Seit zehn Jahren gibt es in Hamburg-Alsterdorf Gottesdienste für Familien in Gebärdensprache. Rund 2000 Gehörlose leben in der Hansestadt.
Hamburg. Ein dumpfes Summen und Rascheln erfüllt die Kirche. Keine Orgel spielt. Pastorin Systa Ehm hebt ihre Hände und gebärdet ’singend’ das erste Kirchenlied. Freudig stimmen die Familien mit ein: „Ein-neuer-Tag-ist-da-Hurra.“ Statt einem trällerndem „Hurra“ werden die Arme in die Höhe geworfen. Die Stimme in der Gebärdensprache sind die Hände.
Seit zehn Jahren gibt es in der Martin-Luther-Kirche in Hamburg-Alsterdorf Gottesdienste für Familien in Gebärdensprache. Der Zugang zu den Kirchenbänken ist beim Jubiläumsgottesdienst mit quer gespanntem Absperrband nur über labyrinthartige Umwege zu erreichen. Ein Symbol für die Umwege, die Gehörlose im Alltag oft gehen müssen. Viermal jährlich gestaltet ein Team gehörloser Mütter zusammen mit Gehörlosenseelsorgerin Ehm den Familiengottesdienst. Diese Woche zum 41. Mal. Rund 2000 Gehörlose leben in der Hansestadt.
Das Angebot für Gottesdienste in Gebärdensprache nutzen Familien aus ganz Hamburg und dem nördlichen Niedersachsen. Neben Gehörlosen besuchen auch Studierende des Gebärdendolmetschens die Gottesdienste. Für Ehm steht vor allem ein Ziel für die kommenden Jahre auf dem Plan: „Wir wollen inklusiv statt integrativ arbeiten, so dass sich Hörende und Gehörlose gegenseitig bereichern.“
Gottesdienste in Gebärdensprache gibt es schon seit rund 90 Jahren. Seit Anfang der zwanziger Jahre hat sich der Gebärdensprachgottesdienst immer weiter entwickelt. Damals wurde mehr mit der Stimme gesprochen und die Gottesdienste waren in erster Linie für Erwachsene bestimmt. Die Entwicklung und Erforschung der Gebärdensprache ist vor allem in der Hansestadt stark verankert. Die Universität Hamburg gründete das erste Institut für „Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser“, an dem Studenten zu Gebärdendolmetschern ausgebildet werden: „Das hat dazu beigetragen, dass die Gebärdensprache als eigene Sprache anerkannt wurde. Deswegen ist Hamburg für Gehörlose eine gute Stadt zum Leben. Sie bekommen hier Dolmetscher, die ihnen im Beruf zur Seite stehen“ sagte Ehm.
Seit rund zehn Jahren ist die Gebärdensprache gesetzlich als eigenständige Sprache anerkannt. So wie jede andere Sprache bildet auch die Gebärdensprache nach Angaben des Gehörlosenverbandes Hamburg die Grundlage einer eigenen Sprachgemeinschaft und Kultur. Die Herkunft der visuellen Sprache reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück und sie verfügt heute über eine eigene Grammatik, die sich international unterscheidet.
Heutzutage sehen Jugendliche die Gebärdensprache als ihre Muttersprache an. Auch die 14-Jährige Anika Nibler ist gehörlos und kommt mit ihrer Mutter seit vielen Jahren zu den Familiengottesdiensten in die Martin-Luther-Kirche: „Es ist immer schön, in der Gruppe zu gebärden und danach gibt es immer ein Frühstück und wir basteln. Das macht sehr viel Spaß.“ Im Laufe der Jahre hat sich die Einstellung zur Sprache verändert. „Während Erwachsene früher oft ohne Gebärden aufgewachsen sind, ist die Einstellung heute selbstbewusster“ so Ehm.