Bei der feierlichen Eröffnung des neuen Verlagsgebäudes in der HafenCity begrüßt Hamburgs Bürgermeister den Verbleib der Zentralredaktion.
Hamburg. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat die Entscheidung des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" begrüßt, seine Zentralredaktion weiter in Hamburg zu halten. "Das Herz des kritischen, unabhängigen und innovativen Journalismus schlägt weiterhin in Hamburg", sagte Scholz am Montag bei der feierlichen Eröffnung des neuen Verlagsgebäudes in der Hamburger HafenCity. Von Hamburg aus wahre die Zentralredaktion des "Spiegel" den gebührenden Abstand von den "Irrungen und Wirrungen des Regierungssitzes Berlin". (dapd)
+++ Grundstein für das neue "Spiegel"-Gebäude +++
+++ Im "Spiegel-Haus" droht Leerstand +++
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Bürgermeister Olaf Scholz wird sprechen. Und Peer Steinbrück auch. Wenn die Reden gehalten sind, wird gefeiert - auf fünf der 13 Etagen des Neubaus auf der Ericusspitze und in einem Festzelt. Drei Bands werden spielen, drei DJs auflegen. Und weil "Spiegel"-Partys traditionell rauschende Feste sind, werden die letzten Gäste vermutlich erst am frühen Morgen gehen.
Das neue Gebäude, dessen Einweihung das Hamburger Nachrichtenmagazin heute Abend feiert, ist nicht nur ein Verlagshaus, sondern auch ein Statement. Und das lautet in etwa so: Seht her, wir sind ein mittelständisches Unternehmen, das sich einen auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Palast in bester City-Lage leistet. Und wir sind nicht irgendein Unternehmen: Unser Kerngeschäft ist Journalismus in gedruckter Form, eine Branche, die dem Tode geweiht sein soll. Mag sein, dass Wettbewerber Probleme haben. Wir aber, die wir in diesem Prachtbau residieren, strotzen nur so vor Kraft.
Das ist nicht übertrieben: 2011 wird die Spiegel-Gruppe zum zweiten Mal in Folge nach dem Krisenjahr 2009 ihre Erlöse steigern, auf dann voraussichtlich 325 Millionen Euro. Die Umsatzrendite ist zweistellig. Da kann es die Gruppe verkraften, dass ihr Sorgenkind Spiegel TV rote Zahlen schreibt. "Spiegel Online", das im Neubau ganz oben im 13. Stock sitzt, ist dagegen profitabel.
Und der gedruckte "Spiegel", die Cashcow des Hauses, steht trotz des branchenüblichen leichten Auflagenrückgangs bestens da: Konkurrent "Focus" spielt weder publizistisch noch sonst irgendwie eine Rolle. Und der "Stern", mit dem sich der "Spiegel" noch vor ein paar Jahren einen harten Kampf um die Marktführerschaft im Segment der aktuellen Wochenmagazine lieferte, ist gemessen an den verkauften Exemplaren klar abgehängt.
Eigentlich ist bei dem Nachrichtenmagazin alles im Lot. Doch wenn man mit Redakteuren spricht, merkt man, dass nicht alle in der Redaktion glücklich mit der derzeitigen publizistischen Linie des Blattes sind. Vergangene Woche machte sich die Unzufriedenheit an der Titelgeschichte über Schlaflosigkeit fest. Darf der "Spiegel" der Auflage wegen in Zeiten von Euro-Krise und Arabischem Frühling mit einem zerwühlten Bett und der Schlagzeile "Wenn die Nacht zum Alptraum wird" aufmachen?
Aber den Kritikern in der Redaktion missfallen nicht nur profane Servicetitel. Umstrittener war eine Woche zuvor die Ausgabe mit Helmut Schmidt und Peer Steinbrück auf dem Cover. "Er kann es" schlagzeilte das Blatt und machte sich so zum Instrument einer Kampagne, die zweierlei befördern soll: den Abverkauf von Schmidts und Steinbrücks Buch "Zug um Zug" sowie Steinbrücks Bemühungen, Kanzlerkandidat der SPD zu werden. Dabei störte den "Spiegel" offenbar nicht, dass das Gespräch kaum Neues bot. Auffällig war das fast vollständige Fehlen kritischer Nachfragen. Man hätte Schmidt, nachdem er Steinbrück bescheinigt hatte, ein guter Kanzlerkandidat zu sein, ja fragen können, ob das nicht auch auf die Parteifreunde Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel zutreffe.
