Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Ole von Beust beschäftigt sich in seiner ersten Abendblatt-Kolumne mit dem Rücktritt Guttenbergs.
Hamburg. Ist Karl-Theodor zu Guttenberg ein Blender oder ein Märtyrer?
So oder ähnlich lautet nach dem Rücktritt des Verteidigungsministers die Frage, die in der Öffentlichkeit immer wieder gestellt wird. Vor allem auch in den Berliner Fernseh-Talkrunden. Nebenbei sind es vermutlich gerade diese Runden voller so kluger, sündefreier, alles wissender Gäste, die so lange zur anhaltenden Beliebtheit des Ex-Ministers geführt haben. Die wochenlang verkündete Verdammnis eines Menschen muss schon aus Trotz und Menschlichkeit zur Steigerung seines Ansehens führen.
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Ich fürchte, sie ist gut gestellt, trifft aber nicht den Kern. Denn vermutlich wären bei den heute üblichen Recherchemöglichkeiten nahezu alle Märtyrer und Helden, die wir kennen, ebenfalls auch Blender. Sie vollbrachten ausgewählte Taten, die sie zu Helden ihrer Zeit gemacht haben, oder sie opferten sich für eine Sache. Sie wurden verehrt für ihre Großtaten als Feldherren, Wissenschaftler, Künstler, geistige Befreier. Aber kennen wir sie wirklich als komplexe Personen in allen Lebenslagen?
Wissen wir von ihren möglichen Anfechtungen in ihrer Jugend? Ihrem Privatleben, ihrem Finanzgebaren etc.? Natürlich nur oberflächlich, wenn überhaupt. Denn noch niemals zuvor war alles so transparent wie heute.
Internetrecherche, Fotohandys, Leserreporter, computergestützte Auswertungen offenbaren alles zuvor Verborgene. Vor allem dann, wenn man prominent ist und bereits ein Anfangsverdacht auf Unregelmäßigkeiten besteht. Über eine solche Durchleuchtung wären vermutlich auch die Helden und Märtyrer der Vergangenheit gestolpert. Denn - Hand aufs Herz - gibt es nicht bei jedem etwas, von dem er nicht will, dass ein anderer und schon gar nicht ein ganzes Volk es erfährt? Kaum jemand ist vermutlich in seinem Leben frei von Unwahrheiten geblieben.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Der Rücktritt Guttenbergs war richtig und sein Verhalten bezüglich der Dissertation war falsch. Aber Nachdenklichkeit wäre besser als Selbstgerechtigkeit.
Denn wer soll heute eigentlich noch bereit sein, in die Politik zu gehen oder gar aus der Wissenschaft, aus der Wirtschaft oder der Kultur in die Politik zu wechseln, wenn der Preis dafür die komplette Durchleuchtung des eigenen Lebens ist, verbunden mit der Wahrscheinlichkeit, dass irgendetwas Unkorrektes schon gefunden wird?
Bei jedem gibt es wohl etwas, das seine Eignung als Vorbild bezweifeln lässt. Natürlich sind fehlerhafte Doktorarbeiten eher die Ausnahme, aber bei den zugrunde gelegten hohen moralischen Maßstäben sind viele Dinge zu ahnen, die jemanden am Pranger enden lassen. Die Verpflichtung, ein ganzes Leben lang als Vorbild herhalten zu müssen, ist geradezu wirklichkeitsfremd. Für eine solche Überforderung hätten sich wahrscheinlich auch die Helden und Märtyrer der Vergangenheit bedankt.
Jetzt wird auch die Kanzlerin kritisiert. Sie habe zu lange zu Guttenberg gehalten. Und dies nur in Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen, heißt es. Dass Politiker kurz vor Wahlen nicht zu spontanen Aufwallungen neigen, liegt auf der Hand. Am Anfang wird sie dem angegriffenen Minister auch schlicht geglaubt haben.
Im Fortgang der Ereignisse muss man bedenken, dass zu Guttenberg gerade von den Konservativen in der Union schon lange als Symbolfigur eines modernen Konservativismus gesehen wurde. Hätte die Kanzlerin, die als Parteivorsitzende auf die Machtbalance in der Partei achten muss und verdächtigt wird, selbst zu wenig konservativ zu sein und mögliche männliche Alternativen zu ihr weggemobbt zu haben, als Erste den Stab über ihn brechen sollen? Das wäre wohl etwas zu viel verlangt gewesen!