Der Senat klärt derzeit, ob die rund 300 Afrikaner ohne Visa zurück nach Italien kommen. Mittelfristig könnten sie nicht in der Hansestadt bleiben. Viele von ihnen leben inzwischen auf der Straße.

Hamburg. Die rund 300 in Not geratenen libyschen Flüchtlinge, die in Hamburg derzeit auf der Straße leben, müssen die Hansestadt auf mittlere Sicht verlassen. „Wir klären zurzeit, wie die Betroffenen, deren Visa abgelaufen sind, nach Italien zurückkommen“, sagte Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). Die Politik bemüht sich auf allen Ebenen um eine Lösung. Die Bundesregierung sei mit der italienischen Regierung über diese Thematik im Gespräch, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums abendblatt.de am Dienstag. Bei einem Treffen Mitte Mai hätten sich die italienischen Vertreter wie rechtlich vorgesehen zur Rückübernahme der Menschen bereit erklärt. Liefen die Visa aus, könnten aufenthaltsbeendende Maßnahmen in Betracht kommen, erklärte der Sprecher Hendrik Lörges.

In Hamburg berät die Sozialbehörde zusammen mit der Kirche und dem Diakonischen Werk der Kirche, wie den Menschen kurzfristig geholfen werden kann, die derzeit hinter dem Bismarck-Denkmal auf Bänken und unter Bäumen campieren. In allen Bezirken wird nach einer geeigneten Unterkunft gesucht – bisher ohne Erfolg, weil die Belegungssituation ohnehin angespannt ist. Eine Unterbringung in Zelten lehnt Scheele ab. „Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung, die den Menschen gerecht wird, zugleich aber auch der Rechtslage – mit dem Ziel dass die Flüchtlinge dahin zurückkehren, wo sie arbeiten und für ihrer Lebensunterhalt sorgen können und wo sie sein dürfen“, sagte Swantje Glismann, Büroleiterin von Innensenator Michael Neumann (SPD). Ein Treffen mit Vertretern der Flüchtlinge selbst am Dienstagvormittag brachte kein Ergebnis. Sie möchten gern langfristig in Hamburg bleiben, was die Behörde ablehnte.

Die libyschen Flüchtlinge waren, wie abendblatt.de berichtete, über das Mittelmeer von Nordafrika nach Italien gekommen und dort zunächst in temporären Flüchtlingsaufnahmeeinrichtungen untergebracht worden. Als die EU-Hilfe für sie auslief und die Einrichtungen geschlossen wurden, wollte Italien sie loswerden. So erhielten die Flüchtlinge nach eigenen Schilderungen 500 Euro Prämie von der italienischen Regierung dafür, dass sie die Unterkunft freiwillig verlassen – und wurden zugleich mit Schengen-Visa ausgestattet, die es ihnen erlauben, sich drei Monate lang in Schengenländern aufzuhalten. Das geht aus einem Schreiben des Bundesinnenministeriums an die Ausländerbeauftragten der Länder hervor, das abendblatt.de vorliegt. „Den Flüchtlingen wurde das Geld mit dem Hinweis in die Hand gedrückt, dass sie nach Deutschland reisen sollten“, heißt es dazu aus der Hamburger Innenbehörde.

Bemerkenswert ist, dass der überwiegende Teil von ihnen nach Hamburg ausreiste, wo die Menschen zunächst im Rahmen des Winternotprogramms untergebracht waren. Insgesamt soll „eine mittlere dreistellige Zahl“ von Flüchtlingen nach Deutschland gekommen sein – von diesen leben nun 300 in Hamburg. Hier sind viele von ihnen mittlerweile obdachlos, weil sie in der Bundesrepublik keinerlei Anspruch auf Unterstützung haben. Sie hätten keine Arbeitserlaubnis und keinen Recht auf Unterbringung und Sozialleistungen, so Sozialsenator Scheele. Die Stadt bemühe sich zwar, für die obdachlosen Flüchtlinge Unterkünfte und Hilfe zu organisieren. Scheele schränkte jedoch ein: „Es wäre unverantwortlich, falsche Erwartungen zu wecken; die Rückreise ist die einzige Option.“ Nach Informationen von abendblatt.de läuft die Dreimonatsfrist, innerhalb derer die Menschen sich in den Schengenländern aufhalten dürfen, bei den meisten der Libyer demnächst aus – oder ist bereits abgelaufen.

In der Politik hat das Verhalten der italienischen Regierung, die Flüchtlinge mit Aufenthaltstiteln für andere Schengenländer zu versorgen und ihnen sogar 500 Euro Prämie zu zahlen, für Empörung gesorgt. „Für mich ist das ein unverständlicher Vorgang. Ich weiß nicht, auf welcher Rechtsgrundlage die Italiener da handeln“, sagte der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. Auch Manuel Sarrazin, der für die Grünen der Hansestadt im Bundestag sitzt, sagte: „Es ist nicht zu rechtfertigen dass die italienische Politik zu derartigen illegalen Mitteln greift, abgesehen von der menschlichen Zumutung für die Flüchtlinge, denen dadurch ein ordentliches Asylverfahren versperrt wird.“ Allerdings sei Italien von der sehr großen Zahl von Flüchtlingen überfordert, die über das Mittelmeer kämen. Sarrazin forderte, es müsse einen stärkeren europäischen Ausgleich bei dieser Aufgabe geben, gegen den Deutschland sich aber seit längerer Zeit versperre. „Dies ist ein europäisches Problem. Deutschland muss sich an einer solidarischen Lösung beteiligen“, so Sarrazin.

Erst einmal müsse man den betroffenen Menschen helfen und dies von rechtlichen Fragen trennen, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen. Deutschland müsse das Verhalten Italiens aber beim nächsten EU-Treffen ansprechen. „Schengen-Visa für diese Menschen auszustellen, ist definitiv keine Lösung, das kann es und darf es nicht sein“, sagte der Liberale. Man müsse überlegen, ob man die Menschen vor Ort in Libyen stärker mit Aufbauhilfe unterstütze, um ihnen die Gründung einer Existenz in ihrem Heimatland zu erleichtern. Sozialsenator Scheele äußerte sich dagegen zurückhaltend: „Mich wundert so ein Verhalten“, sagte er zum Vorgehen Italiens nur.

Die evangelische Kirche hatte bereits eine Liberalisierung des Aufenthaltsrechts und eine gründliche Überarbeitung der europäischen Asylpolitik verlangt. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs und die Vorsitzende des Diakonischen Werks, Landespastorin Annegrethe Stoltenberg, begrüßten die Bemühungen der Hamburger Behörden, ihren humanitären Verpflichtungen nachzukommen, forderten jedoch zeitnah eine Lösung.