Schulsenator Ties Rabe will einen neuen Schulkrieg um jeden Preis verhindern und mit der Volksinitiative für das neunjährige Abitur, G9-Jetzt-HH, über Verbesserungen an den Gymnasien sprechen.
Hamburg. Es ist fast geschafft: In dieser Woche beginnen für Schüler und Lehrer in Hamburg die Sommerferien. Zum Schuljahresende zieht Schulsenator Ties Rabe die Bilanz eines bewegten Jahres, das ihn mit der Anmeldung einer Volksinitiative für eine Rückkehr zum neunjährigen Abitur an vielen Gymnasien vor eine neue Herausforderung stellt, und kündigt an, er werde auf das Elternbündnis zugehen. Im Interview räumt der SPD-Politiker ein, dass es beim Schulbau nicht so rasch vorangeht wie geplant.
Hamburger Abendblatt:
Herr Rabe, das Schuljahr geht zu Ende. Sind Sie ebenso geschafft wie die Schüler?
Ties Rabe:
Ja. In den letzten fünf Wochen jeweils vor den Weihnachts- und den Sommerferien sind die Schulen in höchster Aufregung – und das geht auch am Schulsenator nicht spurlos vorüber. Angesichts der Abschlussprüfungen, der vielen Klausuren, der großen Zeitanspannung und der Zeugniskonferenzen liegen an einigen Schulen die Nerven blank.
Es ist ja auch verwunderlich: In manchen Monaten sind Schüler und Lehrer im totalen Stress. Doch zum Ende des Schuljahrs läuft zumindest für die Schüler über Wochen kaum noch etwas. Muss das so verteilt sein?
Es wäre in der Tat klüger, das besser zu verteilen, und da gibt es auch Spielraum. Wir haben uns angeschaut, ob Gymnasiasten im Rahmen von G8 überlastet sind. Tatsächlich gibt es Phasen im Schuljahr, in dem sich vieles ballt. Wenn sich innerhalb weniger Wochen, beispielsweise vor den Herbstferien ein großer Berg von Hausaufgaben und Klausuren türmt, andererseits aber auch wieder sehr langweilige Phasen folgen, dann muss man sagen: Wäre das besser verteilt, hielte sich die Belastung in Grenzen.
Gutes Stichwort. Sie hatten ja eine Reihe von Veränderungen angekündigt, die die Belastung der Schüler an den Gymnasien senken sollen – auch vor dem Hintergrund der Volksinitiative, die wieder das neunjährige Abitur auch an Gymnasien ermöglichen will. Was planen Sie konkret?
Bei unserer Prüfung haben wir festgestellt, dass nicht an allen Gymnasien die Obergrenze von 34 Wochenstunden eingehalten wird. Das betrifft nur einige Schulen, aber wir wollen das abstellen.
Interessant. Was noch?
Die Belastungsschwankungen bei Klausuren und Hausaufgaben machen uns Sorgen. Wir werden mit den Schulen sprechen, damit sie Konzepte zur besseren Verteilung entwickeln. Notfalls müsste die Behörde Vorgaben machen – zum Beispiel zwei Klausuren pro Woche als Obergrenze. Die Schulen sollten auch Regeln entwickeln und umsetzen, um die Menge der Hausaufgaben besser abzustimmen, insbesondere in den Klassen sieben und acht. Schließlich ist ein Problem aufgetaucht, das wir bisher gar nicht so stark im Blick hatten: Gerade in der Oberstufe ersetzen häufig umfangreiche Referate oder Präsentationen die Klausuren. Es zeigt sich, dass die Vorbereitungen sehr viel aufwendiger sind als das Lernen für eine Klausur. Auch da gilt es, Maß zu halten.
Wann wird das angepackt? Sie wollten ja eigentlich schon vor Beginn der Sommerpause ein Paket an Maßnahmen präsentieren.
Ich wünsche mir hier die intensive Einbeziehung von Eltern, Lehrern und Schulleitern. Die Behörde wird den Schulen nicht über die Ferien ein fertiges Konzept vorsetzen. Im Übrigen wollen wir auch die Initiative einbeziehen und gemeinsam über Wege nachdenken, wie man die Situation an den Gymnasien verbessern kann.
Wäre es nicht eine lohnendere politische Strategie, den G8-Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen und es gar nicht erst zur erfolgreichen Volksinitiative kommen zu lassen? Je mehr Unterschriften die sammeln, desto weniger kompromissbereit werden sie sein.
