Hans Apel ist Hamburger, streitbar und kein bisschen müde. In seinem “letzten Buch“ blickt der frühere Minister auf sieben Jahrzehnte zurück.
Hamburg. Bei Apels wird aufgeräumt. Großreinemachen im Reihenhaus in Volksdorf. Endlich haben sie eine Putzhilfe gefunden. Lange hatte Hans Apel deswegen Anzeigen aufgegeben. Zwölf Euro pro Stunde wollte er bezahlen. Netto, mit Rechnung. Denn natürlich kann ein ehemaliger deutscher Finanzminister keine Schwarzarbeiter beschäftigen. Aber es hat sich wochenlang niemand gemeldet. Seine Tochter, sagt Hans Apel, komme als Logopädin auf einen ähnlichen Stundenlohn. Aber Putzen sei wohl aus der Mode.
Einer wie Hans Apel ist auch alles andere als eine Modeerscheinung. Das war er nie. Konnte nicht mit den Wölfen heulen. Findet wohl nichts schlimmer als opportunistische Mitläufer.
Wir gehen, weil unten im Haus gewienert und gewischt wird, nach oben. Hier in seinem kleinen Arbeitszimmer mit Blick in den Garten hat Hans Apel seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben. "Hans, mach du das". Sein neues Buch*. "Und mein letztes." Warum? "Ich wollte noch mal Bilanz ziehen. Das sollte aber keine Selbstverherrlichung werden. Ich wollte zeigen, dass es Spaß macht, blöd zu sein." Na gut. "Und dass es noch mehr Spaß macht, zu zeigen, wie man aus den selbst gebastelten Fallen wieder herauskommt." Hans Apel ist jetzt 78 Jahre alt. In Barmbek als Sohn eines Prokuristen geboren. Sieben Jahre, bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach. Immer noch streitbar und heiter, ohne Angst vor der Konfrontation und für jedermann erreichbar. Er steht nach wie vor im Telefonbuch. So wie damals, als er Finanz- und Verteidigungsminister war. "Heute lassen sich doch schon Mitglieder der Bürgerschaft aus dem Telefonbuch streichen", sagt er. Und meint, dass Politiker immer weniger wirkliche Volksvertreter sind. Und das versteht er nicht.
Der scharfzüngige SPD-Genosse, der bei seinen Wahlkämpfen rund 10.000 Hausbesuche gemacht hat, war stets einer zum Anfassen. Und weil er - öfter als die Politik erlaubt - gesagt hat, was er gerade dachte, gab es viel Prügel. Er hat Mist gebaut und schreibt darüber. Was war besonders blöd? Was wären, sozusagen, die beiden Hits auf seiner persönlichen Blödheitsskala? "Stomeg" und "BMW" sagt er. Das muss er erklären.
1977, Wahlkampf gegen Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg in Schleswig-Holstein. Apel erzählt auf einer Veranstaltung in Heide auf Plattdeutsch den Verkehrsunfall-Witz. Der Verletzte hat auf seinem Penis "Stomeg" tätowiert. Beim Waschen des Patienten wird daraus "Stoltenberg mutt weg". Schweigen im Saale. "Du Blödie", schimpft seine Frau Ingrid. Die bundesweiten Reaktionen gehen von "Entgleisung" bis "Rücktritt".
Zehn Jahre später, im März 1987, flachst er ausgerechnet mit seinem politischen Gegner in Hamburg-Nord, Freimut Duve: "Kennst du die Abkürzung BMW? Brandt muss weg." Die Geschichte landet in den Zeitungen. Ingrid sagt, dass Dummheit bestraft werden müsse. Apel bittet Brandt um Entschuldigung, bietet seinen Rücktritt aus dem Vorstand an.
Ausgerechnet Willy Brandt. Neben Herbert Wehner sein Leuchtturm. Der ihn "mit seiner Menschlichkeit immer wieder getröstet hat". Dem er einen Anruf nie vergessen wird. 1981 ist Apel als Verteidigungsminister "politisch dem Tiefpunkt nahe". Der Nato-Doppelbeschluss macht ihn zum Buhmann der Linken, als Brandt ihn bei einer Nato-Sitzung in Brüssel anruft: "Hans, ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Wenn du zurück bist, komm bitte in die Baracke. Dann besprechen wir bei einem Glas Sherry alles. Und vergiss nicht: Du hast Freunde in der Partei."
