In der Hamburger Asservatenkammer lagerten kinderpornos, die Martin N. belasteten. Doch die Soko “Dennis“ wusste davon nichts.
Wilstorf/Verden. Haben Ermittler im Fall des Kindermörders Martin N. jahrelang ein wichtiges Puzzlestück übersehen? Seit 2006, so wurde jetzt bekannt, haben Fotos, die der Pädagoge Martin N. von Missbrauchsopfer in Schullandheimen gemacht hat, in der Asservatenkammer der Hamburger Polizei gelegen, ohne, dass die Soko "Dennis" davon Kenntnis hatte. Ein Soko-Ermittler sagte dem "Focus": "Wenn wir dieses Material früher gehabt hätten, dann wäre Martin N. schon damals dringend tatverdächtig gewesen."
Ein Opfer, das 1999 von dem Pädagogen, der mindestens drei, vermutlich sogar fünf Jungen getötet und mindestens 40 missbraucht hatte, fotografiert wurde, hat sich jetzt auf den Aufnahmen wiedererkannt. Sie entstanden im Keller des Schullandheims Wulsbüttel, in dem auch der damals neunjährige Dennis K. entführt und getötet worden war. Ein Zeuge, damals Mitschüler von Dennis K., hat sich laut Focus eindeutig auf den Fotos wiedererkannt. Er sei damals ebenfalls von dem schwarzen Mann angesprochen worden, erinnert sich der Zeuge. Er habe ihn dann in den Keller und auf eine Treppe des Schullandheims gelockt und kinderpornografische Fotos von ihm gemacht.
Die Fotos stammen vom Rechner des Wilstorfer Pädagogen, der nach seiner Festnahme drei Morde und 40 Missbrauchstaten an Jungen gestanden hatte. Die Hamburger Kripo hatte den Rechner im Zuge eines Erpressungsverfahrens sichergestellt. N. hatte von einem Mitglied der Berliner Pädophilenszene 20 000 Euro erpressen wollen. Auf dem Rechner des Harburgers entdeckten die Ermittler dann ihrerseits Kinderporno-Bilder. Zu einer Anklage kam es in diesem Punkt nicht, weil der letzte Zugriff mehr als drei Jahre her war. Die Taten wären verjährt gewesen.
Als Ermittler der Soko "Dennis" Martin N. im Jahr 2007 routinemäßig befragten (so hatten sie es mit allen norddeutschen Männern gemacht, die mit Straftaten im Zusammenhang mit Pädophilie aufgefallen waren), nahmen sie offenbar keinen Einblick auf die Asservate, die die Hamburger Polizei von dem Verdächtigen eingelagert hatte. Weil sie nichts davon wussten? Im Gegensatz zu den Hamburger Ermittlern hätten sie, da sie das Wulsbütteler Heim sowohl aus eigener Anschauung als auch von Bildern kennen, realisieren können, dass die Aufnahmen der Jungen dort entstanden sind. Der Hamburger Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers sagt, 2007 hätten Hamburger Ermittler noch keine Anhaltspunkte für einen Zusammenhang der Bilder mit dem Mordfall Dennis gehabt. Die Befragung des Verdächtigen durch die Soko-"Dennis"-Mitarbeiter war ergebnislos geblieben, weil Martin N. die Ermittler anlog.
Erst im März 2011, nachdem ein ehemaliges Missbrauchsopfer einen Hinweis auf Martin N. als möglichen "schwarzen Mann" gegeben hatte, holten die Verdener Ermittler die Asservate in Hamburg ab. Der damalige Mitschüler von Dennis K. habe sich eindeutig als Opfer wiedererkannt, heißt es laut "Focus" in einem Aktenvermerk der Verdener Kripo. Demnach seien zahlreiche Bilder mit kinderpornografischem Inhalt auf dem Computer des 40-Jährigen gesichert worden. Darunter auch Bilder mehrerer Opfer, die nackt und gefesselt waren. Andere waren bis zum Oberkörper im Sand eingegraben. Die drei Jungenmorde, die Martin N. bislang gestanden hat, ereigneten sich - wie auch die zahlreichen Missbrauchstaten - in den Jahren 1992 bis 2001. Zwei Morde werden ihm in den Niederlanden und in Frankreich angelastet.
Seit 2000 lebte und arbeitete der gebürtige Bremer in Harburg. Dort wird Bischofsvertreter Jürgen Bollmann an Ostern an die Opfer des Serientäters erinnern. Montag um 10 Uhr hält er eine Andacht in der St. Johanniskirche (Bremer Straße 9). Bollmann: "Wie feiern wir Ostern im Wissen um die ermordeten und missbrauchten Kinder, während der Mörder noch lebt?" Das Osterfest sei jedoch eine lebendige Hoffnung und ein Zeichen von Leben angesichts der Todeszeichen, so Bollmann.
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