Der künftige Hamburger Ehrenbürger spricht über die Ehrenbürgerschaft, seinen Blick auf Hamburg, die Elbphilharmonie und den Vergleich zu Berlin.
Hamburg Rund 26 Jahre lang stand Michael Otto an der Spitze des größten Versandhandelskonzerns der Welt. Seit fünf Jahren führt er den Aufsichtsrat des Hamburger Unternehmens, das sein Vater gegründet hat. Am 15. August soll der 70-Jährige Ehrenbürger Hamburgs werden. Noch steht die Zustimmung der Bürgerschaft aus, diese gilt aber als Formsache.
Hamburger Abendblatt: Wie erfährt man, dass man Ehrenbürger werden soll?
Michael Otto: Ich habe vom Bürgermeister ein Schreiben bekommen, in dem er mir mitgeteilt hat, dass der Senat die Entscheidung getroffen hat, mich als Ehrenbürger vorzuschlagen. Darüber habe ich mich außerordentlich gefreut. Das ist schon eine besondere Ehre, von einer Stadt ausgezeichnet zu werden, die ja sehr zurückhaltend ist mit der Vergabe von Ehrenbürgerschaften. Im Gegensatz zu anderen Städten.
Etwas Besonderes für jemanden wie Sie, der eigentlich schon alles hat im Leben.
Otto: Alles habe ich nun auch nicht. Trotzdem ist das für mich eine besondere Ehre und Auszeichnung, weil Hamburg mir doch sehr, sehr nahe ist. Ich bin zwar in Westpreußen geboren, aber nach der Flucht nach Hamburg gekommen und fühle mich als Hamburger. Für mich verbindet die Stadt eine optimale Kombination aus Kaufmannstradition auf der einen und Modernität auf der anderen Seite.
Hat die Ankündigung der Ehrenbürgerschaft Ihre Sicht auf Hamburg noch einmal verändert?
Otto: Es bringt einen dazu, noch einmal zu reflektieren. Die Stadt bedeutet mir viel, eben weil sie diese beschriebene Tradition und Moderne miteinander vereint. Emotional war ich der Stadt schon immer sehr stark verbunden.
Was ist Hamburg für Sie?
Otto: Hamburg ist eine Kaufmannsstadt, aber auch eine sehr weltoffene Stadt. Hamburg ist eine außerordentlich tolerante Stadt, gerade im Vergleich mit anderen Städten. Eben weil es seit Jahrhunderten durch den Hafen mit der ganzen Welt verbunden ist. Selbst vor Jahrzehnten hat sich niemand auf der Straße umgedreht, wenn einem Menschen mit dunkler Hautfarbe begegnet sind. An Hamburg mag ich, dass es großstädtisch ist.
Braucht Hamburg regelmäßig große Projekte wie die Elbphilharmonie oder Olympiabewerbung?
Otto: Für eine Großstadt wie Hamburg sind Großprojekte wichtig, wenn sie sich positiv auf die Stadt auswirken. Das kann zu einem Wir-Gefühl in der Bevölkerung führen wie seinerzeit bei der Olympiabewerbung. Damals gab es eine regelrechte Sport-Aufbruchstimmung, die mich gefreut hat.
Gibt es das Wir-Gefühl? Der gemeinsame Nenner ist, dass Hamburg eine lebenswerte Stadt ist, aber darüber hinaus zerbröckelt die Stadt doch in die Blankeneser und in die Bergedorfer.
Otto: Man muss schon überlegen, welche Aktivitäten ein Wir-Gefühl stärken und bilden können. Wir brauchen dafür ein Leitbild. Es ist aber kein Nachteil, dass es mehrere Stadtteilzentren in der Stadt mit teilweise fast dörflichem Charakter gibt, denn letztlich identifiziert sich ein Bürger mit seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Der nächste Schritt wäre dann aber, ein Hamburg-Gefühl zu schaffen, ein Deutschland-Gefühl und natürlich ein Europa-Gefühl. Aber es fängt immer im Kleinen an.
Braucht die Stadt etwas Sinnstiftendes?
