Sozialdemokraten feiern den Regierungswechsel in der Fabrik. Olaf Scholz gibt sich bescheiden
Hamburg. Nur noch wenige Minuten bis Mitternacht eines für die SPD denkwürdigen Tages. "So lucky!" rockt es aus den Lautsprechern, Wunderkerzen brennen, eine Gruppe ausgelassener Jungsozialisten johlt beglückt: "Absolute Mehrheit, schalalala!" Und zum ersten Mal an diesem Abend darf der designierte Bürgermeister ganz Mensch sein: Ohne Kamerabeobachtung und Scheinwerfer steht Olaf Scholz abseits des großen Trubels, nippt an einem Plastikbecher mit Bier und klönt mit vertrauten Parteifreunden. Vorher hatte er eine Runde Softdrinks für seine Sicherheitsbegleiter spendiert. Die Schlacht ist geschlagen, zumindest für heute.
Das Gros der Genossen beweist Standfestigkeit; denn die Party hatte schon knapp sechs Stunden vorher begonnen. Um 18.11 Uhr, gut eine halbe Stunde früher als ursprünglich geplant, betritt Olaf Scholz das Veranstaltungszentrum in Ottensen. Die Signale stehen auf Dunkelrot. Ein Begeisterungsschrei heißt den künftigen Ersten Bürgermeister willkommen. Die kurz zuvor veröffentlichte Prognose verspricht der SPD eine absolute Mehrheit. "Olaf, Olaf!", skandieren mehr als 1000 Parteifreunde. Einige recken rote Plakate in die Höhe. "Solidarisch" steht darauf. Oder "Stark".
Der Sieger dieses Abends quittiert die Ovationen äußerlich gelassen. Ein kurzes Winken mit dem rechten Arm, ein fast zaghafter Gruß mit dem linken, das war's an großen Gesten. "Wir begrüßen unseren neuen Bürgermeister", ruft ein Sprecher ins Mikrofon. An der Seite seiner Frau Britta Ernst positioniert sich der Sozialdemokrat auf der Bühne. "Es ist ein sehr, sehr beachtliches Wahlergebnis", stellt er fest.
Seine Ankündigung, sich zügig an die Arbeit zu machen, geht in erneutem Jubel unter. Das Parteivolk, so der Eindruck, quittiert die ersten Zahlen weit euphorischer als der Spitzenmann, der sich bescheiden gibt.
Dass viele Sozialdemokraten von der Klarheit der ersten Prognosen beinahe erdrückt wurden, zeigt sich zeitgleich in der vornehmen Ruhe rund um die Fernsehstudios im Medienzentrum am CCH. Aus einem Lautsprecher schallten Jubelrufe, die Übertragung von der SPD-Party in Altona. "Das sind wohl wir", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. Neben ihm steht der Abgeordnete Ingo Egloff, sie sind sich einig: "Beinahe unheimlich" seien diese Umfragewerte, sagen die Genossen. Selbstbewusster ist um diese Uhrzeit schon Altbürgermeister Hennig Voscherau: "So ein schönes Ergebnis hatten wir seit fast 20 Jahren nicht", sagt er. Scholz habe gezeigt, dass man Wirtschaftskompetenz und soziale Gerechtigkeit verbinden könne. "Damit werden wir in diesem Jahr bundesweit erfolgreich sein", sagt Voscherau und läuft leichtfüßig durch die Gänge des Messezentrums.
Das Parteileben tobt zu dieser Zeit weiter in Altona in der Fabrik. "Ein Traum wird wahr!", frohlockt Gesine Biller aus Altona-Nord am Getränkestand im ersten Stock. Das Gros der Gäste trinkt Astra aus Plastikbechern, 0,4 Liter für 3,20 Euro; nur wenige bestellen ein Getränk mit heute geradezu symbolischem Namen: Red Bull. Doch Scholz ist längst entschwunden. Ohne seinen Gegner Ahlhaus namentlich zu nennen, hat er sich vorher noch für den fairen Wahlkampf bedankt.
"Dass es an der ganz großen Spannung fehlt, nehme ich nur allzu gern in Kauf", sagt Vinzent Bajohr. Zusammen mit anderen Parteifreunden aus Stellingen verfolgt der Elektriker Zahlen, Interviews und Nachrichten auf dem Riesenmonitor. Während die Vorhersagen für die Grünen links liegen gelassen werden, kommt bei den Zahlen für SPD und CDU regelmäßig lautstarker Beifall auf. "Die schwarzen Jahre sind vorbei", meint Parteiveteran Bajohr. "Nun ist es wieder so schön wie in alten Zeiten." Ein paar Meter weiter fachsimpelt Filmemacher Hark Bohm über klare Hamburger Verhältnisse.
"Entsprechend groß ist die Verantwortung", sagt der designierte Wirtschaftssenator Frank Horch. Er steht daneben, in Hemd und Schlips vornehmer gekleidet als die meisten hier. Auf den Biertischen liegen kleine rote Knautschwürfel mit den drei Buchstaben, die diese Wahlnacht dominieren: SPD. "Ich will hier rein!" steht auf Karten, die unermüdliche Wahlkämpfer auch jetzt verteilen. Doch fällt die Mitgliederwerbung nicht leicht. Fast jeder hier ist bereits Genosse. Das vorläufige Ergebnis bestätigt, dass die SPD mit einer absoluten Mehrheit rechnen kann. Siegen macht durstig: Vor den Getränkeständen bilden sich Schlangen. Auf der Bühne haut Jo Bohnsack in die Tasten. Die Nacht ist laut. Und lang. Was hatte Scholz noch gesagt? "Es ist ein großer Vertrauensvorschuss."