Wir wollen Schule verbessern und schauen nicht nur auf den Erfolg einer Initiative. Wenn man sich das wirklich vornimmt, müssen Veränderungen auch fest in den Schulen verankert sein – und diese Verankerung schaffen wir nicht „par ordre du mufti“. Wir haben zehn Jahre mit G8 gelebt, da kommt es jetzt nicht auf drei Monate an, sondern auf einen sorgfältigen Prozess – und den beginnen wir nach den Ferien.
Haben wir das richtig verstanden, dass Sie der Initiative die Hand zum Gespräch reichen?
Ich habe von Anfang an gesagt: G8 kann man verbessern, und ich wünsche mir hierzu Gespräche mit der Initiative. Ich bin zuversichtlich, dass diese nach den Ferien, wenn die Initiative sich auch selbst ein Stück gefunden hat, beginnen können.
Wie weit würden Sie in diesen Gesprächen gehen?
So weit, wie es sein muss, um einen neuen Schulkrieg in Hamburg zu verhindern. Ich will, dass die Schulen endlich Ruhe und Zeit haben, um guten Unterricht zu machen. Man merkt ja jetzt noch, dass die Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre tiefe Spuren hinterlassen haben. Ein erneuter Streit der Schulöffentlichkeit mit tiefen Gräben tut Hamburg mit Sicherheit nicht gut.
Die Opposition warnt vor einem Scheitern der Schulform Stadtteilschule. Wie wollen Sie diese Schulen stärken?
Erstens wollen wir, dass die Stadtteilschulen mit eigenen Oberstufen konsequent auf Leistung setzen. In diesem Jahr feiern zwölf Stadtteilschulen zum ersten Mal Abitur. Das ist ein ganz entscheidender Baustein. Zweitens: Seit meinem Amtsantritt haben wir in zweieinhalb Jahren an 22 Stadtteilschulen Ganztagsangebote entwickelt. Das sind fast so viele wie die 28 Ganztagsschulen in den 40 Jahren davor. Ganztagsschulen bieten mehr Spielraum für gutes Lernen. Der dritte Baustein ist, dass wir die Schulen, die es besonders schwer haben, mit einem speziellen Förderprogramm unterstützen. Und der vierte Baustein sind mehr Pädagogen: Insgesamt haben wir den Stadtteilschulen bei gleichbleibenden Schülerzahlen 500 zusätzliche Lehrer gegeben.
Vor einem halben Jahr gab es den Brandbrief der Wilhelmsburger Schulen, die ihr jetziges Förderprogramm als ungenügend bezeichnet haben. Werden Sie nachlegen?
Nein. Wir haben ein vernünftiges Konzept auf den Weg gebracht, und ich führe keine Tarifverhandlungen mit einigen Schulleitern über die Frage, wie viele Stellen sie gern hätten. Im Gegenteil erwarte ich auch von den Schulleitern einen Beitrag, die Schule weiter zu entwickeln. Wir reichen dazu die Hand. Das Programm wird mindestens acht bis zehn Millionen Euro kosten.
Stand hinter dem Brandbrief wirklich ein Stellenpoker? Die Analyse der Probleme klang eher verzweifelt.
Es sind Schulen darunter, die ehrlicherweise Rückenwind brauchen. Aber ein paar Schulleiter wollen auch auf diesem Weg trickreich mehr Stellen bekommen. Ich finde, jetzt ist es an der Zeit, zu gucken, was man besser machen kann, und nicht immer zu sagen: mehr, mehr, mehr. Es stimmt, dass einige Schüler schon bei der Einschulung so große Lernrückstände haben, dass sie bislang nicht aufgeholt werden konnten. Ich bin aber strikt dagegen, so zu tun, als ob man Kinder „abschreiben“ muss. Es sind Kinder unserer Stadt, und es sind liebenswürdige Kinder. Zweifellos haben sie Lernrückstände. Wenn die Rückstände sehr groß sind, dann kann man beispielsweise ihre Schulzeit um ein Jahr verlängern.
Einmal anders gefragt: Was macht eine Stadtteilschule zu einer guten und erfolgreichen Stadtteilschule?
