Siemens baut sein Geschäft für Stadtentwicklung und Infrastruktur aus. Die Hansestadt besitzt dabei einen hohen Stellenwert.
Hamburg. Ende 2011 führte Deutschlands größter Elektronikkonzern Siemens zahlreiche Geschäfte im neuen Bereich Infrastructure & Cities zusammen - Technologien und Dienstleistungen, die für die Entwicklung von Städten eine zentrale Rolle spielen. Der Bereich umfasst rund 90 000 Mitarbeiter und 17 Milliarden Euro Umsatzvolumen. Von den rund 1450 Menschen, die für Siemens in der Niederlassung Hamburg arbeiten, werden etwa ein Fünftel dem Bereich Infrastructure &Cities zugerechnet. Sie entwickeln und vermarkten Bahnelektronik, Verkehrsleitsysteme, Gebäudetechnologie sowie Netze und Ausrüstungen für die Stromversorgung. Unter anderem hat Siemens in Hamburg die neue U-Bahn-Linie 4 mit Signal-, Sicherungs- und Steuertechnik ausgerüstet. Das Abendblatt sprach mit Konzernvorstand Roland Busch über das Geschäft mit Städten und Infrastruktur.
Hamburger Abendblatt: Herr Busch, Sie führen den Konzernbereich Infrastructure & Cities, den Siemens 2011 neu geschaffen hat. Welche Rolle spielt Hamburg - das eine große Siemens-Niederlassung beherbergt - für Sie?
Roland Busch: Wir schauen uns sehr genau an, was in Hamburg geschieht. Die Stadt betreibt den größten deutschen Seehafen, sie ist ein Industrie- und Dienstleistungszentrum von Weltrang. In der Hamburger Siemens-Niederlassung arbeiten viele Mitarbeiter für meinen Konzernbereich: im Energiemanagement für Gebäude, an Verkehrsleitsystemen, auch an der Entwicklung von Landstromanschlüssen für Schiffe.
Hamburgs wirtschaftlicher Erfolg bringt wachsende Verkehrsprobleme mit sich. Wie kann die Stadt sie lindern?
Busch: Neue Straßen zu bauen, ist sehr teuer und oft mit jahrelangen politischen Debatten verbunden. Wir bieten eine Reihe von Verkehrsleitsystemen an, die in ihrer Entwicklung immer leistungsfähiger werden. Wie man welche Systeme einsetzt, hängt immer von den Verhältnissen vor Ort ab. In Hamburg haben wir zum Beispiel ein Pilotprojekt mit der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt realisiert. Ein Rechner misst die Verkehrsdichte an einer Kreuzung an der Kieler Straße und weist die Zahl der Spuren je nach Bedarf mit einer speziellen Fahrbahnbeleuchtung aus. In London konnten wir durch ein Bezahlsystem den Verkehrsfluss in der City um mehr als ein Drittel erhöhen.
In Deutschland wird über eine Maut auf Autobahnen für Pkw diskutiert. Das brächte Siemens neue Aufträge.
Busch: Ich mische mich nicht in diese politische und auch emotionale Debatte ein. Ich glaube aber, dass man an einer Erkenntnis nicht vorbeikommt: Ein System einer modernen und leistungsfähigen Infrastruktur hat seinen Preis.
Die Folgen der Finanzmarktkrise sind längst nicht überwunden. Geht diese Krise an Ihrem Geschäftsbereich vorüber?
Busch: Wir müssen uns natürlich mit den Folgen der Krise auseinandersetzen. Sie sind besonders in Europa längst nicht überwunden. Der spanische Immobilienmarkt etwa ist in den vergangenen Jahren eingebrochen.
Die meisten Megastädte entstehen in asiatischen Staaten. Sind Sie als Manager im Wesentlichen in Asien, oder haben sie auch Zeit für andere Erdteile?
Busch: Ich bin im Siemens-Vorstand auch für Asien zuständig, deshalb war ich jüngst oft dort. Aber ich kümmere mich auch um das Geschäft in allen anderen für uns wichtigen Regionen. Wir bieten Technologien und Lösungen ja nicht nur für Megastädte, sondern auch für kleine und mittelgroße Städte an - schon deshalb, weil es davon viel mehr gibt als von Weltmetropolen wie New York oder Shanghai.
Welche Technologien und Themen stehen bei Ihnen im Vordergrund?
Busch: Die Einsparung von Energie und deren möglichst effiziente Nutzung haben für uns eine große Bedeutung. Beides sind unverzichtbare Hebel, wenn die Energiewende in Deutschland gelingen soll. Technik kann dabei massiv unterstützen. Wir haben zum Beispiel im Auftrag der Stadt Berlin vor einiger Zeit die Gebäudetechnik von 180 öffentlichen Gebäuden modernisiert. Die Investition hatte einen Umfang von 30 Millionen Euro. Die Stadt spart nach der energetischen Modernisierung jährlich 5,3 Millionen Euro Energiekosten. Außerdem ist es gelungen den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid zu senken. Sehr wichtig mit Blick auf die wachsenden Städte sind auch Verkehrsleitsysteme, wie wir sie anbieten. Viele Städte haben erkannt, dass die Staus nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln und intermodalem Verkehrsmanagement bekämpft werden können.
Der Klimawandel ist eine immense Herausforderung für die Staatengemeinschaft. Ist er noch zu stoppen?
Busch: Der Klimawandel ist in vollem Gange. Selbst wenn man heute alle verfügbaren modernen Technologien installierte, würde sich die Atmosphäre auf absehbare Zeit noch weiter erwärmen und der Meeresspiegel steigen. Es gibt also in den kommenden Jahrzehnten enorm viel zu tun, um diesen Trend zu stoppen. Die Entwicklung und Vermarktung grüner Technologien ist Kern der Strategie bei Siemens.
Die Menschheit wächst ungebremst, damit wachsen vor allem auch die Riesenstädte in den Schwellenländern Asiens und Südamerikas. Sind solche Ansiedlungen mit 20 Millionen und mehr Menschen noch verwalt- und regierbar?
Busch: Eine Stadt ist die effizienteste Organisation, um Menschen die Vorteile moderner Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen: Wasser, Energie, Mobilität, auch Sicherheit. Natürlich sind besonders mit den Megastädten in den Schwellenländern große Herausforderungen verbunden. Aber wir bieten Technologien und Konzepte an, mit denen Städte ihre Funktionen und Abläufe effizienter machen und mit denen sie ihre Kosten senken können. Das wiederum verschafft den kommunalen Regierungen neue Spielräume, um zu investieren und etwas für ihre Bürger zu tun. Das Wachstum der Städte ist einer der wichtigsten Treiber überhaupt für die internationale Wirtschaft.
Wie können Städte an die Erfordernisse von Energieeffizienz und an die Herausforderungen des Klimawandels besser angepasst werden?
Busch: Separate Planungen für die Energieversorgung, den Nahverkehr, die öffentliche Sicherheit, das funktioniert nicht mehr. Bei den komplexen Planungen für Großstädte werden heute ganzheitliche Ansätze gebraucht.
Das hört sich so an, als würde Siemens unter die Stadtplaner gehen.
Busch: Eigentlich sind wir das schon. Wir können zum Beispiel die Energienetze von ganzen Städten und Ländern planen und auslegen. In den Londoner Docklands eröffnen wir in diesem Sommer ein hochmodernes Kompetenzzentrum für die nachhaltige Entwicklung von Städten. Es heißt The Crystal und enthält unter anderem einen Besucherbereich und ein Konferenzzentrum. Dort bündeln wir all unser Wissen um das Thema Stadtentwicklung und bauen es weiter aus.