Besser als Frontalbeschulung: Achtklässler der Klosterschule St. Georg starten Streetart-Projekt in der Neustadt.

Hamburg. Zum Kunstunterricht von heute geht es durch eine bunte Toreinfahrt des Gängeviertels . Links und rechts sprühen Kinder die Wände an, einige kleben Schwarz-Weiß-Bilder.

Doch Moment mal: Waren es früher nicht die endlosen Diskussionen über Michelangelo, Dürer oder Warhol, die Kunstunterrichtsstunden am Freitagnachmittag zu zähen Veranstaltungen vorm Wochenende machten? Und war man nicht froh, wenn es vorbei war?

Ja, so war es. Jedenfalls oft. Doch heute: Sitzt da wirklich ein ziemlich begeisterter Haufen Kinder, der mit Hingabe und Teppichmessern Figuren in Plastik ritzt? Haben die Schüler gerade wirklich motiviert Collagen von sich, ihrer Familie und einem Zeitungsbild zurechtgeschnitten?

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Ja, so ist es. Denn Teile des Kunstunterrichts heißen heute Workshop, sind in ein schulisches "Streetart-Projekt" eingebettet und finden im Gängeviertel statt, was per se schon spannender ist als Frontalbeschulung im Klassenzimmer. Zum anderen sind zeitgenössische Künstler auch gute Lehrer. Künstler wie Filomeno Fusco, der sagt: "Wir wollen den Kindern Kunst im öffentlichen Raum näherbringen."

Die Kinder, das sind in diesem Fall Achtklässler des Ganztagsgymnasiums Klosterschule aus St. Georg. Während des Projekts wollen sie mit Lehrerin Nina Sous bis zum Sommer 2012 ein kreatives Verständnis für ihren Stadtteil entwickeln, wollen gesellschaftliche Entwicklungen aufgreifen und den Blick schärfen. Kunstaktionen im öffentlichen Raum sind das Ziel, man könnte es auch "Streetart light" nennen. Illegal, wie manch andere Arbeit im Streetart-Sektor, soll nichts werden.

Das Projekt wird vom Bundesfamilienministerium gefördert. Die Kinder erhalten Hilfestellung von Künstlern, erst im Gängeviertel, dann in ihrem Stadtteil. "Wir wollen Arbeiten anfertigen, die legal sind und kein Recht verletzen", sagt Filomeno Fusco. "Und mit welcher Energie die Kinder dabei sind, ist begeisternd."

Der Mann hat Erfahrung mit Kunst im öffentlichen Raum. Seinen bald öffnenden "Versace-Shop" auf dem Kiez hielten 2010 viele für authentisch und machten ihrem Unmut mit Eddingbotschaften Luft. Dabei war es ein Kunstprojekt, das mit der Gentrifizierungsdebatte spielte und durch die Kommentare zu neuer Kunst wurde.

Ähnlich kritische Kunstkommentare zum Stadtteil St. Georg sollen die Schüler bis zum Sommer erarbeiten. "Sie sollen sich mit Kunst und ihrer möglichen Wirkung auf die Umgebung auseinandersetzen", sagt Lehrerin Nina Sous. So wie es Streetart im besten Fall macht. Hansaplatz, Lange Reihe - Orte für Kontroverses gäbe es genug. Und damit auch die richtige Form gewählt werde, ging dem Projekt ein Workshop voran, bei dem Stilverständnis vermittelt wurde: Graffiti sprühen, Schablonen machen, Plakate entwerfen, Buttons entwickeln, Collagen zusammenstellen - Streetart hat schließlich viele Ausdrucksformen.

"Ich habe Fotos meiner Uroma und von mir genommen, sie in der Mitte zerschnitten, wieder zusammengesetzt und ein eigenes daraus gemacht", sagt etwa Achtklässlerin Karla Behrendt. Ihr bringe das Experimentieren Spaß. Wie alle anderen brachte sie neben persönlichen Fotos auch ein Zeitungsmotiv und ein kunsthistorisch wertvolles Bild ein. Übereinandergeschichtet ergab das höchst sehenswerte Kunst. Auch Cyrlan Bayol brannte für den neuen Unterricht: "Besonders das Sprühen macht mir Spaß. Man kann hier eigene Ideen umsetzen."

Entstanden ist ein Wandbild der ganzen Klasse - kreatives Zeugnis eines funktionierenden Kunstunterrichts.