Gestalten statt verwalten - Olaf Scholz muss jetzt beweisen, ob er eine Weltstadt regieren kann.
Ein Erster Bürgermeister in Hamburg muss vieles können, um ein guter Bürgermeister zu sein. Er muss jeden Winkel der Stadt kennen, die Menschen mögen, die hier leben, und helfen, ihre Probleme zu lösen. Und er muss in der Lage sein, regelmäßig einen Gedanken zu äußern, über den anschließend ganz Deutschland spricht. Das alles ist Olaf Scholz zuzutrauen, dessen SPD gestern mit einem beeindruckenden Ergebnis die Bürgerschaftswahl gewonnen hat.
Der Mann aus Altona gilt als detailversessen und akribisch, ist eher Verwalter als Gestalter. Ganz offenbar verkörpert er damit genau das Politikermodell, das sich die Hamburger nach dem für hanseatische Verhältnisse viel zu lauten Abgang von Ole von Beust und dem von der GAL krachend aufgekündigten, früher so strahlkräftigen Bündnis Schwarz-Grün für die Zukunft wünschen.
Gewählt wurde demzufolge, auch in Ermangelung einer wirklichen Alternative, kleineres Karo statt größerer Vision - mehr sichern und bewahren als mutig aufbrechen und wachsen. Ein Mann, der schon vor Jahren wegen seines mangelnden Charismas als "Scholzomat" bundesweite Bekanntheit erlangt hat, wird in der Rolle des Vor-Arbeiters vermutlich nicht enttäuschen und den Wunsch nach einer ruhigen Hand erfüllen können.
Aber ist Scholz allein mit diesen Fähigkeiten wirklich auf Augenhöhe mit Hamburg, der in der Ära Ole von Beusts so herrlich wach geküssten schlafenden Schönen von einst? Scholz wird für Ruhe stehen, das muss nicht schlecht sein. Die anmutige Schwester der Ruhe ist die Muße, der bekanntlich viel Gutes entspringt. Aber ihre hässliche Schwester - das darf auch in der Stunde des größten Wahltriumphes nicht vergessen werden - ist die Langeweile.
Hamburg braucht die Elbphilharmonie und mehr Kindergartenplätze, die Olympia-Bewerbung und mehr bezahlbare Wohnungen, eine tolerante Weltstadtatmosphäre mit vielfältigsten Kulturangeboten und die Elbvertiefung. Wenn Scholz im Zweifel stets nur die zweite Option wählt - also die brave, sofort mehrheitsfähige -, macht er Hamburg zu einem florierenden Freilichtmuseum, attraktiv für Pensionäre, aber gemieden von Jungen und Kreativen. Unter Kostendruck und mit einer zum Kleinbürgerlichen neigenden Partei im Rücken verlangt der Kampf gegen das Mittelmaß von der Nummer eins Streitbarkeit und Mut. Andernfalls wird Scholz vier Jahre lang zum Manager des "komischen Endpunktes", den Hamburg nicht nur in der frustrierten Analyse des Musikers Rocko Schamoni erreicht hat.
Bürgermeister Christoph Ahlhaus, der nun zusammen mit CDU-Parteichef Frank Schira erst einmal die Folgen des brutalen Knock-outs am Wahlabend auskurieren muss, hat während des Wahlkampfes auch nicht gerade den Eindruck des visionären Weitblickers vermittelt. Er wird nun in die bundesrepublikanische Geschichte als der am kürzesten regierende Ministerpräsident eingehen und als Hamburger CDU-Kandidat, der das schlechteste Ergebnis seit Kriegsende eingefahren hat.
Aufgrund seines großen persönlichen, teilweise beeindruckenden Einsatzes trotz einer von Beginn an aussichtslosen Situation wäre ihm zu wünschen, dass dies nicht das Ende seiner politischen Karriere bedeutet. Das Amt des CDU-Fraktionschefs und damit des Oppositionsführers in der Bürgerschaft dürfte ihm aber nach gängiger politischer Logik angesichts dieser fulminanten Niederlage nicht mehr offenstehen. Dass ein anderer überzeugender Kandidat für dieses wichtige Amt weit und breit nicht erkennbar ist, sagt mehr über den Zustand der Hamburger CDU als das Wahlergebnis selbst.
Klare Verhältnisse - eine handlungsfähige Regierung und eine starke Opposition - sind das Rückgrat einer funktionierenden Demokratie. Insofern war gestern ein guter Tag für Hamburg.