Exklusiv-Interview über ihre Hamburger Stiftung „Children for Tomorrow“, über Werte und die Kinder.
Sie will Kindern, die von Krieg, Gewalt und Vertreibung geprägt sind, eine Zukunft geben. Deswegen hat die ehemalige Tennisspielerin Stefanie Graf vor 15 Jahren in Hamburg ihre Stiftung „Children for Tomorrow“ gegründet. In Hamburg, Kosovo, Eritrea und Uganda unterhält die Stiftung Einrichtungen zur psychotherapeutischen Versorgung der betroffenen Kinder. Der Stiftungssitz steht mitten auf dem Gelände des UKE. Bei einem Sommerfest ihrer Stiftung gab sie dem Hamburger Abendblatt ein exklusives Interview über ihre Arbeit. Stefanie Graf ist mit dem ehemaligen Tennisspieler Andre Agassi verheiratet, mit ihm hat sie die beiden Kinder Jaden, 11, und Jaz, 9. Die Familie lebt in Las Vegas. Wenn die 44-Jährige heutzutage noch Tennis spielt, dann überwiegend, um Geld für ihre Stiftung zu sammeln.
Hamburger Abendblatt: Sie könnten sich zurücklehnen und ihr Familienleben genießen. Fühlen Sie als ehemaliger Tennisstar eine Verpflichtung, sich zu engagieren?
Stefanie Graf: Ich fühle mich in erster Linie als Mensch dazu verpflichtet, anderen zu helfen. Dank meiner Sportkarriere bin ich allerdings viel in der Welt herumgereist und habe einen großen Weitwinkel bekommen. Und ich habe gelernt, dass ich dank meiner Karriere mehr Möglichkeiten als andere habe, auf die Probleme und Nöte von Kindern aufmerksam zu machen. Schon als Teenager engagierte ich mich für andere Stiftungen. Da war es zur Gründung meiner eigenen Stiftung eigentlich nur noch ein kleiner Schritt.
Sie haben vor 15 Jahren „Children for Tomorrow“ gegründet. Warum haben Sie die Stiftung ausgerechnet in Hamburg aufgebaut und warum für traumatisierte Flüchtlingskinder?
Graf: Ich war ja einige Male für Turniere in Hamburg und habe hier gute Freunde. Bei meinen Besuchen habe ich den Kinderpsychiater Prof. Riedesser kennengelernt, einen sehr charismatischen Mann, der sich leidenschaftlich für die Schicksale von Flüchtlingskindern engagierte. Er hat mir viel von den Erlebnissen, Symptomen und Entwicklungen dieser Kinder erzählt, und bei meinem nächsten Aufenthalt in Hamburg begleitete ich ihn auf seine Station. Schon der erste Besuch hat tiefe Spuren bei mir hinterlassen. Viele Kinder konnten mir nicht in die Augen schauen, sprachen nicht, waren ganz verschlossen und in ihrer eigenen traumatischen Erfahrungswelt gefangen. Die Kriegserlebnisse hatten bei ihnen so tiefe Wunden gerissen, dass sie die Möglichkeit verloren hatten, diese schrecklichen Bilder zu verarbeiten und darüber zu sprechen. Eine auf diese Kinder spezialisierte Psychotherapie kann ihnen jedoch helfen und ihnen wieder die Hoffnung auf eine gesunde Zukunft geben. Mir war schnell klar, dass ich diese Arbeit darum unterstützen wollte. 1998 haben wir gemeinsam die Stiftung gegründet, und mittlerweile bieten wir psychotherapeutische Hilfe für junge Kriegsopfer über Hamburg hinaus auch in Kosovo, Uganda und Eritrea an.
Besuchen Sie Ihre Projekte regelmäßig?
