Immer mehr Flüchtlinge kommen in die Hansestadt. Ihre Unterbringung überfordert die Behörden. Nach monatelanger Suche greifen sie nun zu Notlösungen. Am Dienstag werden Container aufgestellt.

Wenn Bettina Prott durch Hamburg fährt, schaut sie mit anderem Blick auf die Stadt als die meisten Menschen. An Bahndämmen fällt ihr brachliegendes Gelände ins Auge, leer stehende Bürogebäude in Nebenstraßen erregen ihr Interesse und ein womöglich nicht mehr genutztes Schulgebäude lässt sie fast schon jubeln.

Doch solche Momente sind mittlerweile rar; freie Flächen und Gebäude, die für die Unterbringung von Flüchtlingen geeignet wären, gibt es – auch wegen der Wohnungsbauoffensive des Senats – immer seltener.

Und wenn die Leiterin der Abteilung für öffentliche Unterbringung und Wohnungslosenhilfe in der Sozialbehörde sich ein Objekt anschaut, das tatsächlich als Flüchtlingsunterkunft infrage kommen könnte, dann existiert fast immer irgendein Hindernis:

Der Brandschutz entspricht nicht den Vorgaben, die Modernisierung der Sanitäranlagen wäre viel zu teuer, der Boden ist kontaminiert oder die Nachbarn sind schon auf dem Sprung auf die Barrikaden.

Um ihre Aufgabe ist Bettina Prott kaum zu beneiden. Einen Stein den Berg hochzurollen, dürfte einfacher sein.

Flüchtlinge strömen nach Hamburg

Bis zum Jahresende 2013 werden laut Schätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge rund 2600 neue Zuwanderer Hamburg erreicht haben. Die Menschen kommen aus Syrien und Nordafrika, aus Tschetschenien und vom Balkan, aus dem Iran und Afghanistan.

Und auf mittlere Sicht könnten es sogar sehr viel mehr werden als bisher angenommen. „Angesichts der Entwicklung, die sich im arabischen Raum abspielt, kann man erwarten, dass die Flüchtlingsströme noch ansteigen werden“, glaubt Jörn Axel Kämmerer, Professor für Verfassungs-, Völker- und Europarecht an der Bucerius Law School.

Er denkt an die Situation beispielsweise in Ägypten. Wenn sich die Lage in diesem bevölkerungsreichsten arabischen Land, in dem mehr als 80 Millionen Menschen leben, noch weiter zuspitze, könnten viele Ägypter ihre Heimat verlassen.

Die Zuwanderer aus aller Welt stellen Hamburg vor eine gewaltige Herausforderung, und sie bringen den Senat in ein Dilemma. Denn schon jetzt fehlen in der Stadt Flüchtlingsunterkünfte, dabei bietet das städtische Unternehmen „fördern & wohnen“ 8800 Plätze in 60 Einrichtungen an.

Mühsame Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten

Aber viele Heime sind restlos ausgelastet oder sogar überbelegt. Seit die Flüchtlingszahlen nach einem zwischenzeitlichen Rückgang im vergangenen Jahrzehnt wieder drastisch ansteigen, bemüht sich die Stadt, weitere Plätze zu schaffen.

Ende 2011 hatte Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) die Zahl von 1000 zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten als Ziel genannt. In seiner Behörde kursieren lange Listen mit möglichen Objekten, die die Bezirke oder die Wohnungsbauunternehmen gwg und Saga, „fördern & wohnen“, die Sprinkenhof AG oder die Schulbehörde vorgeschlagen haben.

Jede Möglichkeit wird geprüft. Doch hier entspricht die 1960 erbaute Schule nicht dem geforderten Standard für Wohnraum, dort wäre der Austausch von belastetem Boden zu teuer und am dritten Ort verzögern Anwohner das Genehmigungsverfahren mit ihren Einwänden.

Erfolg ist mühsam, und bei ihren kleinen Fortschritten wird die Behörde regelmäßig vom wachsenden Anstieg der Flüchtlingszahlen überholt.

So war das Ziel von 1000 neuen Plätzen noch nicht ganz zur Hälfte erreicht, als Sozialsenator Scheele im Frühsommer noch einmal nachlegen musste. Nun sollen bis Ende 2014 insgesamt 1900 zusätzliche Plätze gefunden werden.

Dringlichkeit der Lage treibt zu Notlösungen

In der Behörde ist man immerhin zuversichtlich, dass bis zum Ende dieses Jahres 1000 der Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Auch wenn immer wieder Menschen die Heime verlassen: Bei 2600 neuen Flüchtlingen im Jahr reichen die Plätze bei Weitem nicht aus.

Mittlerweile ist der Druck so groß, dass die Behörden schnelle Lösungen finden müssen. Viele von ihnen sind Notbehelfe, die die Dringlichkeit der Lage deutlich machen, man könnte auch sagen: die Verzweiflung.

