Auf einer früheren Industriebrache am Wasser in Harburg wächst ein neuer Stadtteil. Mit Wohnungen, Büros und Beach-Club

Hamburg. Zwei Hafencitys hat Hamburg. Die eine, neben der Speicherstadt, erdachte Mitte der 90er-Jahre der damalige Bürgermeister Henning Voscherau (SPD). Die andere, am Harburger Binnenhafen, hat sich der Unternehmer Arne Weber, 67, selbst gebaut. Der neue Stadtteil nördlich der Elbe erregt international Aufmerksamkeit, nicht nur bei Architekten. Die Wiedergeburt des Quartiers am Südufer des Stroms geschieht dagegen eher leise.

An der Wand eines Konferenzraums hängen zwei große Luftaufnahmen: der Harburger Binnenhafen vor einiger Zeit und so, wie er in den kommenden Jahren aussehen könnte. Das Areal zwischen Veritaskai und Blohmstraße war eine Industriebrache, als Weber Ende der 1980er-Jahre begann, das erste Gebäude zu sanieren. "Das war eine alte Seifenfabrik von Lever Sunlicht", sagt er in der Zentrale seines Bauunternehmens HC Hagemann an der Blohmstraße. "In den feuchten Kellern war alles voller Wasserratten. Viele Freunde und Geschäftspartner meinten, Weber, du bist ja verrückt. Lass das doch lieber!" Weber ließ es nicht und stieß für den alten Industriestadtteil ein Fenster in die Zukunft auf.

Backsteinbraun war das Areal, als es seit den 1970er-Jahren mit vielen Unternehmen und Gewerbebetrieben abwärts ging. Backsteinbraun ist es noch heute, aber durchzogen von Glasfronten und einer Vielzahl neuer Fassaden. Zwischen der HafenCity und dem Binnenhafen Harburg gibt es erstaunliche Parallelen, aber auch einen großen Unterschied: "Hier mischt sich teils sehr alte mit ganz neuer Bausubstanz", sagt Weber, "das macht das Flair des Quartiers aus. Wir vermieten keine Quadratmeter, sondern Atmosphäre."

Der gebürtige Harburger Weber ist Unternehmer durch und durch. Die familieneigene Baufirma, die er führt, mischt in Hamburg seit mehr als 140 Jahren an prominenter Stelle mit, derzeit unter anderem beim Neubau der U-Bahn-Linie U 4 vom Jungfernstieg in die HafenCity und bei der Sanierung des Alten Elbtunnels. Auch auf Helgoland dreht Weber ein großes Rad. Seine Mutter stammt von dort und auch die Großmutter väterlicherseits. "Es ist leichter aufzuzählen, was wir auf Helgoland seit der Nachkriegszeit nicht gebaut haben, als die einzelnen Projekte dort durchzugehen", sagt er. Zuletzt erregte Weber Aufmerksamkeit mit der Idee, die Hauptinsel durch eine Aufspülung mit der benachbarten Badedüne zu verbinden. Die Helgoländer lehnten das bei einer Abstimmung mehrheitlich ab.

Das Areal am Harburger Binnenhafen aber baut er seit Jahr und Tag Zug um Zug aus, ein Ende ist nicht abzusehen. Weber geht von seiner Firmenzentrale durch Höfe und über Brücken zur früheren Seifenfabrik, die heutzutage Büroräume beherbergt. Uralte Fachwerkhäuser verbinden sich mit umgebauten Speichern und ehemaligen Werkhallen zu einem Ensemble, das einen weiten Bogen durch die Zeiten schlägt. "Wir wollen einem alten Stadtteil zu neuem Glanz verhelfen", sagt er.

Weber saniert alte Gebäude oder baut neue hinzu, vermietet die Flächen oder verkauft sie. Damit unterscheidet sich HC Hagemann nicht grundsätzlich von vielen anderen Bauunternehmen, die auch mit der Verwaltung und dem Betrieb von Immobilien Geld verdienen. Den Unterschied macht Webers Blick auf das Quartier, dessen Wachstum mittlerweile eine Eigendynamik entwickelt hat. "Die Flächen hier sind ausgebucht", sagt er. Weber agiert in alle Richtungen. Unter anderem nutzte er das rapide Wachstum von Airbus am Standort Finkenwerder, um Zulieferunternehmen aus der Luftfahrtbranche nach Harburg zu ziehen - eine Strategie, die sich auch mit Blick auf die Luftfahrtaktivitäten der Technischen Universität Harburg auszahlt.

