Elternkampagne für Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium: Die Zeit für einen Volksentscheid zur Bürgerschaftswahl 2015 ist jedoch zu knapp.

Hamburg. Sehr präsent ist die Elterninitiative "G9-Jetzt-HH", die mit einem Volksbegehren die Wahlfreiheit zwischen dem Abitur nach acht oder neun Jahren an Hamburgs Gymnasien durchsetzen will, in der Öffentlichkeit bisher nicht, seit sie ihre Kampagne Mitte Mai offiziell im Rathaus angemeldet hat. Plakate sieht man selten in der Stadt, auch zu Veranstaltungen wird kaum geladen. Doch im Hintergrund sammeln die Eltern um Initiatorin Mareile Kirsch eifrig Unterschriften. In wechselnder Besetzung werben sie auf Wochenmärkten um Unterstützung und der Zuspruch sei groß, berichtet die 55-jährige Mutter. "Die Zahlen sind schon jetzt sehr gut."

Ein wichtiges, vielleicht entscheidendes Ziel hat die Initiative allerdings bereits verfehlt. Den voraussichtlichen Termin der Bürgerschaftswahl im Februar 2015 kann sie mit einem möglichen Volksentscheid über ihr Anliegen nicht mehr erreichen. Laut Volksabstimmungsgesetz hat sie formal bis zum 11. November Zeit, um 10.000 Unterschriften beim Landeswahlleiter einzureichen, kann dies jedoch auch jederzeit früher tun. Der Abgabe schließt sich dann eine gesetzlich genau festgeschriebene Folge von meist mehrmonatigen Fristen an, in denen die Bürgerschaft über die Vorlage der Initiative beraten muss, das Bündnis ein Volksbegehren anmelden kann, die Bürger informiert werden, erneut Unterschriften gesammelt und abermals im Parlament beraten werden muss - bis die Hamburger schließlich in einem Volksentscheid abstimmen können. Ein langwieriges Verfahren.

Der genaue Termin der Bürgerschaftswahl steht noch nicht fest, darüber entscheidet das Parlament. Im Februar 2011 war zuletzt gewählt worden, ein Termin vermutlich Ende Februar 2015 gilt daher als sehr wahrscheinlich - zumal die erste Märzhälfte wegen der Schulferien vom 2. bis zum 13. März ausgeschlossen ist. Das bedeutet für die Initiative, die sich mit der Sammlung der Unterschriften noch am Anfang sieht: Selbst wenn sie sofort abgäbe, wäre eine parallele Abstimmung nicht mehr möglich. "Wird für die Bürgerschaftswahl 2015 mit Blick auf die Frühjahrsferien in Hamburg ein Termin Ende Februar 2015 angesetzt, ist dieser Termin für die Volksinitiative nicht mehr erreichbar", bestätigt das Landeswahlamt auf Anfrage. Zu einem späteren Zeitpunkt ist ein Volksentscheid selbstverständlich möglich.

Allerdings gilt es unter Experten für Volksgesetzgebung als sehr viel erfolgversprechender, wenn parallel zu einer großen Wahl abgestimmt wird. Bürger, die ohnehin zu den Urnen gehen, sind eher bereit, auch über ein anderes Thema zu entscheiden, als wenn sie sich eigens dafür auf den Weg ins Wahllokal machen müssen. Und um zu gewinnen, braucht eine Volksinitiative nicht nur die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sondern auch eine bestimmte Mindestzahl an Unterstützern. Dass man auch abseits von Wahltagen einen Volksentscheid gewinnen kann, hat der Volksentscheid über die Primarschulreform vor drei Jahren gezeigt - mitten in den Sommerferien, aber zu einem extrem polarisierenden Thema.

Das Elternbündnis, das gegen den Schulstress an Gymnasien kämpft, hatte die Bürgerschaftswahl als Tag der Abstimmung über ihr Anliegen jedenfalls in ihrer Planung angepeilt. Mit einem Musterrechner zur Abschätzung der Fristen, den das Landeswahlamt zur Beratung als Service für die Bürger auf seiner Internetseite anbietet, hätte sie den richtigen Abgabezeitpunkt leicht errechnen können. Mareile Kirsch zeigt sich dennoch unbeeindruckt: "Für uns ist nicht entscheidend, dass wir den genauen Tag der Wahl erreichen, sondern dass das Thema im Wahlkampf diskutiert wird und eine Rolle spielt", sagt sie. Man wolle sich zeitlich nicht unter Druck setzen lassen wie bei G8, sondern auch selbst im G9-Tempo vorgehen.

Bei der Sammlung der Unterschriften ist die Initiative sehr umtriebig. Wie viele Unterstützer sie bisher gewonnen hat, will sie nicht verraten - aus taktischen Gründen. Wie das Bündnis "Wir wollen lernen", das vor wenigen Jahren alle drei Stufen der Volksgesetzgebung nahm und die Einführung der Primarschule stoppte, macht auch die G9-Initiative während des laufenden Verfahrens ein Geheimnis aus der Zahl der gesammelten Unterschriften. Damit nicht der Eindruck aufkommt, man sei schon fast am Ziel und weiteres Engagement lohne sich nicht - oder im Gegenteil, das erforderliche Quorum sei ohnehin nicht zu schaffen. "Aber ich kann nur sagen: Wir stehen gut da", bilanziert Mareile Kirsch. Man sei mit dem bisherigen Rücklauf "sehr zufrieden".

So gut organisiert wie das am Ende sehr professionell agierende Bündnis "Wir wollen lernen" ist die G9-Initiative bisher allerdings nicht. Eine Kerngruppe von rund 20 Aktiven kommt regelmäßig zu Vernetzungsstreffen zusammen. Über einen Verteiler, an den "ein paar Dutzend" Eltern angebunden sind, verabreden sich diejenigen, die Zeit haben, zum Sammeln von Unterschriften. Dreimal war man auf dem Isemarkt in Eppendorf, je zweimal in Winterhude und in Wandsbek, wo der Zuspruch sehr groß gewesen sei. "Wir sind schnell umringt von interessierten Eltern und kommen mit dem Sammeln von Unterschriften oft kaum hinterher", sagt Mareile Kirsch. Auch "Wir wollen lernen", das sie selbst von Anfang an aktiv unterstützte, habe sich erst im Lauf der Zeit professionalisiert.

"Das muss sich bei uns erst schrittweise entwickeln", sagt die 55-Jährige. Man könne nicht die Anfangsphase der G9-Initiative mit der Endphase von "Wir wollen lernen" vergleichen. Die Eltern, die auf den Märkten sammelten, täten dies mit großem ehrenamtlichen Engagement immer dann, wenn sie Zeit hätten. Ein Unterstützer druckt Flyer - auf eigene Kosten.