroffen“, verkündete Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig, nachdem im Februar dieses Jahres der Kommunale Energiezweckverband Thüringen (KET) – das ist ein Zusammenschluss von rund 400 Kommunen – die Mehrheit der E.ON Thüringer Energie AG übernommen hatte.
Von größerer Bedeutung für die Kommunen dürfte aber die Hoffnung auf finanzielle Mehreinnahmen sein. Die Neustrukturierung des Energiemarkts biete „ein beachtliches ökonomisches Potenzial für Kommunen und Bürger“, erklärte Machnig in einem Magazinbeitrag und verwies darauf, dass in seinem Bundesland von den 878 Kommunen Ende vergangenen Jahres 152 Gemeinden in finanzieller Not waren.
Auch Dresden ist seit einigen Jahren wieder Herr über die eigenen Netze für Strom, Gas, Fernwärme und Wasser. Die Technischen Werke Dresden GmbH kaufte 2010 von der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) die GESO-Energieholding AG. „Selbstverständlich erwarte ich mittelfristig auch sehr positive Effekte für die Einnahmen im städtischen Haushalt“, erklärte Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz nach Unterzeichnung des Kaufvertrages.
Dass die Hoffnung auf Zusatzeinnahmen trügerisch sein kann, belegt eine Aufstellung des Hamburger Industrieverbands IVH, der gegen einen Rückkauf der Netze in der Hansestadt Position bezieht. Danach hat die 2007 gegründete Enercity Netzgesellschaft mbH in Hannover im vergangenen Jahr einen Verlust von 36,1 Millionen Euro erwirtschaftet. Die Stadtwerke Leipzig Netz GmbH blieb 2012 auf einem Verlust in Höhe von 7,6 Millionen Euro sitzen.
Allerdings, das gehört zur ganzen Wahrheit, gibt es auch ökonomisch erfolgreiche Stadtwerke. Die Stadtwerke Düsseldorf Netz GmbH beispielsweise überwiesen im vergangenen Jahr an die Stadt und ihren privaten Teilhaber, die EnBW, 18,6 Millionen Euro. Die NRM Netzdienste Rhein-Main GmbH, sie versorgt Frankfurt/Main, Hanau und das Umland, erwirtschaftete ein positives Jahresergebnis in Höhe von rund 6,5 Millionen Euro.
Jochen Homann, Chef der Bundesnetzagentur, sieht das Schielen der Kommunen auf zusätzliche finanzielle Einnahmen kritisch. „Das Netz braucht Investitionen und ist kein Goldesel, mit dem man Theater, Schwimmbäder oder Kitas finanziert“, sagte Homann in einem Anfang der Woche erschienenen Interview des Berliner Tagesspiegels. „Ich möchte den Netzbetreiber, der das am effizientesten macht.“
In Zeiten der Energiewende wächst unter den Bürgern das Bedürfnis, bei diesem Thema mehr mitreden und mitgestalten zu können. Vor allem in Süddeutschland arbeiten Bürgerinitiativen, die hoffen, dass durch kommunale Unternehmen der Umstieg auf die Produktion erneuerbarer Energien aus Photovoltaik- oder Windkraftanlagen leichter und schneller realisiert werden kann.
Baden-Württembergs Landeshauptstadt Stuttgart und Konstanz planen beispielsweise „bürgernahe Stadtwerke“, die regenerative Energie anbieten sollen. Wie Daniel Khafif vom Themenportal enquery.de schreibt, wollen die Stadtwerke in Konstanz bis zum Jahr 2020 gänzlich aus der Atomenergie aussteigen.
Die nordrhein-westfälische Gemeinde Wachtendonk ist ein gutes Beispiel dafür, dass kommunale Stadtwerke eine moderne Energieversorgung vorantreiben können. Im Juli 2010 vergab die Gemeinde die Konzession zum Betrieb des Stromnetzes an die Stadtwerke Krefeld und entschied sich gegen den bisherigen privaten Betreiber.
Inzwischen ist die 8000-Einwohner-Gemeinde am Niederrhein zu einem Modellstandort für die Energiewende geworden. In Zusammenarbeit mit Siemens bauen die Stadtwerke das örtliche Stromnetz zu einem sogenannten Smart Grid um. Damit soll die Praxistauglichkeit eines intelligenten Stromnetzes geprüft werden. Wachtendonk bot sich an, weil hier der Anteil regenerativer Energien mit 80 Prozent hoch ist. Rund die Hälfte des Stroms stammt aus Windkraftanlagen, ein Drittel aus der Photovoltaik und Kraft-Wärme-Kopplung.