Woher rührte die Zurückhaltung gegenüber Schmidt und Steinbrück? Einige "Spiegel"-Redakteure haben da eine ganz spezielle Theorie: Ihr Chefredakteur Georg Mascolo, sagen sie, lasse sich von Nützlichkeitserwägungen leiten. Vielleicht könne Steinbrück, sollte er tatsächlich Kanzlerkandidat oder gar Kanzler werden, den "Spiegel" mit exklusiven Informationen versorgen. Aber denkt Mascolo wirklich so? Leider lässt sich das nicht ergründen. Der "Spiegel"-Chef redet nicht mit dem Abendblatt - jedenfalls nicht jetzt.
Dass der Chefredakteur derzeit Gesprächswünsche abschlägig bescheidet, mag an einem Interview mit dem Fachblatt "Journalist" liegen, das Anfang September erschien. Darin macht der 47-Jährige eine denkbar schlechte Figur. Er blockt Fragen ab, windet sich, weicht aus. Dabei arbeitet Mascolo seit den 80er-Jahren als Journalist. Seit Februar 2008 ist er "Spiegel"-Chefredakteur. Gemeinsam mit Mathias Müller von Blumencron folgte er auf Stefan Aust, dem das Blatt viel zu verdanken hat. Aust modernisierte Mitte der 90er-Jahre den "Spiegel" von Grund auf, der damals - man mag es aus heutiger Sicht kaum glauben - sowohl auf dem Leser- als auch auf dem Anzeigenmarkt heftig attackiert wurde. Doch zuletzt empfanden die Redakteure seinen Führungsstil als autokratisch. Als Mascolo und Müller von Blumencron die Chefredaktion übernahmen, ging ein Aufatmen durch die Redaktion. "Endlich wurde in den Konferenzen wieder politisch diskutiert", sagt ein lang gedienter "Spiegel"-Mann.
Einem anderen fällt auf, dass die beiden zunächst so ihre Schwierigkeiten im neuen Job hatten. "Anfangs schwammen die beiden", sagt er. "Und das auch noch in unterschiedliche Richtungen." Nicht nur ihm war klar, dass die Doppelspitze keinen Bestand haben konnte. Zu unterschiedlich sind der machtbewusste Rechercheprofi Mascolo, ein Ziehsohn Austs, und der eher ruhige, mitunter entscheidungsschwache Müller von Blumencron, der zuvor "Spiegel Online" vorstand. Es dauert dann aber doch drei Jahre, bis Müller von Blumencron im Februar dieses Jahres als Chefredakteur für digitale Produkte aus der Chefredaktion des Nachrichtenmagazins weggelobt wurde.
Mascolos erster Titel nach dem gewonnenen Machtkampf gilt heute vielen in der Redaktion als sein schwächster. Es ist eine Story über die "Bild"-Zeitung ("Die Brandstifter"), die wie das Abendblatt in der Axel Springer AG erscheint. Nun lässt sich ein Boulevardblatt, das sich so exponiert wie "Bild", leicht angreifen. Doch die Liste der Verfehlungen, die das Nachrichtenmagazin "Bild" vorhält, kommt dem Leser seltsam vertraut vor. Neue, bislang unbekannte Fälle enthält das Stück nicht.
Zudem moniert der "Spiegel", "Bild" biete Thilo Sarrazins kruden Thesen zur Migration ein Forum. Das hat das Nachrichtenmagazin allerdings auch getan: Es veröffentliche einen unkommentierten Vorabdruck von Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab". In einem Interview, das neben der Titelgeschichte steht, reibt "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann den "Spiegel"-Kollegen genau das unter die Nase. Und er verrät ein bis dahin unbekanntes Detail: Der "Spiegel" habe Sarrazin für den Vorabdruck "sogar Geld gezahlt", im Gegensatz zur "Bild", die ebenfalls Auszüge des Buches vorab brachte.
