Große Mehrheit - für den Bürgermeister und für den Volksentscheid
Es hätte ein perfektes Wochenende für Olaf Scholz, den Senat und die SPD werden können. Der Bürgermeister und seine Regierung erhalten gute Noten, 51 Prozent der Hamburger würden die Sozialdemokraten wählen, wenn an diesem Sonntag Bürgerschaftswahl wäre - mehr geht kaum. Doch Scholz und seine Parteifreunde werden heute und in den nächsten Tagen über etwas anderes sprechen, und das ist für sie alles andere als erfreulich. Die deutliche Mehrheit, die es in der Stadt für den kompletten Rückkauf der Energienetze gibt, könnte den SPD-Senat zum ersten Mal vor ein ernstes Problem stellen. Jetzt hat auch Olaf Scholz seinen Volksentscheid - und bis September Zeit, die Stimmung in Hamburg zu drehen.
Es ist sicher noch zu früh, "Unser Hamburg - unser Netz" mit "Wir wollen lernen" zu vergleichen. Doch Parallelen drängen sich natürlich auf. Genau wie der Volksentscheid gegen die Einführung der Primarschule ist das Projekt zum Rückkauf der Energienetze professionell organisiert und vorbereitet. In beiden Fällen gab beziehungsweise gibt es in der Bürgerschaft eine breite Mehrheit gegen die Pläne der Initiativen, und in beiden Fällen droht der Regierung eine Niederlage. Bei "Wir wollen lernen" war diese bekanntlich der Anfang vom Ende des schwarz-grünen Senats unter Ole von Beust und damit der Start der Ära Scholz.
Nun ist die Position des amtierenden Bürgermeisters heute eine andere, als es die seines Vorgängers in Zeiten des Volksentscheids war. Scholz ist stark und beliebt, ein ernst zu nehmender Herausforderer nirgendwo zu erkennen. Die CDU käme in Hamburg derzeit gerade auf 23 Prozent, die FDP wäre nicht einmal mehr in der Bürgerschaft. Scholz und der SPD würde deshalb selbst bei einem aus ihrer Sicht negativen Volksentscheid nicht das Schicksal der schwarz-grünen Koalition drohen. Die Gefahr für den aktuellen Senat ist eine andere: Sollte Hamburg wirklich das gesamte Energienetz wieder in Eigenregie betreiben müssen, im Moment hält die Stadt lediglich 25,1 Prozent, müsste man dafür noch einmal eineinhalb Milliarden Euro besorgen. Das wäre ein schwerer (Rück-)Schlag für den Haushalt und die Bemühungen der Regierung, diesen zu sanieren.
Im Notfall, das heißt, wenn der Volksentscheid die erforderliche Mehrheit findet, könnte der Senat den Rückkauf der Netze zwar auf anderen Wegen vermeiden. Besser wäre es aus Sicht von Olaf Scholz natürlich, wenn es so weit gar nicht kommen müsste. Denn Bürgermeister, die Volksentscheide ignorieren oder nicht umsetzen, werden in Hamburg, einer der Hauptstädte eben solcher Initiativen, sicher nicht an Popularität gewinnen. Kommt hinzu, dass die nächste Abstimmung schon vorbereitet wird: Aktuell machen die Gegner des verkürzten Abiturs mobil, Stichwort: G9.
Der Hamburger Senat wird also in den kommenden Wochen und Monaten bis zum Volksentscheid, der parallel zur Bundestagswahl am 22. September angesetzt ist, einen anderen Wahlkampf machen müssen als geplant. Nicht nur für einen Wechsel in Berlin und den Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, sondern, aus Hamburger Sicht viel wichtiger, gegen den Rückkauf der Energienetze. Das Duell gegen die Befürworter wird nun tatsächlich die erste große Bewährungsprobe für Olaf Scholz, und es wird interessant zu beobachten sein, mit welcher Strategie und in welchen Bündnissen sich der Bürgermeister der Volksinitiative stellt.
Bleibt zu sagen, dass die Hamburger CDU die geschilderten Probleme von Scholz gern hätte. Dass die größte Oppositionspartei zwei Jahre nach der Wahl immer noch nur knapp über 20 Prozent liegt, ist dramatisch. Noch dramatischer ist, dass man nicht erkennen kann, wie und vor allem mit wem sie das in den zwei Jahren bis zur nächsten Wahl ändern will.