Dann erträgt es auch Sarrazins umstrittene Thesen leichter
Deutschland wird finanziell ausgesaugt, überfremdet, dümmer und krimineller - am Ende schafft es sich selbst ab. So die These von Thilo Sarrazins neuem Buch. Der Bundesbanker, Sozialdemokrat und ehemalige Berliner Finanzsenator war noch nie um markige Sprüche verlegen, wenn es um Einwanderer, vornehmlich aus dem muslimischen Raum, oder auch um Hartz-IV-Empfänger ging.
Ganz sicher ist ihm dabei große öffentliche Aufmerksamkeit, und jeder Wirbel ist gut für den Verkauf seines Buches. So weit liegt Sarrazin ökonomisch richtig. Und auch sonst scheinen ihm die Statistiken recht zu geben.
Nur bilden auch Statistiken nicht die ganze Wahrheit ab. Zum einen dürfen nicht pauschal ganze Bevölkerungsgruppen beschuldigt oder verurteilt werden, unabhängig vom persönlichen Schicksal oder Bemühen des Einzelnen. Und Menschen sollten auch nie allein einer Nützlichkeitsrechnung unterworfen werden, etwa nach Sarrazins Motto, Migranten haben mehr gekostet als gebracht. Genau nach dieser Sichtweise ist das Problem erst entstanden. Wir wollten billige Arbeitskräfte, bekamen zur Arbeitskraft aber auch noch den Menschen dazu, oft mit Familie und all ihren Sitten und Gebräuchen. Und dann haben sie auch noch die staatlich offerierten Leistungen in Anspruch genommen! Darauf waren Land und Leute nicht vorbereitet, und damit tut sich die Politik bis heute schwer. Deutschland ist eben keine AG, in der der Vorstand nach Bedarf Personal einstellen und entlassen kann. Es ist ein demokratisches Gemeinwesen, das sich vor allem auch am Umgang mit seinen Minderheiten, Kranken und Schwachen messen lassen muss.
Das kann man alles bedauern und beklagen - aber auch ändern. Mit Gesetzen, vor allem aber dadurch, Fremdes mehr als Bereicherung denn als Gefahr zu sehen und Chancen und Risiken aktiv anzugehen. Das macht Mühe, und das gelingt nicht mit dem Schüren von Überfremdungs- und Untergangsängsten. Deutschland schafft sich nur ab, wenn es sich nicht mehr verändert. Verändert hat es sich aber schon immer. In den vergangenen 65 Jahren sehr zu seinem Vorteil. Was noch fehlt, ist etwas mehr Gelassenheit. Dann kann es auch leichter mit Migranten und exponierten Thesen umgehen, ohne deren Verfasser gleich gesellschaftlich ächten zu wollen.