Graf: In meiner Stiftung bin ich vier-, fünfmal im Jahr und besuche regelmäßig unsere Projekte. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Besuch in Kapstadt. In einem Kinderheim sah ich ein Kind, ein kleines Mädchen, das von seinen Eltern auf die Mülldeponie geworfen wurde. Die Eltern waren so arm, dass sie dieses Mädchen nicht mehr durchbringen konnten, und sie warfen es auf die Mülldeponie zum Verbrennen. Das Mädchen hatte schwerste Brandwunden am Körper und lächelte mich an. Dieses Bild werde ich nie vergessen. Sehr oft zeigen die Kinder, die die schlimmsten Erlebnisse durchmachen mussten und für die Gewalt schon zur Normalität geworden ist, trotzdem noch ein Lächeln. Das ist ganz erstaunlich und auch ermutigend, denn es zeigt, dass ihre Seelen nicht verloren sind, sondern dass sie Hoffnung haben. Umso wichtiger ist es, dass wir uns ihrer annehmen und ihre Wunden heilen.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie aus solchen Ländern nach Hause zurückkommen?
Graf: Natürlich nehme ich diese Bilder alle mit nach Hause und bin oft noch sehr lange emotional angeschlagen. In Eritrea habe ich Mütter erlebt, die sich nicht um ihre Kinder kümmern können, da wickeln Fünfjährige Babys. Die Kinder sind dort oft vollkommen sich selbst überlassen. Das tut weh, gerade auch mir als Mutter. Im Kosovo habe ich Familien kennengelernt, in denen kein männliches Familienmitglied mehr da war – sie waren alle ermordet oder vermisst. Ich fühle mich dann nach meinen Reisen oft ohnmächtig angesichts dieses gewaltigen Berges an furchtbaren Bildern. Ich muss mir dann immer wieder sagen, wir können eben nur in dem kleinen Umfeld helfen, wo wir aktiv sind.
Haben Sie viel Kontakt mit den Flüchtlingskindern in Hamburg?
Graf: Wir hatten im April hier unseren Stiftungstag und viele Kinder eingeladen, die in unserer Flüchtlingsambulanz behandelt werden. Ein 16-jähriges Mädchen aus Afghanistan kam auf mich zu und wollte mir unbedingt ein Werk aus seiner Kunsttherapie zeigen. Als wir über ihr Bild sprachen, erzählte sie mir ihre Geschichte: Sie war mit ihrem sechs Monate alten Baby und ihrem Cousin von der Familie per Schiff nach Deutschland geschickt worden. Auf dem Schiff hat sie ihr Baby und ihren Cousin verloren. Sie wollte nicht mehr leben, als sie hier war. Doch durch die Therapie hat sie wieder Hoffnung bekommen und möchte nun Krankenschwester werden, weil sie gemerkt hat, dass sie damit anderen helfen kann.
Ist so etwas nicht auch sehr tröstlich, wenn man zwar nur ein oder zwei Menschen geholfen hat, aber die haben jetzt wieder eine Zukunft?
Graf: Tröstlich? Ich fühle in dem Moment eher Dankbarkeit, dass wir diesem Mädchen helfen konnten. Aber dann überkommt mich sofort wieder die Unruhe, noch mehr tun zu müssen, und dieses Gefühl hält lange an. Jede positive Schicksalswendung eines Kindes ist ein kleiner Etappensieg, der mich dankbar macht und motiviert. Aber tröstlich wäre es, weltweit allen Kindern, die unsere Hilfe brauchen, auch helfen zu können. Wir sind, wie viele andere Stiftungen, nie am Ziel.
Sie geben Geld für die Stiftungsprojekte. Inwieweit sind Sie auch inhaltlich an den einzelnen Programmen beteiligt?
Graf: Ich telefoniere alle paar Tage mit meiner Stiftung. Wir haben in der Ambulanz ein Team von Ärzten und Therapeuten, die auf Traumatherapie spezialisiert sind. Auf ihre Expertise kann ich vertrauen. Das Team macht mir Vorschläge, wie wir unsere Arbeit weiter ausbauen und verbessern können, und wir überlegen dann gemeinsam, wie wir diese Bedingungen möglichst langfristig ermöglichen können.