Otto: Ja, auf jeden Fall. Das materielle Wohlergehen ist zwar wichtig, aber es ist nicht das, was die Menschen wirklich zusammenführt.
Gab es denn mal Situationen, in denen Sie hätten weggehen können?
Otto: Ich war ja während des Studiums schon einmal neun Jahre in München, so dass ich auch eine andere, durchaus attraktive Stadt kennengelernt habe. Trotzdem: Wenn ich international vergleiche – und ich bin in meinem Leben viel beruflich und privat gereist – ist Hamburg eine besonders liebens- und lebenswerte Stadt.
Ist das auch der Grund dafür, dass Sie mit dem Unternehmen in Hamburg geblieben sind?
Otto: Das ist richtig. Es gab ja durchaus Überlegungen, ob wir unsere Zentrale verlegen. Man muss ja nur ein paar Kilometer über die Stadtgrenze gehen und schon hat man ganz andere Gewerbesteuersätze. Aber das war für mich nie ein ernsthaftes Thema.
Worauf konzentrieren Sie sich bei der Auswahl der Projekte, die Sie fördern?
Otto: Ein Schwerpunkt ist das Thema Umwelt und Nachhaltigkeit. Und das nicht nur in Hamburg, sondern in Deutschland, Europa, Asien und in den letzten Jahre auch in Afrika. Dann der Bereich Medizin, den ich von meinem Vater übernommen habe. Zudem liegt mir die Förderung von Kindern und Jugendlichen am Herzen. Also bei dem Projekt Arbeitsplatzvermittlung für Hauptschüler, wo es darum geht, besonders auch Jugendliche mit Migrationshintergrund in die Ausbildung zu bringen. Oder bei den Young ClassX, wo es darum geht, Kinder an klassische Musik heranzuführen. Inzwischen haben wir 6500 Jugendliche aus 54 Schulen in dem Programm. Und in dem Kinderprojekt Aqua-Agenten geht es um das Thema Wasser: Wie es gewonnen und geklärt wird, Wasser als Handelsweg im Hafen und Wasser als Biotop.
Nun haben Sie auch sehr viel Geld für die Elbphilharmonie überwiesen. Wie bewerten Sie die Entwicklung dieses Projektes?
Otto: Es ist schon sehr bedauerlich, dass bei der Elbphilharmonie die Kosten und der Zeitablauf erheblich überzogen wurden. Das bringt natürlich auch permanent negative Schlagzeilen, was ich schade finde für ein solches Projekt. Denn ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Elbphilharmonie architektonisch ein weiteres Wahrzeichen für Hamburg sein wird. Das ist hoch attraktiv für den Tourismus. Außerdem wird die Elbphilharmonie Hamburg auch als Kultur- und Konzertstadt voranbringen. Manche große Orchester können hier bislang nicht auftreten, weil sie größere Bühnen brauchen.
Hamburg zur Kulturstadt zu machen, ist nicht einfach. Ist es denn möglich, die Kaufmannsstadt Hamburg zu einer Kulturmetropole wie Berlin zu machen?
Otto: Ich meine schon. In Hamburg gibt es eine Spenden- und Förderbereitschaft wie in kaum einer anderen Stadt. In München etwa war man sehr erstaunt, wie schnell Geld von Spendern für die Elbphilharmonie zusammenkam. Für die Hamburger Kaufleute war es immer wichtig, auch etwas für die Kultur zu tun. Sei es der Bau der Kunsthalle oder der Laeiszhalle.
Wie beurteilen Sie die Einigung der Stadt mit Hochtief, noch einmal rund 200 Millionen Euro mehr zu zahlen, damit der Konzern zu Ende baut?
Otto: Ohne die Details der Verträge zu kennen, kann man grundsätzlich sagen, dass von allen Beteiligten, der städtischen Rege, dem Baukonzern Hochtief und den Architekten Herzog & de Meuron, Fehler gemacht worden sind. Aber es muss zu Ende gebaut und eröffnet werden. Jetzt kostet es noch einmal mehr, dafür gibt es aber die Sicherheit, dass es mit Hochtief einen einzigen Verantwortlichen gibt und keine Risiken mehr auf andere abgewälzt werden können. Ob die zu zahlende Summe die richtige ist, kann ich von außen nicht beurteilen, aber vom Grundsatz halte ich es für absolut richtig, wie jetzt vorgegangen worden ist. In zehn, 20 Jahren wird darüber niemand mehr sprechen. Dann wird man sich darüber freuen, eine großartige Elbphilharmonie zu haben.
