Deutschland wird immer älter - doch damit sind wir nicht allein auf der Welt. Viele Länder haben Probleme mit fehlendem Nachwuchs.
Wir alle wissen, was unabänderlich auf uns zukommt. Wir werden älter. Doch das ist nur manchmal schmerzlich, ansonsten eher natürlich. Irgendwann gehen wir, und es gibt andere, jüngere, die unseren Platz einnehmen. So war es immer. Geht doch. Aber nun altert die Bevölkerung weltweit, das heißt, dass der Anteil der älteren Menschen schneller steigt als die Zahl der jungen. Wir ahnen aber nicht einmal, wie schnell das alles passieren wird. Und welche radikalen weltweiten gesellschaftlichen Umwälzungen damit einhergehen werden, wenn wir älter und älter werden. Und immer mehr davon.
Die Fakten
In Deutschland gibt es seit diesem Monat erstmals mehr Menschen, die über 70 Jahre alt sind, als unter 20-Jährige. Weil bei uns zu wenige Kinder geboren werden. Die Reproduktionsrate, die bei 2,1 Kindern pro Frau für eine konstante Bevölkerungszahl sorgen würde, liegt in Deutschland seit Jahrzehnten nur bei 1,4 Kindern pro Frau. Bis zum Jahr 2003 machte die Zuwanderung das wett. Inzwischen aber gibt es nicht nur eine zu geringe Zuwanderung, die Geburtenrate der hier lebenden Nichtdeutschen hat sich auch der der Einheimischen angepasst. Kein Wunder, gilt doch ganz allgemein, je weniger Kinder, desto schneller entwickelt sich eine Gesellschaft. Nur so können Menschen mehr in die Ausbildung ihrer Kinder investieren, Geld sparen und konsumieren. Wir schrumpfen also. Aber ist das so schlimm? Wo wir in einem der am dichtestbesiedelten Länder der Welt leben. Wo überall die Natur zerstört wird und es immer weniger Arbeitsplätze gibt.
Momentan ist die Weltbevölkerung noch jung. Die Trennlinie liegt bei 28 Jahren, das heißt, eine Hälfte der Weltbevölkerung ist älter als 28 Jahre, die andere Hälfte jünger. Mitte des Jahrhunderts wird das Alter, das die beiden Hälften genau teilt, auf 40 Jahre angestiegen sein. Dort, wo es heute schon in Europa ist. 2050 ist das mittlere Alter der Europäer bei 50 Jahren angekommen. Noch niemals zuvor in der Geschichte sind Nationen derart rapide gealtert. Das erste Land auf der Welt, dessen Altersgruppe der 65-Jährigen sich von sieben auf 14 Prozent verdoppelte, war Frankreich. Dieser Vorgang dauerte 145 Jahre. Er begann 1865. China wird dieselbe Erfahrung der Verdoppelung in nur 25 Jahren durchmachen.
Ganz gleich, wo man die Mitte ansetzt, die ältere Hälfte wächst überall schneller auf der Welt als die jüngere. Genauso wie überall die Geburtenraten abnehmen. In Süd- und Osteuropa, Asien, Südamerika und auch in den muslimischen Ländern. Als ein Beispiel sei der Iran genannt. Vor 30 Jahren lag die Geburtenrate pro Frau dort bei - für westliche Verhältnisse unglaublichen - 6,5 Kindern, zur Jahrtausendwende bei 2,2, und heute ist sie auf dem europäischen Standard, bei 1,7 Kindern. Eine Ausnahme bilden die Sub-Sahara-Länder. Dort wird Ende dieses Jahrhunderts ein Drittel der Weltbevölkerung leben. Auch im Jemen, auf der arabischen Halbinsel und in Afghanistan zählen die Geburtenraten immer noch zu den höchsten. Die geringe Alterung im südlichen Afrika hat mit dem HIV-Virus zu tun, der dafür verantwortlich ist, dass es in einigen Jahrzehnten dort nur wenige Alte geben wird.
Im Jahr 2050 werden in allen entwickelten Ländern der Welt nur noch halb so viele unter 15-Jährige leben wie diejenigen, die 60 und älter sind. Kurz, die Alterspyramide ähnelt jetzt einer Urne. Und das ist alles andere als witzig gemeint.
