Aufsichtsrat löst Peter Löscher vorzeitig ab und beruft Finanzvorstand Joe Kaeser zum neuen Siemens-Chef. Die Folgen für den Standort Hamburg mit 2000 Mitarbeitern sind unklar.

Hamburg. Vor allem gab er sich als Siemensianer. „Die höchste Priorität hat jetzt die Beruhigung unseres Unternehmens und die Stabilisierung seiner inneren Ordnung“, sagte Joe Kaeser, 56, am Mittwoch bei seinem ersten Auftritt als künftiger Konzernchef von Siemens. Heute hat der bisherige Finanzvorstand das Amt als Nachfolger von Peter Löscher, 55, übernommen. Es war ein spektakulärer Wechsel. Erst vor fünf Tagen sickerten Informationen durch, dass Löschers Amtszeit an der Spitze des deutschen Weltkonzerns mit seinen 370.000 Mitarbeitern vorzeitig abgelaufen sei. Verfehlte Renditeziele, zu wenig Vernetzung im Konzern und eine angeblich fehlende Strategie werden dem Österreicher inoffiziell angelastet, der im Jahr 2007, mitten in einer schweren Korruptionsaffäre, die Führung von Siemens übernommen hatte und dessen Vertrag bis 2017 lief.

Offiziell verabschiedete ihn der Siemens-Aufsichtsrat gestern salbungsvoll: „Peter Löscher hat Siemens zurückgeführt zu hohem Ansehen und beachtlichen Erfolgen. Siemens hat unter seiner Führung zwei der erfolgreichsten Jahre in der Unternehmensgeschichte erreicht“, teilte der Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Cromme mit. Ein seltsamer Begleittext für einen vorzeitigen Rauswurf. Doch Löscher hat als Sanierer und als Polierer des vor Jahren schwer befleckten Siemens-Images seine Schuldigkeit offenbar getan. Ob nun ein Machtkampf im Aufsichtsrat ausgefochten wird, zwischen dem ebenfalls schwer angeschlagenen Cromme und dessen Stellvertreter, dem früheren Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, bleibt einstweilen offen. Die Bühne gehört zunächst erst einmal Kaeser.

Der ist seit 1980 bei Siemens und nun womöglich am Ziel seiner beruflichen Träume. Leutselig versuchte er bei seiner gut einstündigen Pressekonferenz im Münchner Siemens-Forum den Verdacht zu entkräften, er könnte an Durchstechereien gegen Löscher beteiligt gewesen sein: „Es ist ein unumstößliches Verdienst von Peter Löscher, die dunkeln Seiten von Siemens aufgehellt zu haben. Das wäre mit keinem Internen machbar gewesen.“

Ein „Interner“ ist Kaeser selbst. Er diente dem Konzern in der Zeit des langjährigen Siemens-Lenkers Heinrich von Pierer, er wurde im Vorstand von dessen Nachfolger Klaus Kleinfeld zuständig für das Finanzressort. Kaeser hatte viele Führungsaufgaben auch in jener Zeit inne, für die Siemens später an den Pranger gestellt wurde: für die Bestechung von Kunden, für die Zahlung von Schmiergeldern vor allem bei Großprojekten in Entwicklungsländern. Kaeser überstand die Säuberung der Führungsetagen seit Löschers Amtsantritt, Verfehlungen sagt man ihm nicht nach. In der Finanzmarktkrise trug er wesentlich zur Stabilisierung des Konzerns bei, als er für Siemens eine Banklizenz erwirkte und damit mehr finanzielle Flexibilität. Diese Tätigkeit kommentierte Kaeser gestern auf Nachfrage mit Selbstironie: „Als ich Siemens-Finanzvorstand wurde, dachte ich, das ist der schönste Job der Welt. Das war nach einigen Monaten anders.“

Unklar ist zunächst einmal, was Kaesers Amtsantritt für den Siemens-Standort Hamburg bedeutet. Die Niederlassung beschäftigt rund 2000 Mitarbeiter, darunter gut 600 für das Geschäft mit Windkraftanlagen. Vor allem die Windkraftsparte ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Siemens, Weltmarktführer für Offshore-Windkraftanlagen, verlagerte die Zentrale für das weltweite Windkraft-Geschäft aus dem dänischen Brande in die Hansestadt. Auch die Geschäftseinheit für die Netzanbindung von Offshore-Windparks sitzt in Hamburg.

Der Bau von Umspannstationen für deutsche Nordsee-Windparks hat sich bei mehreren Projekten um jeweils teils mehr als ein Jahr verzögert. Der Konzern musste hohe Rückstellungen bilden. Neben den Pannen bei der Fertigung neuer ICE-Züge für die Bahn zählen vor allem die so genannten HGÜ-Stationen zur negativen Bilanz von Löscher, was dieser auch wiederholt eingeräumt hatte. Kaeser sagte dazu am Mittwoch: „Es wäre klüger gewesen, wenn wir uns mit Herstellern von Offshore-Plattformen für die Öl- und Gasindustrie zusammengetan hätten, anstatt die Entwicklung der Windkraft-Plattformen komplett selbst zu übernehmen.“ Was das für die Zukunft der Sparte in Hamburg bedeutet, ließ er allerdings offen. Auch die Windkraft-Sparte selbst war jüngst unter Druck geraten, durch schadhafte Rotorblätter bei Windturbinen in den USA.

In der Kritik steht auch der Konzernbereich Infrastruktur und Stadtentwicklung. Zahlreiche Geschäftsfelder wie Verkehrsleitsysteme, Energieeffizienz-Technologien, Gebäudemanagement oder Bahnelektronik wurden darin im Jahr 2011 zusammengefasst. Fast alle diese Produkte und Dienstleistungen werden auch von Hamburg aus angeboten. Die Rendite des Bereiches gilt als zu schwach. „Man kann lange darüberdiskutieren, ob die Schaffung dieses vierten Sektors das Unternehmen vorangebracht hat“, sagte Kaeser. „Aber in diesem Sektor ist kein einziges Produkt, das es bei Siemens nicht schon vorher gab. Und heutzutage ist das Geschäft mit jedem einzelnen von ihnen transparenter als früher.“

Für das dritte Quartal des Geschäftsjahres 2012/2013 präsentierte Kaeser am Rande seines Auftritts eher schwache Zahlen. Der Umsatz sank gegenüber dem Vorjahreszeitraum um zwei Prozent auf 19,25 Milliarden Euro. Der operative Gewinn ging um 13 Prozent auf eine Milliarde Euro zurück. Positiv war vor allem der Auftragseingang, der gegenüber dem dritten Quartal des vorherigen Geschäftsjahres um 19 Prozent auf 21,1 Milliarden Euro stieg.

Kaeser will Siemens stärker machen, mit Konzentration auf alte Inhalte und Werte: „Siemens ist eine Elektrifizierungsfirma“, sagte er mit Blick auf zu viele Projekte in zu vielen Sparten. „Das ist das Erbgut unseres Konzerns.“