Sicherungsverwahrte sollen doch nicht aus Hamburger Gefängnissen freikommen. Der Senat bringt sie in der Untersuchungshaftanstalt unter.
Hamburg. Monatelang war über die Zukunft der Sicherungsverwahrten debattiert worden, die nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auch aus Hamburger Gefängnissen entlassen werden müssen. Jetzt setzte das Landgericht sämtlichen Spekulationen vorerst ein Ende. Es entschied, dass ein 60-Jähriger, dessen Entlassung für Ende Dezember erwartet wurde, auf unbestimmte Zeit in Sicherungsverwahrung verbleiben muss.
Die Richter gaben der Hansestadt damit auch mehr Zeit, die Bedingungen auszugestalten, unter denen entlassene Sicherungsverwahrte künftig leben sollen. Die nächsten Entscheidungen, die die Entlassung von Sicherungsverwahrten nach sich ziehen könnten, stehen erst für Mai an.
Mit dem zweiten Weihnachtsfeiertag endet für den verurteilten Gewalttäter Karsten D. das zehnte Jahr in Sicherungsverwahrung. Dem EGMR-Urteil entsprechend hätte seine ursprünglich unbefristete Verwahrung in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel am 26. Dezember abgebrochen werden müssen. Jetzt ordnete das Landgericht jedoch an, dass Karsten D. weiter in Sicherungsverwahrung bleiben muss. "Das Gericht hat entschieden, dass konkrete Umstände vorliegen, die eine hochgradige Gefahr schwerster Gewaltverbrechen begründen, wenn der Verurteilte zum jetzigen Zeitpunkt entlassen würde", erklärte Gerichtssprecher Conrad Müller-Horn.
Die Kammer folgte damit der Argumentation des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH), der im Gegensatz zum 4. Strafsenat verneint hatte, dass vom EGMR-Urteil betroffene Sicherungsverwahrte "automatisch" zu entlassen seien, ohne dass zuvor ihre "Gefährlichkeit" geprüft würde.
Der Anwalt von Karsten D., Ernst Medecke, sagte dem Abendblatt, er werde Beschwerde gegen den Beschluss der Kammer einlegen. "Ich gehe davon aus, dass sich Anfang Januar das Oberlandesgericht in dieser Sache entschieden haben wird", sagte Medecke, schließlich handle es sich um Freiheitsentzug.
Da ein 72 Jahre alter verurteilter Betrüger, dessen mögliche Entlassung für Januar erwartet worden war, bereits Ende November in Sicherungsverwahrung verstorben ist, stehen weitere Entscheidungen erst für Mai an. Dann müssen die Richter über die Zukunft zweier Sexualstraftäter entscheiden, die wegen Vergewaltigung verurteilt wurden.
Ungeachtet des jüngsten Urteils stellte Innen- und Justizsenator Heino Vahldieck (CDU) gestern das Unterbringungskonzept der Senats für rückfallgefährdete Sicherungsverwahrte vor. Ehemalige Verwahrte, die als so "psychisch gestört" gelten, dass von ihnen weiterhin Gefahr ausgeht, sollen künftig im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis weggeschlossen werden. Wie Vahldieck gestern bekannt gab, soll dafür ein Trakt im Zentralkrankenhaus im obersten Stockwerk des Gefängnisses ausgebaut werden.
Grundlage dafür ist das neue Therapie- und Unterbringungsgesetz (ThUG), das voraussichtlich zum 1. Januar in Kraft treten wird. Das ThUG regelt neben der weiteren Unterbringung ehemaliger Sicherungsverwahrter auch den Einsatz elektronischer Fußfesseln, mit der verurteilte Straftäter nach ihrer Freilassung kontrolliert werden können. Eine funktionierende Fußfessel-Lösung soll es aber erst im Laufe des kommenden Jahres geben.
Vahldieck erklärte, die Unterbringung im Untersuchungsgefängnis entspreche den Vorgaben des neuen Gesetzes, das eine strikte Trennung zwischen der Betreuung ehemaliger Sicherungsverwahrter und dem allgemeinen Strafvollzug vorgebe, da die Untersuchungshaft als prozesssichernde Maßnahme anzusehen sei und nicht zum Strafvollzug gehöre.
Allerdings sind der Möglichkeit, ehemalige Sicherungsverwahrte erneut wegzusperren, enge Grenzen gesetzt. Die "psychische Störung" eines Betroffenen müsse durch zwei psychiatrische Gutachten geklärt werden, die das Landgericht auf Antrag der Justizbehörde bestellen müsse. Vahldieck geht davon aus, dass auch Hans-Peter W., der aus Freiburg stammende ehemalige Sicherungsverwahrte, entsprechend untersucht werde.
"Mir ist wichtig, dass von potenziellen Gewalttätern keine Gefahr mehr ausgehen kann", sagt Vahldieck. Hamburg sei mit der Senatsentscheidung gut auf die neuen Regelungen vorbereitet. Die SPD dagegen übte Kritik: "Ich habe Zweifel, ob eine Unterbringung in der Untersuchungshaftanstalt den Maßstäben gerecht wird, die der EGMR für solche Fälle formuliert hat", sagte Innenexperte Andreas Dressel. "Wir brauchen eine Lösung, die gleichermaßen gerichtlich Bestand hat und der Sicherheit Rechnung trägt."