In der vergangenen Woche wurden acht Zelte zur Erstaufnahme von bis zu 100 Menschen auf dem Parkplatz vor der Imtech-Arena am Volkspark aufgestellt. Dort, wo sonst die Fans des HSV bei Heimspielen ihre Autos abstellen, sollen künftig Flüchtlinge übernachten.

Weil die Aufnahmekapazität der Unterkunft an der Sportallee mit mehr als 500 Flüchtlingen restlos ausgeschöpft ist, sollen neu ankommende Zuwanderer nun Obdach in den Zelten an der Arena finden – zunächst übergangsweise bis zum Winter.

Zentrale Aufnahmestelle völlig überfüllt

Langfristig sind Container für bis zu 300 Menschen geplant, die Schutz vor Kälte bieten. Die Containerwohnanlage an der Schnackenburgallee in Altona wird von 112 auf 300 Plätze aufgestockt.

In der völlig überfüllten Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA), in der die Zuwanderer zunächst untergebracht werden, müssen 100 Menschen derzeit an der Sportallee in Groß Borstel in Zelten leben. In Langenhorn soll ein Jugendpark zur Asylbewerberunterkunft werden.

An diesem Dienstag nun werden auf einem Parkplatz nahe Hagenbecks Tierpark in Lokstedt 66 Container für 200 Flüchtlinge errichtet, auf einem Park&Ride-Parkplatz, der eigentlich Pendlern dient. Schon vorsorglich warb Bezirksamtsleiter Torsten Seveke „angesichts des menschlichen Elends der Flüchtlinge“ um Verständnis.

Weitere Standorte wie am Staatsarchiv in Wandsbek sind in der Diskussion. In der Notlage prüfe man alles, was möglich sei, heißt es aus der Sozialbehörde. Dazu zählen übrigens auch Flüchtlingsschiffe, wie sie lange Jahre in Neumühlen am Elbufer lagen.

Ein Containerdorf kann Angst machen

Als Notlösung wirken viele der jetzt beschlossenen Containerdörfer auch deshalb, weil sie gegen eine Grundregel verstoßen, über die sich Flüchtlingsorganisationen und Experten einig sind: Kleinere Einheiten sind sehr viel besser als große Unterkünfte für mehrere Hundert Menschen.

Sie machen nicht nur das Leben für die Flüchtlinge erträglicher und friedlicher, sie stoßen auch bei den Nachbarn auf mehr Akzeptanz. Die Ansiedlung von 40 oder 50 Zuwanderern im eigenen Viertel finden viele Menschen okay.

Ein Containerdorf für 200 oder 300 Fremde hingegen kann Angst machen. Die größte Unterkunft in der Hansestadt bietet in ehemaligen Saga-Häusern in Billstedt Platz für 650 Menschen. Nach der reinen Lehre sind solche Großlösungen eigentlich nur die Ultima Ratio. Doch die Sozialbehörde ist derzeit froh über jedes Angebot, das sie machen kann.

Im Moment fehlen bis Jahresende 600 bis 700 Plätze. Und das, obwohl von November an 40 neue Plätze an der früheren Schule Sandwisch, 60 Plätze an einer ehemaligen Schule am Oststeinbeker Weg, 120 Plätze in Pavillons am Poppenbüttler Weg und 100 Plätze am Wasserwerk in Curslack bereitstehen sollen.

Die Konkurrenz um die Flächen ist auch wegen des Wohnungsbaus größer geworden, die rechtlichen Standards wurden erhöht. Zudem regt sich oft in der Nachbarschaft Widerstand, wenn Flüchtlinge angesiedelt werden sollen.

Vor der eigenen Haustür hört die Solidarität auf

Dahinter steht aber nicht nur das St. Florian-Prinzip, das frei übersetzt bedeutet: Solidarität mit Flüchtlingen ja, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür. Die Lasten würden innerhalb der Stadt ungleich verteilt, lautet vielfach die Kritik, und sozial ohnehin belasteten Stadtteilen zusätzlich noch weitere Flüchtlingsheime aufgebürdet.

Verfassungsrechtler Kämmerer sieht das Hamburger Problem im Zusammenhang der gemeinsamen EU-Asyl- und Einwanderungspolitik. Die meisten Asylbewerber kämen über die Staaten Südeuropas in die EU. „Deutschland hat ein wohlverstandenes Interesse daran, beispielsweise Italien dabei zu unterstützen, diese Außengrenzen besser zu sichern“, sagt er.

Die Flüchtlinge hätten zum großen Teil keine Chance, in Europa das zu finden, was sie sich erhofften. Deshalb müsse man sehr viel früher ansetzen, um den Flüchtlingsstrom zu begrenzen: Durch Verbesserungen in den Heimatländern der Menschen und eben durch eine stärkere Sicherung der Grenzen.

„Das europäische Recht hält dafür eine Vielzahl von Möglichkeiten bereit. Mit Einwilligung der Mittelmeerstaaten ist auch polizeiliche Amtshilfe vor Ort denkbar“, sagt Professor Kämmerer. „Wenn Deutschland diesen Teil des Problems ignoriert, darf es sich nicht beklagen, wenn immer mehr Menschen zu uns kommen.“