Die Partei ist schon seit vielen Jahren nicht mehr sein Freund. Apel nennt den früheren SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine einen "brutalen Egozentriker", Ex-Kanzler Gerhard Schröder "eiskalt" und den jetzigen Partei-Chef Sigmar Gabriel einen "Alleinunterhalter", der den Eindruck erweckt, "wenn er morgen tot umfällt, gibt es gar keine Spitzenkräfte mehr in der SPD".
Apel teilt kräftig aus. Altersmilde geht anders. Er spaziert durch sieben Jahrzehnte deutscher Geschichte, "ohne Rücksicht auf Verluste". Im Grunde, sagt Hans Apel, sei es so wie immer in seinem politischen Leben. "Ich hatte entweder ganz feste Freunde oder ganz richtige Feinde." Für die "war ich immer ein Armleuchter".
Hans Apels Ehrlichkeit beim Blick zurück ist manchmal verblüffend. 1978 schmeißt Bundesverteidigungsminister Georg Leber hin. Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner bedrängen ihn, von den Finanzen zum Militär zu wechseln. Apel zu Schmidt: "Davon habe ich keine Ahnung." Er macht es trotzdem. "Ich bin nicht Politiker aus Eitelkeit, Raffsucht, Machtgier", schreibt er, "obwohl es unredlich wäre, nicht auch das immer wieder bei sich selbst zu entdecken. Ich will vor allem meine Pflicht tun."
Das tat er auch beim FC St. Pauli. "Ich diente dem Verein als Vizepräsident und Vorsitzender des Aufsichtsrates. Viel Freude macht das nicht", schreibt er. Es ging bei den Funktionären "viel zu viel um Eitelkeit und Selbstdarstellung und viel zu wenig um Sachverstand und saubere Finanzplanung". Treu ist er den Kiezkickern bis heute geblieben.
Seit 54 Jahren ist er mit Ingrid verheiratet. Sie war immer an seiner Seite, wenn "die Hohen Priester der Political Correctness ihre Windmaschinen anwarfen". Wenn er diffamiert, beschimpft oder, wie auf dem Hamburger Kirchentag 1981, mit Blut- und Farbbeuteln beworfen wird. Einmal reißt er bei einer Wahlveranstaltung einer Gruppe junger Leute die Flugblätter aus der Hand. Da wollen sie ihm an den Kragen. Ingrid hat plötzlich einen ihrer Pumps in der Hand und brüllt: "Wer meinen Mann anfasst, dem schlage ich diesen Pfennigabsatz in sein Gehirn."
Langweilig oder überflüssig, schreibt Apel, Vater zweier erwachsener Töchter und Großvater für vier Enkelkinder, "sind wir uns nie gewesen". "Noch heute gehen wir niemals nebeneinander her. Wir halten uns an den Händen, wenn es nur irgendwie geht. Und wir küssen uns immer wieder. Manche finden das blöde, wir nicht."
Apel gibt nicht viel auf das, was andere finden. Als er 1952 mit seinem Vater in Lüneburg einen Ostergottesdienst besucht und der Pfarrer in der Predigt gegen die Friedensbewegung "hetzt", steht Hans Apel auf und fragt ihn, ob er schon mal von der Bergpredigt gehört habe und ob das achte Gebot "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten" auch für ihn gelte? Eisiges Schweigen in der Kirche.
Hans Apel betet jeden Abend. Der Glaube ist zum zentralen Thema in seinem Leben geworden. Vor einem Jahr ist bei ihm Blasenkrebs diagnostiziert worden. Er hat die Krankheit überwunden und keine Angst vor dem Tod. "Ich habe die Sachen doch immer vom Ende her betrachtet", sagt er.
* "Hans, mach du das!" Erschienen im Brunnen Verlag Gießen, 14,95 Euro