Nach einer Studie der Vereinten Nationen werden im Jahr 2050 9,1 Milliarden Menschen auf der Welt leben. Fast überall auf der Erde wird sich die Geburtenrate pro Frau auf maximal 2,02 Kinder eingespielt haben, eine Rate, die dazu führen wird, dass am Ende dieses Jahrhunderts die Weltbevölkerung langsam schrumpft. In jedem Fall aber heißt das, dass es für keinen heute lebenden Menschen je wieder eine Welt geben wird, in der mehr jüngere als alte Menschen leben.
Was aber bedeutet das für uns?
Aufstrebende Nationen, die Anschluss an führende Wirtschaftsländer bekommen wollen, nehmen heute oft gleich zwei Schritte auf einmal und begünstigen kleinere Familien: Sie bilden Frauen besser aus, geben ihnen bessere Arbeitsbedingungen und setzen auf Urbanisierung. Kinder in der Stadt großzuziehen ist kostspieliger als auf dem Land. Also hat man weniger. Nach einer Uno-Studie lebte 2007 die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. 2030 werden es bereits 80 Prozent sein. Erstaunlicherweise hat sich der Wunschtraum vom Leben weltweit dem westlichen Standard angeglichen. Er lautet: Familie, Haus, Auto, zwei Kinder. Und diesen zwei Kindern will man eine möglichst gute Ausbildung ermöglichen.
Was sind die Folgen für unsere Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, für Familien, Bürger, Landsleute? Alternde Gesellschaften beeinflussen nicht erst seit dem Fortschreiten der Globalisierung das Wirtschaftsleben in weit entfernt liegenden Regionen der Erde. Regierungen, Wirtschaftsunternehmen und internationale Organisationen investieren und planen aufgrund demografischer Daten. Dabei geht es meist um Kosten für Gesundheit, Pensionäre oder eine möglichst große Anzahl verfügbarer jüngerer Arbeitskräfte, die billiger und flexibler sind. Denen man Verträge ohne Kranken-, Renten- und Sozialversicherung anbieten kann. Luxusgüter aus der Zeit des alten Europa. Geopolitisch wird sich so Macht und Einfluss verschieben. Von den alten in die neuen, aufstrebenden Länder.
Momentan lässt sich das in China beobachten. Hunderte von Millionen junger Menschen sind dort in die Städte gewandert, haben Metropolen wie Peking wachsen oder Shenzhen erst entstehen lassen, eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt. Die Stadt nördlich von Hongkong, in der heute das höchste Pro-Kopf-Einkommen in China verdient wird, hatte 1973 gerade mal 30 000 Einwohner. Seit sich große Elektronikfirmen wie Hewlett-Packard, Foxcom, Dell oder Apple dort niedergelassen haben, ist die Einwohnerzahl auf derzeit geschätzte zwölf bis 13 Millionen gewachsen. Foxcom beschäftigt 920 000 Menschen und will im kommenden Jahr weitere 400 000 einstellen. Arbeitskräfte, die billig sind, weil sie beispielsweise keinerlei Alterssicherung bekommen. Doch China hat, durch die seit Jahrzehnten gültige Ein-Kind-Politik, ein enormes künftiges Alterungsproblem. Chinas Bevölkerung, derzeit 1,3 Milliarden, wächst bis 2030 nur noch langsam und wird sich bis zum Ende des Jahrhunderts halbieren. Schuld daran ist auch die Selektion per Sonogramm, die es künftigen Eltern erlaubt, das Geschlecht ihres Ungeborenen zu bestimmen. Chinesen, die traditionell Jungen bevorzugen, treiben häufig weibliche Föten ab. Es soll bereits 70 Millionen "fehlende" Frauen in China geben. Für all die Männer ohne Frauen gibt es inzwischen die Bezeichnung "toter Ast".
Was will man mit so vielen Söhnen, die alle keine Kinder bekommen können? Zumal eine männlich dominierte Gesellschaft als aggressiver, krimineller und unsozialer gilt. Chinas Hauptproblem: Bereits 2015 wird der Anteil der arbeitenden Bevölkerung schrumpfen. 2050 wird es 300 Millionen Chinesen geben, die älter als 65 sind. China wird alt sein, bevor es reich geworden ist.
