Volksinitiative meldet sich im Rathaus an. “Es geht um weniger Stress für die Kinder.“ Senator fürchtet um Schulfrieden

Hamburg. Die Hansestadt hat eine neue Volksinitiative zur Schulpolitik: Um kurz nach zehn Uhr am Mittwoch haben die drei Vertrauensleute der Initiative "G9-Jetzt-HH" ihre Unterlagen bei der Senatskanzlei im Rathaus abgegeben: die Förderlehrerin Mareile Kirsch, die Internistin Eva Terhalle-Aries und der Unternehmensberater Ulf Ohms. Die Elterninitiative, die sich am Vorabend konstituiert hatte, will die neunjährige Schulzeit bis zum Abitur (G9) an allen 62 staatlichen Gymnasien wieder einführen. Derzeit legen die Gymnasiasten bereits nach acht Jahren die Reifeprüfung ab ("Turbo-Abitur", G8). Den längeren Weg bieten knapp 50 Stadtteilschulen an. Die "G9-Jetzt-HH"-Initiative fordert, dass Eltern an allen Gymnasien zwischen G8 und G9 wählen können.

Für Mareile Kirsch kommen die Allgemeinbildung und die Charakterbildung beim "Turbo-Abitur" zu kurz. "Es geht um mehr Qualität, mehr Zeit fürs Familienleben und weniger Stress in der Schule für die Kinder", sagt Kirsch. Doch kaum ist die Elterninitiative am Start, bricht die Diskussion über die Zukunft des Schulsystems los. Die Kritiker der Rückkehr zu G9 an den Gymnasien befürchten eine erneute Debatte über die Schulstruktur und eine Schwächung der Stadtteilschulen. "Ich bin kein begeisterter Anhänger von G8. Aber noch mehr wünsche ich mir, dass unsere Kinder endlich in Ruhe und ohne immer neue Gewaltreformen gut lernen können", sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD). Die Gymnasien würden zu einer "riesigen Reformbaustelle", weil Lehrpläne, Stundentafeln, Prüfungsordnungen und Bauplanungen wieder geändert werden müssten.

Rabe erwartet eine "schulpolitische Grundsatzdebatte über das Verhältnis von Gymnasien und Stadtteilschulen". Ein wesentlicher Grund für die Wahl der Stadtteilschule - der längere Weg zum Abitur - würde entfallen. "Einen solchen Schulkrieg haben wir gerade hinter uns. Er hat viel Schaden angerichtet", sagt der Senator, der auf den Vorlauf zum erfolgreichen Volksentscheid 2010 gegen die Einführung der sechsjährigen Primarschule anspielt.

Wie die allein regierende SPD sind auch CDU, Grüne und FDP gegen die Rückkehr zu G9. "Das Thema berührt die Menschen, daher muss es die Politik sehr ernst nehmen", sagt der CDU-Schulexperte Robert Heinemann. "Inzwischen haben aber viele verstanden, dass man mit der Wiedereinführung von G9 auch das Zwei-Säulen-Modell infrage stellen würde." Weil sich Gymnasien und Stadtteilschulen immer mehr angleichen würden, stünde am Ende die "Einheitsschule, die von vielen noch stärker abgelehnt wird als das G8", so Heinemann.

"Nützlicher als eine neue Reform der Schulstruktur sind Maßnahmen, die die Lernbelastungen am Gymnasium verträglicher machen", sagt die Grünen-Schulpolitikerin Stefanie von Berg. Dazu zählten mehr Doppelstunden und weniger Hausaufgaben. Rabe hat solche Entlastungsmaßnahmen bereits angekündigt. "Wir brauchen keine neue Strukturreform, sondern Ruhe und Kontinuität", sagt Anna von Treuenfels (FDP), eine der Aktivistinnen des Volksentscheids gegen die Primarschule. CDU, SPD und Grüne hatten sich 2010 auf den sogenannten Schulfrieden verständigt, der besagt, die Schulstruktur zehn Jahre lang nicht anzutasten.