Wie sehr Mascolo die verunglückte Titelgeschichte noch heute schmerzen muss, wird in seinem Interview mit dem "Journalist" deutlich. Achtmal bittet ihn das Blatt um eine Einordnung, achtmal bleibt er sie ihm schuldig.
Vermutlich hat Mascolo die misslungene Story über das Boulevard-Blatt mehr mitgenommen als die Affäre um den aberkannten Henri-Nannen-Preis seines Redakteurs René Pfister in der Kategorie Reportage. Diesem war die begehrte Auszeichnung für deutschsprachige Printjournalisten wieder entzogen worden, weil er in dem Stück, für das er geehrt wurde, eine Modelleisenbahn in Horst Seehofers Hobbykeller beschreibt, die er nie gesehen hat. Allerdings behauptet Pfister in seiner Geschichte auch nicht, jemals den Keller des bayerischen Ministerpräsidenten betreten zu haben. Seine Beschreibung ist eine szenische Rekonstruktion auf der Basis von Schilderungen Dritter. Das Einzige was man ihm vorwerfen kann, ist, dieses - keineswegs unübliche - Verfahren nicht kenntlich gemacht zu haben.
War das Zufall? Wohl kaum. Durch die minutiöse Schilderung von Details, die ihm Dritte zugetragen haben, erweckt der "Spiegel" seit Jahrzehnten den Eindruck, seine Reporter säßen bei wichtigen Regierungssitzungen unterm Kabinettstisch. Unter Mascolo scheint sich das Nachrichtenmagazin in dieser Hinsicht aber Zurückhaltung auferlegt zu haben. Besonders auffällig war das Anfang Mai bei der Titelgeschichte über die Tötung Osama Bin Ladens, die mit der Versenkung von dessen Leichnam im Arabischen Meer begann. Früher hätte der erste Satz einer solchen Story wohl gelautet: "Kleinere Wellen kräuselten das Meer vergangenen Montagmorgen." Der Leser hätte den Eindruck, ein "Spiegel"-Reporter sei an Bord des US-Kriegsschiffs gewesen, auf dem sich Bin Ladens Leiche befand. Tatsächlich entschied man sich für die etwas sperrigere, dafür aber korrekte Variante: "Das Meer muss halbwegs friedlich gewesen sein am vergangenen Montagmorgen." Kann es sein, dass in Mascolo ein Reformer steckt?
Natürlich gibt es auch unter ihm Stücke, in denen scheinbar allwissende Reporter sich als Welten-Erklärer wichtig machen - beispielsweise die Ende Mai erschienene "Spiegel"-Titelgeschichte über den damals der Vergewaltigung angeklagten Dominique Strauss-Kahn. In ihr wurde verraten, was der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds in seiner Gefängniszelle auf Rikers Island zum Mittagessen bekam ("Gemüsechili mit Reis und Bohnen") und ganz allgemein über "dunkle Zusammenhänge zwischen Sex und Macht" geraunt. Dem Medienjournalisten Stefan Niggemeier diente die Story in seinem Blog als Anschauungsmaterial für das fiktive Journalisten-Seminar "Lernen von den Profis - Modul Lockendrehen auf Glatze XXVI". Ebendiesen Niggemeier hat Mascolo kürzlich zum "Spiegel"-Autor gemacht. Ob es da einen Zusammenhang mit dessen Blog-Eintrag gab?
Womöglich erfährt man heute Abend etwas mehr über den mitunter etwas erratisch wirkenden publizistischen Kurs des Chefredakteurs. Denn außer Scholz und Steinbrück wird auch Mascolo sprechen. Der rote Faden seiner Rede soll ein Zitat von "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein sein: "Sagen, was ist." (Kai Hinrich Renner)