Japan gibt einen erschreckenden Blick in die Zukunft. Dort ist das, was China und anderen Industrienationen noch bevorsteht, schon Gegenwart. 1950 war Japan eines der "jüngsten" Länder. Jetzt ist es, mit 30 Prozent Altenanteil (Deutschland: 26) und einer Alterstrennlinie, die bei 43 Jahren liegt, das "älteste". Die Mittelklasse, die bis 1980 immer wohlhabender wurde und dann in eine Wirtschaftskrise schlitterte, von der sich das Land bis heute nicht erholt hat, kämpft mit Deflation, Altersarmut und einer immer schwieriger werdenden Gesundheitsversorgung.
Ganz anders Russland. Die niedrigen Geburtenraten dort werden durch extreme Todesraten ausgeglichen. Alkohol, schlechte Gesundheitsversorgung und AIDS sind die Ursachen dafür, dass in dem mit 140 Millionen Einwohnern größten europäischen Land Männer nur ein Durchschnittsalter von 56 Jahren erreichen. Die Sterblichkeit, die bis zu fünfmal höher ist als in anderen Ländern und die dazu führt, dass es pro Jahr eine Million Menschen weniger in der Gruppe der arbeitsfähigen Bevölkerung gibt, hat dort schon den Namen "Hypermortalität" bekommen. Russlands demografischer Absturz ist nur mit den Folgen zu vergleichen, die ein Krieg anrichtet.
Innerhalb Europas ist der Osten der große Verlierer bei der Bevölkerung. Bis zum Jahr 2050 werden dort 52 Millionen Menschen weniger leben, während die Bevölkerung Nordeuropas um 14 Millionen wachsen wird, Südeuropa gleich bleiben und Westeuropa vier Millionen Menschen weniger haben wird, was ausschließlich auf die negative Bevölkerungsentwicklung in Deutschland zurückgeht. Nur Großbritannien wird über das Jahr 2050 hinaus noch wachsen.
Was uns übrig bleibt
Die Globalisierung beeinflusst auch auf anderen Wegen das rasche Altern einer Gesellschaft. Dass die Lebenserwartungen überall steigen, ist auch ein Nebenprodukt des weltweiten Austausches von Medizin und Bildung. Wer lesen kann, hat Zugang zu Informationen, zu Aufklärung, Schutz und Hilfe.
Wird die Welt jemals wieder jung werden? Vielleicht. Aber nicht in der näheren Zukunft. Es fällt schwer, sich eine Gesellschaft vorzustellen, in der die Menschen zurück aufs Land ziehen und größere Familien haben werden. Stattdessen werden wohl Länder, die heute noch viele junge Menschen haben, sich demnächst auf die Suche nach jüngeren Menschen aus anderen Ländern machen. Und diese Länder werden die Ansprüche eines älter gewordenen China erfüllen und ihrerseits wieder schneller altern. Der Kreislauf wird sich wiederholen.
Momentan sieht es so aus, als ob die Sieger der Globalisierung diejenigen Länder sind, die am ehesten gewillt sind, ihre Alten bei Renten und Gesundheitsfürsorge zu vernachlässigen: China, Indien, Kolumbien, Brasilien oder Mexiko. Während westliche Länder Billionen altersbedingter öffentlicher Ausgaben haben, behaupten Politikwissenschaftler, dass sich moderne Demokratien und Wohlfahrtsstaaten sehr bald in eine Zwickmühle begeben. Sie werden entscheiden müssen, ob sie öffentliche Gelder für Einkommensaufstockungen oder Gesundheitsprogramme der Älteren ausgeben werden und damit drastisch die Ausstattung für Schulen und Bildung oder Infrastruktur reduzieren.
Als Trost gilt derzeit vielleicht nur, dass alle Prognosen, alle Zukunftsberechnungen fragil sind, von zahllosen, unberechenbaren Faktoren abhängen und nur einen sehr vagen Blick in die Zukunft werfen können. Menschen tendieren dazu, momentane Zustände und Trends in die Zukunft hochzurechnen. Aber demografische Wahrheiten richten sich nur selten nach Voraussagen.
Die Entscheidung, Kinder zu bekommen, ist von unberechenbaren, unzähligen Gegebenheiten abhängig, die sich ständig verändern. Sie ist immer noch das Persönlichste, das wir im Leben tun. Und doch gesellschaftlich so bedeutsam.