Der Bauunternehmer weiß das Angenehme mit dem Profitablen zu verbinden. Im Souterrain der alten Seifenfabrik baute er für den Sternekoch Michael Wollenberg das Marinas, das zeitweise als bestes Fischrestaurant Deutschlands galt. "Aus Hamburg kamen manche Reeder hier mittags mit ihren Sportbooten angefahren", sagt Weber beim Blick aus dem Restaurantfenster auf den Kanal davor. "Zur Blütezeit der New Economy drängten die vermögenderen der Stammgäste darauf, dass wir einen Hubschrauberlandeplatz bauen. Doch dann platzte die Blase." Wollenberg stieg 2003 aus und konzentrierte sich auf sein Restaurant Insel an der Alster. Heutzutage betreibt die Systemgastronomie Einstein das Lokal in Harburg.

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Manche Grundstücke sind noch frei auf dem weitläufigen Areal. Auch das benachbarte Bahngelände, einen früheren Rangierbahnhof, hat Weber bereits im Blick. Vor allem will er künftig Wohnungen in dem Quartier bauen und damit den Charakter eines vollwertigen Stadtteils schaffen. Das knappe Angebot am Wohnungsmarkt kommt ihm entgegen. "Wir haben eine unglaubliche Nachfrage nach Gewerbe- wie nach Wohnraum. Wohnungen wollen wir für den Mittelstand bauen, sodass man sie für akzeptable Preise kaufen oder mieten kann", sagt Weber. Anfangs wollte er nur ein Reifenlager für sein Unternehmen errichten, als er die alte Seifenfabrik sanierte. "Ich dachte, hoffentlich kriege ich damit die Kurve." Er hat sie genommen - und nicht nur diese.

Auf die Wiedergeburt des Harburger Binnenhafens setzt auch der Gastronom Heiko Hornbacher, 48. Bereits in der sechsten Saison betreibt er den Beach-Club Veritas Beach am Veritaskai. Bislang immer von Jahr zu Jahr, länger reichen die Mietverträge mit Harburg nicht. Das Gelände direkt am Wasser ist auch im Visier von Investoren, die dort ein Hotel errichten wollen. "Wir wissen heute noch nicht, ob wir hier nächstes Jahr weitermachen werden", sagt Hornbacher in einer Sitzgruppe mit Blick auf eine kleine Werft, auf Hafenkräne und Sportboote. "Es wäre natürlich großartig, wenn wir längerfristig planen könnten."

Seit 27 Jahren arbeitet Hornbacher in der Branche, in Harburg ist er mit seinen eigenen Restaurants und Kneipen längst bekannt. Auch Gäste vom nördlichen Elbufer schätzen seinen Beach-Club, dessen Atmosphäre dem des Strand Pauli mit Blick auf die Werft Blohm + Voss ähnelt. Allerdings wirkt hier in Harburg alles kleiner, kompakter und stimmiger. Links hinter dem Beach-Club liegt das Hausboot des Countrysängers Gunter Gabriel, vor dem Hafenbecken eine Schleuse. "Wir könnten eine regelmäßige Anbindung mit den Hafenschiffen der HADAG sehr gut gebrauchen", sagt Hornbacher, "das wäre ein echter Schritt für den viel zitierten ,Sprung über die Elbe'".

Denn den Süden der Stadt, sagt der Gastronom, haben die im Norden auch heute noch nicht im Kopf, im Blick und im Herzen. "Der ,Sprung über die Elbe' ist ein politisches Projekt, aber bei den meisten Menschen im Zentrum von Hamburg noch längst nicht angekommen. Solange sie ihre Elbbrücken und ihren Elbtunnel haben, donnern sie im Auto und im Zug an Harburg vorbei."

Hornbacher findet das schade. Am alten Harburger Binnenhafen haben sie in den vergangenen Jahren schließlich alles getan, um die Neugier der Auswärtigen zu wecken, als sie eine Industriebrache mit neuem Leben erfüllten.

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