Hamburger Taucher finden in der Nordsee Wrack des Kreuzers “Wiesbaden“, mit dem 1916 auch der Schriftsteller Gorch Fock versank.
Hamburg. Das letzte Geheimnis der größten Seeschlacht des Ersten Weltkrieges ist gelöst. Auf dem Grund der Nordsee in 52 Meter Tiefe in den Gewässern vor Jütland entdeckte ein sechsköpfiges Taucherteam aus Deutschland das Wrack der "Wiesbaden". Der 141 Meter lange Kleine Kreuzer war bei der Skagerrakschlacht zwischen der deutschen Hochseeflotte und der englischen Royal Navy nach schwerem Beschuss am 1. Juni 1916 um vier Uhr morgens gesunken. 600 Seeleute verloren dabei ihr Leben. Unter den Toten war auch der damals 36-jährige Finkenwerder Schriftsteller Johann Kinau, besser bekannt als Gorch Fock.
"Das Wrack sieht aus, als wäre es von Narben übersät", sagt der Hamburger Tauchlehrer Derk Remmers, einer der Initiatoren der Expedition. Die Einschläge aus den Geschützen seien deutlich erkennbar. "Man kann dem Schiff noch ansehen, wie es zerstört worden ist und wie die Menschen an Bord gelitten haben müssen." Neben dem geschichtlichen Interesse und der Rettung der "Wiesbaden" vor dem endgültigen Zerfall geht es Remmers bei der Wracksuche vor allem "um das Gedenken an die 600 ertrunkenen Seeleute".
Bei der Schlacht vor dem Skagerrak verloren fast 9000 Menschen ihr Leben, sie starben bei Explosionen, ertranken oder erfroren im eiskalten Wasser. Historiker sagen, es habe keinen eindeutigen Gewinner des Gemetzels gegeben. Die Engländer hatten die größeren Verluste, mehr als 6000 britische Seeleute kamen ums Leben, 14 Schiffe sanken. Die Deutschen konnten die Seeblockade nicht brechen, ihr Erfolg bestand darin, der Vernichtung entgangen zu sein.
Die gesunkenen Wracks sind Kriegsgräber. Und der Schlamm, der sich darüberlegt, sagt Remmers, "wirkt manchmal wie ein großes Leichentuch". Es sei schon ein bedrückendes Gefühl gewesen, dort unten zu tauchen und wie in einer Zeitmaschine die Geschichte zu dokumentieren.
Dabei war wenige Stunden zuvor der Jubel noch groß gewesen. Am Sonntag vor einer Woche war die Crew um 19 Uhr vom dänischen Thyborøn aus gestartet. Am Ruder der "Ostsee Star" steuerte der Kieler Kapitän Hilmar Knops die Taucher ins rund 150 Kilometer von der Küste entfernte vermutete Zielgebiet. An Bord hatte das Team ein modernes Side-Scan-Sonar der Firma MBT. "Eine Art Rasenmäher", sagt Derk Remmers. Mit diesem 30.000 Euro teuren Gerät wird der Meeresboden abgesucht. "Zweieinhalb Stunden nach dem Erreichen der angeblichen Untergangsposition tauchte auf dem Sonar plötzlich ein Objekt auf, das wie ein Kriegsschiff aussah", sagt Remmers.
Als das Gerät die Länge des Wracks mit 138 Metern angab, wussten die Taucher, dass sie am Ziel waren. "Die fehlenden drei Meter ergeben sich aus dem jahrzehntelangen Zerfall des Rumpfes", sagt Remmers. Da auf dem Wrack der Name "Wiesbaden" natürlich nicht mehr vorhanden ist, spricht der 39-Jährige von einer "Indizien-Identifizierung". Dazu zählt neben der Länge und der Position die Tatsache, dass das Wrack kopfüber auf dem Grund liegt. Außerdem haben die Taucher fünf Meter vom Rumpf entfernt einen Geschützturm mit 15-Zentimeter-Kanonen entdeckt.
Zum Gedenken an die Toten legten die Expeditionsteilnehmer eine Gedenkplatte, gestiftet vom Magistrat der hessischen Landeshauptstadt, an der "Wiesbaden" ab. Aus Respekt vor den Gefallenen wurden keine Gegenstände aus der Tiefe ans Tageslicht gebracht. "Selbst wenn wir noch menschliche Überreste gefunden hätten", sagt Remmers, "hätten wir sie nicht gefilmt." Den erfolgreichen Tauchgang selbst haben sie per Videoaufnahmen festgehalten. Ein Zusammenschnitt soll später im Fernsehen gezeigt werden, geplant sind weiterhin Vorträge über die Expedition sowie Dokumentationen.
Dann erfahren die Menschen vielleicht auch, dass die deutsche Marine im Oktober 1918 im bereits verlorenen Krieg noch einmal zu einer Entscheidungsschlacht im Englischen Kanal auslaufen sollte. Die Seeleute aber weigerten sich, und dieser Kieler Matrosenaufstand war Ausgangspunkt der Novemberrevolution, die das Ende des Deutschen Kaiserreichs besiegelte.
Gorch Fock hat das nicht mehr erlebt. Seine Leiche wurde an der schwedischen Küste nördlich von Göteborg an Land getrieben. Zusammen mit weiteren deutschen und britischen Seeleuten wurde er auf der kleinen Insel Stensholmen bestattet.