Das erste christliche Gotteshaus der Stadt wird umgewandelt. Ein Dammbruch, ein Fanal? Oder ein ungewöhnlicher Ort zum gemeinsamen Gebet.
Der Turm im Hamburger Stadtteil Horn ragt 44 Meter hoch in den trüben Winterhimmel. Noch immer ist er für die Bewohner an der Galopprennbahn so etwas wie ein Wahrzeichen ihres Stadtteils. Auch wenn seine Glocken nicht mehr zum Gottesdienst rufen. Denn seit 2002 ist die evangelische Kapernaum-Kirche samt Rastergitter-Turm stillgelegt. Aus Kostengründen.
Im Oktober aber, so will es der Plan, werden hier wieder Menschen beten, nicht zu "Gott", sondern zu "Allah". Denn das entwidmete christliche Gotteshaus befindet sich seit Kurzem im Besitz einer muslimischen Gemeinde (das Hamburger Abendblatt berichtete). Ein Investor, der die Ex-Kirche zwischenzeitlich übernahm, hat sie an das islamische Zentrum Al-Nour verkauft, was so viel wie "Licht" bedeutet.
Seit diese Nachricht vom Weiterverkauf bekannt ist, liegt ein erster Schatten über der multireligiösen Landschaft jener Metropole, die im Mai 100.000 Besucher zum Deutschen Evangelischen Kirchentag erwartet. Als einen "Dammbruch" bezeichnete der frühere Michel-Hauptpastor Helge Adolphsen den Verkauf. Höchst verwundert zeigt sich der katholische Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. "Die Austauschbarkeit von Christentum und Islam ist nicht im Sinne eines guten interreligiösen Dialogs." Als "kontraproduktiv" und ein "Fanal" bewertet Pastor Ulrich Rüß, Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der evangelischen Nordkirche, den Schritt vom Kreuz zum Halbmond. Und CDU-Landeschef Marcus Weinberg erklärt, die Umwandlung einer ehemaligen Kirche verursache viel Unsicherheit in der Bevölkerung. Auf diese Weise werde kaum erreicht, das Miteinander der Religionen und Kulturen zu verbessern.
Solche Kritik kommt freilich zu spät. Denn seit der Jahrtausendwende leiden die beiden großen Volkskirchen bei sinkenden Mitgliederzahlen auch unter der finanziellen Bürde ihrer alten Bauwerke. Vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und des beginnenden "Wirtschaftswunders" war eine Vielzahl von Gotteshäusern entstanden. Nicht alle verströmen einen Charme, der heute ästhetischen Ansprüchen genügt. Allein im ehemaligen evangelischen Kirchenkreis Alt-Hamburg stammt gut ein Drittel der Sakralbauten aus dieser Zeit, auch die Kapernaum-Kirche, 1961 von Architekt Otto Kindt entworfen.
Mit zunehmendem Alter treten allerdings immer mehr Schäden an den Sakralbauten auf. Für die Reparatur der Horner Kirche wären im Jahr 2000 rund 1,5 Millionen D-Mark fällig gewesen. Kaum leistbar für die klamme Gemeinde. Der Sanierungsbedarf der evangelischen Kirchen in der Hansestadt wurde damals auf mehr als 50 Millionen Euro geschätzt.
Weil kirchliche Spendenappelle nicht die gewünschte Wirkung erzielten, wurde das Gotteshaus 2002 entwidmet und an einen Investor verkauft, also religiös praktisch stillgelegt. Ähnlich handelten in solchen extremen Sanierungsfällen auch katholische Gemeinden, die ihre Gotteshäuser zum Beispiel an Bestattungsunternehmen und Steinmetze veräußerten. Dabei wusste jeder Verantwortliche, was der frühere Hamburger Hauptpastor und Ex-Senatssprecher Lutz Mohaupt so auf den Punkt brachte: "Es ist schwieriger, ein kontaminiertes Gebäude zu verkaufen als eine Kirche."
Eine entwidmete Kirche kann Investoren etliche Möglichkeiten bieten. Sie reichen von Wohn- und Büroprojekten bis zu Restaurants. Nur eine Moschee - das konnte sich in Hamburg bislang noch niemand vorstellen. Dabei zeigen Fälle aus Berlin und Nordrhein-Westfalen, dass so etwas in Freikirchen bereits geschehen ist. So wurden zwei neuapostolische Kirchen in Berlin (2007) und Dortmund (2008) zu Moscheen. Und in Mönchengladbach verkauften die Methodisten ihr Gemeindehaus an die Aleviten.
Mit gutem Grund. Während die Säkularisierungswelle die christlichen Kirchen mit voller Wucht trifft, wächst das muslimische Leben in Deutschland. In Hamburg leben 130.000 Muslime. Derweil liegt der Anteil der evangelischen und katholischen Christen in der Hansestadt bei nur noch bei knapp 40 Prozent (bundesweit: 59,4 Prozent). Die Hamburger Muslime wollen zu Recht - und auf der Basis eines Staatsvertrags mit dem Senat - ihr religiöses Leben nicht länger in Hinterhof-Moscheen praktizieren. Sondern dort, wo sie leben. Die Horner Kirche kam ihnen wie gerufen. "Wir freuen uns darüber, dass es sich um eine denkmalgeschützte Kirche handelt, die wir nun erhalten können", sagt Daniel Abdin, Vorstandsvorsitzender des islamischen Al-Nour-Zentrums und neuer Eigentümer. Seine Gemeinde suche den Dialog mit Juden und Christen.
Auf den Weiterverkauf an die Moscheegemeinde, stellt Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs klar, hatte die evangelische Kirche keinen Einfluss. Seit 2007 - also nach dem Kapernaum-Verkauf - gelten in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) strengere Leitlinien. "Jetzt wäre der Verkauf einer ehemaligen Kirche an eine nicht christliche Religionsgemeinschaft nach der heute geltenden Rechtsordnung der Nordkirche gar nicht mehr möglich", sagt sie. Mit einem weiteren spektakulären Fall rechnen die Kirchenoberen in Hamburg nicht.
Zwar fordert jetzt CDU-Landeschef Marcus Weinberg, mit dem muslimischen Verein über "attraktive Gebäude-Alternativen" zu sprechen. Doch das klingt ein bisschen populistisch. Vielleicht könnte aus der Kirchen-Moschee auch etwas Gutes für das religiöse Miteinander wachsen. Es muss ja nicht gleich ein Muezzin auf den Kirchturm steigen und per Lautsprecher zum Gebet rufen.
"Das Miteinander von Religionen in Hamburg kann auch beinhalten, dass Kirchengebäude, die nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck genutzt werden können, anderen Religionen angeboten werden", sagt Professor Wolfram Weiße, Direktor der Akademie der Weltreligionen an der Universität Hamburg. "Ich halte es für übertrieben, von einem Dammbruch zu sprechen. Es droht schon gar nicht der Untergang des Abendlandes", ergänzt Katajun Amirpur, Hamburgs erste Islamprofessorin.
Der frühere Michel-Hauptpastor Helge Adolphsen hat sogar eine konkrete Idee für die "Kapernaum"-Moschee: Wie einst Papst Johannes Paul II. die italienische Gemeinde Assisi zum Gebetsort der Weltreligionen gemacht hat, so könnte auch die neue Moschee dem gemeinsamen Gebet dienen.