In die Niederungen des Wahlkampfes drangen der Nobelpreisträger und der Spitzenkandidat Olaf Scholz nur selten. Dafür ging es um Ägypten.

Hamburg. Werbetrommel statt Blechtrommel: Allen Querelen und seinem Parteiaustritt vor fast zwei Jahrzehnten zum Trotz rührt Schriftsteller Günter Grass („Die Blechtrommel“) auch in diesem Jahr wieder kräftig die Werbetrommel für die Sozialdemokraten. Wie bereits 2008 als Zugpferd für den damaligen SPD-Spitzenkandidaten Michael Naumann, kam der 83-Jährige am Sonntag ins Ernst-Deutsch-Theater nach Hamburg, um diesmal Olaf Scholz im Bürgerschafts-Wahlkampf zu unterstützen. Zuvor hatte der Literaturnobelpreisträger zur Einstimmung aus seinem aktuellen Buch „Grimms Wörter“ gelesen.

Bei einem Glas Rotwein (Grass) und einem Glas Wasser (Scholz) sprachen sie über die Bedeutung bürgerlichen Engagements in vergangenen Epochen und heute. Der bei seinen Wahlkampfauftritten sonst so souverän wirkende Scholz schien dabei in Gegenwart des Literaturnobelpreisträgers fast ein wenig schüchtern: „Es ist schon beeindruckend, so mit jemandem zusammenzusitzen, den man schon im Schulunterricht kennengelernt hat“, gestand der 52-Jährige gleich zu Beginn der Veranstaltung. Grass bestritt im Folgenden in gewohnt lakonisch-amüsanter Manier den Hauptteil des Gespräches, während Gastgeber Scholz sich großenteils auf die Rolle des Stichwortgebers beschränkte.

Dabei kamen die beiden Sozialdemokraten auch auf die aktuellen Geschehnisse in Ägypten zu sprechen. Er habe in den letzten Jahren beobachtet, „dass wir unseren eigenen Werten nicht vertrauen“, sagte Scholz. Wir trauten anderen gar nicht zu, dass sie von sich aus unsere Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaat, Bildung und Marktwirtschaft auch gut fänden. Diese seien jedoch universell.

Grass verwies darauf, dass die Ägypter selbst sehr genau wüssten, was sie wollten und ein Recht darauf hätten, ihr eigenes Verständnis von Freiheit und Demokratie umzusetzen. Mit Blick auf die europäische Politik könne man nur sagen: „Hört auf mit der Bevormundung!“ Die Europäer hätten genug damit zu tun, die Demokratie hier zu retten, bevor sie anfingen, andere zu belehren: „Wenn ich mir nur vorstelle, dass sie Silvio Berlusconi als europäischen Berater für Ägypten aufstellen..!“ Der Schriftsteller bewundert „das Vermögen und den Willen“ der Millionen Menschen dort, sich friedlich für ihre Freiheit zu einzusetzen. In Deutschland bräuchte man für derartige Veranstaltungen erst einmal zig Planungsstäbe, sagte der gebürtige Danziger.

Die Gesprächspartner drangen nur selten in die Niederungen des Hamburger Wahlkampfes vor. Einzig das „Kulturdesaster“ in der Hansestadt, das Scholz als Erbe antreten werde, thematisierte der Schriftsteller. Den Seitenhieb auf das Debakel um den Bau des Konzerthauses Elbphilharmonie konnte sich der Lübecker nicht verkneifen. Wenn diese eines Tages fertig sei – und das sei ja nach wie vor zu bezweifeln – werde die Elbphilharmonie „den Kulturetat der Stadt auffressen“, prophezeite Grass.

Kritik übte der Autor und Zeichner vor allem an den in den letzten Jahren erfolgten Kürzungen bei den Hamburger Stadtbibliotheken. Die Theater könnten für sich kämpfen, die Bibliotheken hätten jedoch keine Lobby, daher setze er sich vehement für ihre Aufrechterhaltung als nationales Kulturgut ein, formulierte Grass offen seinen Wunsch an den möglichen Nachfolger von Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU).

Kultur sei „für Demokratie und Freiheit unverzichtbar“, betonte denn auch Scholz, ohne konkret zu werden. Abschließend hob der SPD-Spitzenkandidat noch einmal die Notwendigkeit hervor, sich als Bürger in der Gesellschaft zu engagieren – etwas, das Grass lebenslang getan habe. „Es hält jung!“ rief der rüstige, 83-jährige Grass seinem Publikum daraufhin zum Abschied zu und empfahl: „Das können Sie in der Apothekerzeitung nachlesen!“