Wie steht mein Wahlkreiskandidat zu staatlicher Überwachung, zum Kauf von Steuer-CDs oder Mindestlohn? Auf dem Portal abgeordnetenwatch.de kann der Wähler seine Positionen mit denen seines Lieblingspolitikers vergleichen.
Hamburg. Einen Monat vor der Bundestagswahl hat das unabhängige Internetportal abgeordnetenwatch.de einen Kandidaten-Check mit 24 Thesen zu wahlrelevanten Themen gestartet. Ab sofort können die Wähler ihre Positionen mit denen ihrer Wahlkreiskandidaten vergleichen. Dafür reicht die Eingabe der eigenen Postleitzahl.
„Wir hoffen, dass der Kandidaten-Check rege genutzt wird, so dass am 22. September niemand in das Wahllokal geht und sich noch nicht mit den Erstkandidaten beschäftigt hat“, sagte der Geschäftsführer von abgeordnetenwatch.de, Gregor Hackmack, am Donnerstag. Oftmals sei es leider so, dass die Menschen gerade noch wüssten, welche Partei sie wählen wollten. Wofür jedoch die Kandidaten in ihrem Wahlkreis stünden, wüssten viele nicht. „Wer den Kandidaten-Check durchspielt, lernt die Politiker und ihre Positionen kennen“, sagte Hackmack weiter.
Zu den 24 Thesen wie staatliche Überwachung, Kauf von Steuer-CDs, Energiewende oder Mindestlohn haben bislang 1751 von 2563 Direktkandidaten aus 299 Wahlkreisen ihre Standpunkte abgegeben, darunter die Hamburger Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse (CDU), Burkhard Müller-Sönksen (FDP), Manuel Sarrazin (Grüne) und Jan van Aken (Die Linke). Das entspricht einer Beteiligung unter den Politikern von aktuell 70 Prozent. „Bis zur Bundestagswahl rechnen wir mit einer Mitmachquote von 90 Prozent“, sagte Hackmack. Nach Einschätzung von Sarrazin besteht die Gefahr, „dass wir im Wahlkampf die Themen vergessen“. Nach der Wahl stünden „ziemlich schnell ziemlich enscheidende Fragen“ an. „Ich mache mir relativ große Sorgen, dass dann ziemlich viele Menschen in Deutschland aus einem Traum aufwachen und fragen werden, warum wir ihnen das vorher nicht gesagt haben. Deshalb ist es wichtig, dass ein Projekt wie abgeordnetenwatch.de vor der Wahl Fragen und Themen ins Zentrum rückt“, sagte der Grünen-Politiker. Das gebe den Menschen auch die Gelegenheit, Unterschiede festzustellen.
Das Portal abgeordnetenwatch.de sieht sich als direkten Draht von Bürgern zu Abgeordneten und Kandidaten. Im Kern gehe es um „Bürger fragen - Politiker antworten“. So schaffe der öffentliche Dialog Transparenz und sorge für eine Verbindlichkeit in den Aussagen der Politiker, heißt es auf der Internetseite. Denn alles sei auch Jahre später noch nachlesbar. Zudem sind auf abgeordnetenwatch.de das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten und ihre Nebentätigkeiten öffentlich.
Gegründet von Hackmack und Boris Hekele, waren es 2004 zunächst die Hamburger, die ihre Abgeordneten in der Bürgerschaft auf abgeordnetenwatch.de öffentlich befragen konnten. Zwei Jahre später ging das Portal für den Bundestag an den Start, 2008 folgte das Europaparlament. Von den Bundestagsabgeordneten und den deutschen EU-Parlamentariern haben sich bis zu den Wahlen 2009 gut 90 Prozent auf den Dialog mit den Bürgern eingelassen.
Initiativen wie abgeordnetenwatch.de „machen Politiker empfänglicher für gesellschaftliche Probleme und Bedürfnisse und sorgen damit auch für einen Legitimitätsgewinn der Entscheidungen selbst“, zitiert das Portal die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts a.D. und Schirmherrin des Projekts, Prof. Dr. Jutta Limbach. Bei allem Respekt gegenüber der parlamentarischen Entscheidungshoheit gelte schließlich: alle Staatsgewalt gehe vom Volke aus.
Mit fast 400 000 Besuchern im Monat und etwa vier Millionen Seitenabrufen ist abgeordnetenwatch.de eigenen Angaben zufolge das größte politische Dialogportal Deutschlands. Betrieben wird die Internetseite von dem Verein Parlamentwatch e.V., der sich über Spenden und Förderbeiträge finanziert. Ein Medienbericht hatte das Portal jüngst kritisiert und als "Internetpranger für Politiker" bezeichnet. Zwar schaue abgeordnetenwatch.de den Parlamentariern auf die Finger, sei aber auch ein "Plenum für Hasstiraden". Beschimpfungen seien die Ausnahme, weist Hackmack den Vorwurf zurück. Zwar würden Blog-Kommentare nicht vorher gegengelesen, doch regelmäßig durchkämmt. "Beschimpfungen löschen wir", sagte der Geschäftsführer. Sein Portal sei eine sachliche Bürgerplattform.