Das Grandhotel feiert an diesem Sonnabend Geburtstag. Was hat das Haus nicht alles erlebt? Haile Selassie ließ sich ein Auto auf die Etage bringen.
Kaiser Haile Selassie von Äthiopien war neugierig. Irgendwie reizten ihn diese Erfindungen der westlichen Welt. Kaum hatte er im Hotel Atlantic Quartier bezogen, schickte er einen Boten zum Hoteldirektor Geyer: Er wolle sich einen Messerschmitt-Kabinenroller ansehen.
Da war guter Rat teuer, denn es war Sonntag, und Familie Geyer saß gerade in ihrer Wohnung im vierten Stock, unter der Weltkugel, am Frühstückstisch. Zum Glück hatte Sohn Oscar eine Idee, und wenige Stunden später stand der auf Hochglanz polierte Zweitakter vor dem Eingang des Hotels an der Alster.
Kurzerhand wurde das Gefährt in den Lastenaufzug bugsiert und in den dritten Stock gefahren. Haile Selassie bewohnte die Prunk-Suite mit der Nummer 311. Er war hocherfreut, betastete vorsichtig das motorisierte Dreirad und die Plexiglashaube über der Fahrerkanzel, die fast so aussah wie ein Cockpit im Flugzeug, und setzte sich hinein. Den 250ccm-Motor ließ er aber nicht an. "Um auf dem Flur herumzufahren, war er zu höflich", glaubt Marina Offen, Tochter des damaligen Hoteldirektors Oscar H. Geyer (1932-68), die die Szene als junges Mädchen miterlebt hat.
"Ich fand es toll, im Hotel zu leben, mit den Leuten aus aller Welt. Ich war ein neugieriger Typ", sagt sie. "Und wenn der Schah mit seiner Frau kam und sie mit dem Fahrstuhl nach unten fuhren, lief ich immer ganz schnell die Treppe hinunter, um den Anblick der Kleider unten noch mal zu genießen." Kaum waren die Ehrengäste aus dem Haus, schloss Marina sich den Zimmermädchen an, um voller Ehrfurcht die kostbaren Kleider der persischen Kaiserin in der Suite anzusehen: "Wahnsinnsroben".
Ob es nun um einen Föhn ging - damals in Hotels noch keineswegs üblich -, den Zarah Leander brauchte und von Marinas Mutter erbat, oder sie im großen Festsaal als kleines Mädchen die Gäste beobachtete, sie war immer mittendrin: "Wir lagen auf dem Fußboden und haben zwischen den Säulen hindurch den Damen in den Ausschnitt geguckt." Der bestgehasste Mann unter den Atlanticanern war zu ihrer Zeit übrigens O.W. Fischer: "Der brachte immer eine Siamkatze mit."
Damals war das Hotel etwa halb so alt wie jetzt, hatte aber schon eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Am2. Mai 1909, nach zwei Jahren Bauzeit mit einem Galadiner eröffnet, hatte es 14 Millionen Mark gekostet: 250 Zimmer, 350 Betten, 100 Badezimmer.
Sechs Tage nach Eröffnung war das Atlantic-Hotel bereits ausgebucht: Die erste Klasse eines Luxusdampfers der Hamburg-Süd brachte 240 neue Gäste. Albert Ballin, damals Direktor der Hapag, war maßgeblich an der Gründung des Hotels beteiligt und lancierte seine betuchten Gäste der großen Passagierschiffe regelmäßig dorthin.
Erster Küchenchef wurde Franz Pfordte. Er war offensichtlich ein Verfechter der eigentlich erst viel später modernen kleinen Portionen und flüsterte einmal einem Gast, der das bemängelte, ins Ohr: "Sie sollen sich bei mir nicht satt essen, sie sollen sich an den erlesenen Genüssen meiner Küche nur etwas delektieren."
Der Erste Weltkrieg kam, und das Geschäft wurde "sehr ruhig", wie es in den Annalen steht. Im Mai 1945, das Atlantic hatte schon Direktionswechsel und die Gründung einer Aktiengesellschaft hinter sich, beschlagnahmte die englische Besatzungsmacht das Hotel. Fünf Jahre beherbergte es nun britische Offiziere. 1943 war es im Krieg einmal getroffen worden, aber ein Dachstuhlbrand konnte rechtzeitig eingedämmt werden, ohne größeren Schaden anzurichten. Im Februar 1950 gaben die Engländer das Hotel wieder den Deutschen zurück. Die Angestellten renovierten es selbst, am 1. März war Wiedereröffnung. 1968 übernahm Karl Theodor Walterspiel das Ruder. "Walterspiel hat es geschafft, das Haus dorthin zu bringen, dass es sich wieder mit dem Vier Jahreszeiten auf eine Stufe stellen konnte", sagt sein aktueller Nachfolger, Sebastian Heinemann. Das Atlantic schaffte es auf die internationale Hitliste der Hotels.
Über die Jahrzehnte sorgten immer wieder begabte Köche für das leibliche Wohl der Gäste und den Ruf des Hotels als Gourmetadresse. Michael Wollenberg zum Beispiel, der im Atlantic gelernt hatte, erkochte sogar die Goldmedaille der deutschen Jugendmeisterschaften. Bekanntester Dauergast seit 14 Jahren ist Udo Lindenbergs, längst zählt er zur Familie der Atlanticaner.
Derzeit führt Sebastian Heinemann das Hotel: "Früher, als Kellner im Hotel Vier Jahreszeiten, dachte ich immer: Was muss man tun, um in dieses große weiße Schloss, das da drüben liegt wie eine Festung, hineinzukommen? Es war irgendwie das Unerreichbare. Und heute, von innen gesehen, ist das Hotel Atlantic für mich immer noch die deutsche Hotellegende." Inzwischen haben Hunderte von internationalen Gästen, darunter gekrönte Häupter, Bundeskanzler und Staatsoberhäupter, Künstler und Schauspieler wie Marlene Dietrich, Gustaf Gründgens, Sean Connery, dazu die Rolling Stones, Michael Jackson und Madonna das Hotel Atlantic in Anspruch genommen.
Seinen 100. Geburtstag feiert es nun nach diversen Besitzerwechseln - heute gehört es zur Kempinski-Gruppe - und dem Verlust der fünf Sterne, die unter anderem aus Scheu vor einem extrem hohen Restaurierungsaufwand nicht wieder beantragt wurden, mit einem großen Tanztee für Freunde, Stammgäste und Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Motto ist: "100 Jahre Leidenschaft. 100 Jahre Gastfreundschaft. 100 Jahre Heimat".
Die Fassade wurde für eine Million Euro renoviert.22 Millionen sollen bis Ende 2010 investiert werden, um alle 226 Zimmer, Flure, Technik und die Heizungsanlage des Haupthauses zu erneuern. Ob dann wohl die Grande Dame der Top-Hotels wieder Sternezuwachs bekommt?