Eine gute Stadtteilschule setzt auf Leistung und gute Pädagogik. Sie eröffnet Schülern Chancen, die man ihnen auf Anhieb nicht zugetraut hat. Das kann ein guter Haupt-, Realschulabschluss oder ein hervorragendes Abitur sein. Ich habe vor Kurzem einem Abiturienten mit Notendurchschnitt 1,0 gratuliert, der nach der vierten Klasse keine Gymnasialempfehlung hatte. Das alles schafft die Stadtteilschule, und dafür stehen ihr mehr Unterrichtsstunden und mehr Schulzeit zur Verfügung. Ich halte es für falsch, wenn Stadtteilschulen den Eindruck erwecken, dass sie sich nur Schülern widmen, die es schwer haben. Die Stadtteilschule kann sich nur profilieren, wenn sie sehr klar auf Leistung setzt. Das zeigen Beispiele wie die Max-Brauer-Schule, die bei jedem Leistungstest energisch mitgemacht hat.
Zum Reizthema Inklusion: Fast alle Beteiligten kritisieren die von Ihnen eingeführte systemische, also fallzahl-unabhängige Zuweisung von Fördermitteln als in Teilen ungerecht. Wie lange halten Sie das noch durch?
Das System ist vernünftig, alle namhaften Wissenschaftler empfehlen es, Schleswig-Holstein macht es zum Beispiel – sogar mit wesentlich weniger Personal. Von daher sehe ich zurzeit keinen Handlungsbedarf. Das Problem ist vielmehr, dass viele Pädagogen unter dem Begriff Inklusion alle Sorgen und Nöte zusammenfassen, die wenig mit Inklusion zu tun haben – zum Beispiel Probleme mit schwierigen Kindern oder solchen mit auffälligem Verhalten. Dabei wissen alle Beteiligten, dass das nicht mit Inklusion gemeint ist. Es gibt Stadtteile, in denen die Zahl der Kinder an Sonder- und Förderschulen nicht einmal gesunken ist, aber die allgemeinen Schulen trotzdem sagen, sie hätten sehr viel mehr Sonderschüler an Bord. Das zeigt: Mit Inklusion haben viele Probleme nichts zu tun.
Die Schulbauoffensive, für die bis 2019 zwei Milliarden Euro bereitstehen, scheint zu stocken. Die jährlichen Investitionen belaufen sich seit 2009 auf rund 200 Millionen Euro. Bekommen Sie die Probleme bei der Bauplanung vor Ort an den Schulen nicht richtig in den Griff?
Das ist ja schon eine seltsame Frage. Wir erreichen im Schulbau Rekordwerte, und nun fragen Sie, warum es keinen Superrekord gibt.
Genau den hatten Sie angekündigt.
Ich habe erreicht, dass wir in Zukunft jährlich 300 Millionen Euro für den Schulbau zur Verfügung stellen und versprochen, dass wir uns zielstrebig daran machen, das Geld für den Schulbau auch auszugeben. Das kann aber nicht von heute auf morgen geschehen. Früher wurden im Durchschnitt pro Jahr 150 Millionen Euro verbaut. Jetzt sind wir bei 210 Millionen Euro. Das ist noch nicht genug, aber auch nicht der Weltuntergang.
Sie müssen sich an Ihren eigenen Worten messen lassen.
Richtig, wir wollen die Marke von 300 Millionen Euro erreichen. Um das zu schaffen, mussten wir den Schulbau umstrukturieren. Das Ganze funktioniert nur, wenn die Beteiligten vor Ort Verantwortung übernehmen und bürokratische Planungsverfahren abbauen. Das ist aber ein schwieriger Prozess. Deswegen werden wir die 300-Millionen-Marke auch in diesem Jahr wohl noch nicht erreichen.
Woran liegt es konkret?
Wir haben im Oktober 2012 als erster Senat überhaupt einen Plan dazu vorgelegt, was wir an jeder Schule wann bauen wollen. Die anschließende Diskussionsphase mit den Schulleitungen über die Detailplanung hat aber bis Mitte Mai gedauert. Ich appelliere an alle Beteiligten: Wenn wir uns weiter monatelang über die Farbe von Klinkersteinen streiten, dann werden wir den Schulbau nicht ankurbeln. Wir brauchen das richtige Maß zwischen Ästhetik und Geschwindigkeit.
Was ist neu im nächsten Schuljahr?
Wir haben zwei Jahre lang Reformen angeschoben. Das nächste Schuljahr wird eines ohne große neue Reformen sein. Jetzt geht es um Umsetzung und Wirkung. In diesem Sommer starten zum Beispiel fast 80 Schulen auf einmal in den Ganztag. Die Schulen brauchen jetzt keine neue Reform, sondern Zeit, das Begonnene gut umzusetzen.