Gibt es für Sie ein Ziel, was Sie in den nächsten 15 Jahren mit Ihrer Stiftung erreichen möchten?
Graf: Vor kurzem hat die UNHCR erschreckende Zahlen veröffentlicht: Die Zahl der Flüchtlinge ist mit 45 Millionen auf dem höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten. Davon sind 46 Prozent Kinder und Jugendliche. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich unser Wunsch, diesen überwältigenden Nöten so gut wir können entgegen zu wirken. Und mein Wunsch wäre, in Hamburg Ärzte in der Traumatherapie auszubilden, damit sie dann vor Ort Kindern helfen können. Zudem muss jedes Projekt langfristig gesichert sein, denn eine Psychotherapie kann bis zu eineinhalb Jahre dauern.
Wieweit teilen Sie mit Ihren eigenen Kindern die Erlebnisse, die Sie in den Projekten erfahren?
Graf: Ich erzähle ihnen viel von der Stiftung und meinen Erlebnissen aus den Projekten. Sie sind damit vertrauter als mit meiner Karriere als Tennisspielerin. Davon wussten sie bis vor wenigen Jahre gar nichts. Die Stiftungsarbeit ist ihnen einfach vertraut, denn sie sind in ihrem Umfeld auch sozial tätig, sammeln gemeinsam mit der Schule Geld für andere, fürs Tierheim, für Unicef. Und sie sind auch eigenständig aktiv und haben ihre Stiftungen, für die sie sich engagieren. Das ist das Schöne an Amerika, dort wachsen Kinder in einem Bewusstsein für ihr Umfeld auf.
Welche Werte sind Ihnen wichtig, und was möchten Sie Ihren Kindern weitergeben?
Graf: Respekt vor anderen, Empathie. Dass man auf Mitmenschen offen zugeht und sensibel für die Nöte und Bedürfnisse anderer Menschen ist. Und die Bedeutung der Familie. Andre und ich sind sehr glücklich, dass unsere Kinder mit vielen Familienmitgliedern aufwachsen und sie früh gelernt haben, dass man in der Familie füreinander da ist, dass man sich hilft und unterstützt.
Sie betreiben neben der Stiftung noch die Fitness-Kette Mrs. Sporty. Sehen Sie sich eher als Geschäftsfrau oder als Stifterin?
Graf: Als Stifterin ist man natürlich immer auch Geschäftsfrau. Das schließt sich nicht aus, denn auch in Stiftungen muss man wirtschaftlich denken. Aber in erster Linie sehe ich mich heute als Mutter, die wie jede andere Mutter auch versucht, eine gute Balance zwischen Mutterrolle und Geschäften zu halten.
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Die Stiftung
„Children for Tomorrow“ ist eine gemeinnützige Stiftung, die 1998 von Stefanie Graf in Hamburg gegründet wurde.
Die Stiftung initiiert und betreibt in eigener Trägerschaft verschiedene Projekte, die zu einer gesunden Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beitragen, welche Opfer von Krieg, Verfolgung oder anderer Formen organisierter Gewalt geworden sind.
Auf dem Gelände des Universitätskrankenhauses Hamburg-Eppendorf hat „Children for Tomorrow“ seinen Stiftungssitz, in dem die Flüchtlingsambulanz untergebracht ist. Von diesem Headquarter werden auch die internationalen Projekte in Eritrea, Uganda und Kosovo geleitet.
In allen Projekten werden Kinder und Jugendliche mit Psychotherapie, Kunsttherapie und psychosozialen Programmen versorgt, um die seelischen Wunden der jungen Kriegsopfer zu heilen.
Infos: www.children-for-tomorrow.de
Spendenkonto:
Children for Tomorrow
Konto-Nr. 070 7000,
Deutsche Bank, BLZ 200 700 00