Das ordentliche Rechnen und Regieren hat es in Hamburg ja überwiegend gegeben. Fehlt der Stadt das Visionäre?
Otto: Die Stärken Hamburgs liegen sicherlich in der guten sachlichen Arbeit. Schöpferisch gibt es bestimmt noch Raum für Verbesserung. Wenn aber umgekehrt das Schöpferische überwiegt und das Rechenhafte unterliegt, dann haben wir ein Problem.
Dann sind wir in Berlin.
Otto: Genau. Die Stadt, die nach eigenem Bekunden sexy, aber arm ist. Das reicht nicht. Deshalb sind wir in Hamburg auch gut aufgehoben, so wie wir seit Jahrzehnten regiert werden.
Was muss Hamburg tun, um in 20 Jahren genauso attraktiv zu sein wie heute?
Otto: Kulturell tut sich einiges. Hamburg hat spannende Subkulturen. Da hat sich viel getan. Wir brauchen darüber hinaus gute Verkehrsinfrastrukturen. Nicht nur die Instandsetzungen von Straßen und Brücken, sondern die seit Jahrzehnten diskutierte Hafenquerspange und eine weitere Elbquerung. In der Schulpolitik sind die Weichen richtig gestellt. Es ist wichtig, dass wir immer mehr Ganztagsschulen bekommen, damit wir den Kindern mit Migrationshintergrund oder aus sozial schwachen Schichten echte Chancengleichheit bieten.
Die Elbvertiefung ist eines der großen aktuellen Verkehrsinfrastrukturprojekte. Da müssten doch zwei Herzen in Ihrer Brust schlagen, das des Unternehmers und des Gewässer- und Umweltschützers.
Otto: Das ist richtig. Ich sage immer, dass man Naturschutz nicht ohne die Menschen machen kann. In diesem Fall nicht ohne den Hafen. Auf der anderen Seite muss bei allen Entscheidungen auch genügend Rücksicht auf den Naturschutz genommen werden. Ich habe 2010 eine Gesprächsrunde moderiert, in der ich Vertreter des WWF und der Stadt zusammengebracht habe. Wir haben interessante Lösungsansätze diskutiert. Aber es hieß dann, es sei alles zu spät, man bekomme es nicht mehr hin.
Die Stadt hätte also sehr viel früher das Gespräch suchen sollen?
Otto: Das ist genau das Problem bei der Elbvertiefung, dass nicht von Anfang an die Umweltverbände, Obstbauern und Gemeinden mit einbezogen wurden. Dann hätte man eine ganzheitliche Lösung hinbekommen. Man muss von vornherein so planen, dass man dann auch bestimmte Maßnahmen noch durchführen kann, ohne dass es ein zeitliches Problem gibt. Man muss auch sehen, dass bei der letzten Elbvertiefung eine Reihe von Ausgleichsmaßnahmen immer noch nicht umgesetzt worden sind. Dass das die Umweltverbände natürlich nicht motiviert, den Zusagen nun zu vertrauen, ist verständlich. Ich kann bei derartigen Projekten nur empfehlen, sich von Anfang an zusammenzusetzen.
Sind Sie denn für die Elbvertiefung?
Otto: Ja, aber unter Berücksichtigung von Umweltbelangen.
Welchen Stellenwert hat das eigentlich, Ehrenbürger zu werden, wenn man es mit anderen Ereignissen im Leben vergleicht?
Otto: Auch wenn der Vergleich hinken mag, am ehesten ist es mit der Geburt eines Kindes zu vergleichen. Es ist ein Glücksgefühl, das man erst schrittweise begreift. Man braucht schon einige Tage, bis einem das richtig bewusst wird.