Auch in einer hoch technisierten Welt bleibt ein Restrisiko bestehen
Entsetzen, Ohnmacht, Trauer, Mitgefühl: Das alles sind nur Worte. Und sie allein können die Dimension der Gefühle nicht treffend beschreiben, die wohl alle durchlebt haben, die am Freitag jene schrecklichen Bilder von einer der größten Katastrophen verfolgt haben, die Japan je erschüttert hat. 9000 Kilometer Entfernung, die Deutschland von dem asiatischen Inselreich trennen, sind in Zeiten globalisierter Nachrichtenströme längst kein Hindernis für Emotionen mehr. Der Schrecken wird uns frei Haus geliefert.
Und das ist gut. Denn so können wir uns nicht herausreden: Das haben wir doch nicht gewusst. Mitwissen verpflichtet zur Hilfe. Nutzen wir die Chance, unserem Mitgefühl freien Lauf zu lassen, auch wenn uns manches fremd erscheint, wie die oft stoisch anmutende Gelassenheit, mit der die Japaner auf ihre allgegenwärtige Bedrohung durch die instabilen Erdschichten ihres Inselreiches reagieren. Ebenso wie das kaum zu verantwortende Risiko, Atomkraftwerke in Gefahrenzonen zu betreiben. Was bleibt den Japanern aber anderes übrig? Sie leben seit Urzeiten mit der uns fremden Gefahr und sind nach ihren eigenen Maßstäben vielfach darauf vorbereitet: mental gleichermaßen wie mit einer fortgeschrittenen Technik, die alles daransetzt, auch unbedeutende Anzeichen großer Beben aufzuspüren.
Doch was nützt das all jenen, die ihr Leben lassen müssen, weil das Ausmaß der Erschütterungen jede Dimension menschlicher Vorsorge vielfach übersteigt?
Was nützen alle klugen Überlegungen den armen Opfern? Was im Nachhinein die zermürbenden Fragen, was man hätte verhindern können?
Dennoch ist es unsere Pflicht, die immer gleichen Fragen zu stellen: Was hat der Mensch gelernt aus den vielen Katastrophen der Geschichte, was aus den Zerstörungen 1995, als in der Stadt Kobe der Untergrund 20 Sekunden lang bebte und mehr als 6000 Menschen ihr Leben verloren? Gibt es in dieser technisch hochgerüsteten Welt wirklich kein Gerät, das vor solchen Katastrophen warnt?
Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd: Nein. Der Mensch kann Wahrscheinlichkeiten berechnen, aber die Zukunft nicht vorhersagen. Er kann Risiken abschätzen, aber die Gefahr am Ende nicht ausschließen. Er kann Vorbeben registrieren, aber die folgenden Kettenreaktionen nicht übersehen. Er wird das nie können, auch wenn er mit kleinen Schritten in seinem Wissen weiterkommt. Auch die Natur wird uns nicht weiterhelfen. Tiere, bei denen man eine Art Antenne für Beben nachgewiesen hat, etwa Ameisen, Affen, Vögeln oder Elefanten, geben allzu oft Fehlalarm oder bleiben auch mal ahnungslos, sodass sie als zuverlässige Frühwarner nicht taugen.
Das Beben in Japan zwingt uns zu der bitteren Erkenntnis: Der Mensch kann der Natur das Böse nicht entreißen. Leider vergessen wir das allzu oft. Denn oft genug ist der Mensch selbst das Böse in der Natur oder entfesselt es, weil er zu viel an den empfindlichen Stellschrauben des Gleichgewichts dreht. Und manchmal schlägt die Natur einfach grundlos zu.