Die Volksinitiative “Unser Hamburg - unser Netz“ strebt für 2012 einen Volksentscheid an. Es geht um den Rückkauf der Versorgungsnetze.

hamburg. Die Volksinitiative "Unser Hamburg - unser Netz", die sich für den Rückkauf der Hamburger Versorgungsnetze einsetzt, geht in die heiße Phase. Bis Ende August sollen zehntausend Unterschriften von wahlberechtigten Hamburgern zusammenkommen. Im Mai 2011 könnte die zweite Stufe, das Volksbegehren folgen. Werden dann rund 70 000 Unterschriften gesammelt, könnte es am Wahltag der nächsten Bürgerschaftswahl 2012 zum Volksentscheid kommen. Die Initiatoren der Volksinitiative Manfred Braasch (BUND), Günter Hörmann (Verbraucherzentrale Hamburg) und Thomas Schönberger (Kirchenkreis Hamburg-Ost) haben mit dem Abendblatt gesprochen.

Abendblatt:

Warum sollte die Stadt Hamburg die Strom-, Gas- und Fernwärmenetze zurückkaufen?

Braasch:

Aus unserer Sicht ist der Rückkauf der Versorgungsnetze ein zentraler Schritt, um die klimapolitischen Herausforderungen tatsächlich zu bewältigen. Das, was die großen Vier - Vattenfall, E.on, RWE und EnBW - in den vergangenen zehn Jahren gemacht haben, reicht nicht ansatzweise aus. Wir sehen die Rekommunalisierung der Versorgungsnetze als einen ganz zentralen Hebel, um die Energieversorgung zukunftsfähig zu machen.

Hörmann:

Wir brauchen im Energiemarkt zwei Dinge: Wettbewerb und Klimaschutz. Beim Wettbewerb hapert es. Der Webfehler der Liberalisierung war, dass man Netze und Produktion nicht voneinander getrennt hat. Man hat die Herrschaft über die Netze in den Händen der großen Energiekonzerne gelassen. Dadurch können diejenigen, die Energie produzieren, gleichzeitig alternative Anbieter außen vor lassen beziehungsweise die Eintrittspreise für die alternativen Bewerber bestimmen, indem sie an den Toren der Netze stehen und kassieren. Auch die Gründung der Bundesnetzagentur hat nicht dazu geführt, dass wir niedrigere Preise für die Verbraucher haben. Ziel ist, den Webfehler der Liberalisierung jetzt effektiv zu korrigieren, indem die Trennung vorgenommen wird. Und die Trennung ist am besten, indem man die Netze in staatlich kontrollierte Hände nimmt.

Der Rückkauf würde eine riesige Investition bedeuten. Können Sie das angesichts der Haushaltslage verantworten?

Hörmann:

Dahinter steckt die Annahme, dass dies rausgeschmissenes Geld wäre. Das ist ein Fehlschluss. Die Überprüfung durch die Bundesnetzagentur hat gezeigt, dass mit den Netzen enorme Gewinne gemacht worden sind. Es müsste also eine Anfangsinvestition gemacht werden, es würden dann aber Gewinne zurück an die Stadt fließen.

Braasch:

Der Charme der Rekommunalisierung liegt auch darin, dass klar kalkulierbare, stetige Einnahmen generiert werden. Das heißt nicht, dass man automatisch günstigere Preise anbieten kann, weil auch investiert werden muss. Aber: Wir trauen den kommunalen Anbietern zu, dass sie mehr im Sinne des Gemeinwohls agieren. Selbst wenn man von einem hohen dreistelligen Millionenbetrag für den Rückkauf ausgeht, gibt es einen Gegenwert. Daher ist es unterm Strich ein vertretbares Geschäft.

Ein Umweltverband, der Verbraucherschutz und die Kirche starten gemeinsam eine Volksinitiative. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Schönberger:

Wir wollen die Breite in der Bevölkerung ansprechen und deshalb auch mit einem breiten Bündnis in Hamburg auftreten. Gemeinsam haben wir eine ganz andere Tragfähigkeit in der Argumentation.

Braasch:

Ich finde, die zentrale Brücke ist, was man landläufig als Daseinsvorsorge begreift. Dazu gehört in Deutschland auch die Versorgung mit Strom, Gas und Wärme. Daher kann man an die kirchlichen Inhalte lückenlos anknüpfen. Da es alle 1,8 Millionen Bürger in Hamburg betrifft, passt es sehr gut zusammen.

Natürlich erhoffen wir uns durch die Zusammenarbeit auch einen Schwung Unterschriften, weil auch die Gemeinden informiert wurden.

Die Kirche gilt als moralische Instanz. Wenn Sie sich an einer solchen Initiative beteiligen, geht davon ein besonderes Signal aus. Ist es opportun, dass sich die Kirche in so weltliche Dinge einschaltet?

Schönberger:

Dazu gibt es in der Kirche verschiedene Positionen. Die einen sagen, dass wir unseren Kernauftrag gut leisten und uns politisch, weltlich enthalten sollten. Unser Kirchenkreis Hamburg-Ost steht dafür, sich auch als Akteur der Gesellschaft zu verstehen und sich auch so zu positionieren. Das tun wir ganz bewusst, weil die klassisch kirchliche Tätigkeit und das politische Positionieren zusammengehören. Es reichen auch bei der Kirche nicht nur Sonntagsreden. Das, was sonntags erzählt wird, muss montags bis freitags umgesetzt werden oder zumindest einen praktischen Widerhall finden.

Sie wollen eine sozial gerechtere Energieversorgung. Der Netzkauf allein bringt dies aber nicht. Arbeiten Sie mit Blendwerk?

Hörmann:

Alleine durch den Netzkauf wird die Versorgung nicht sozial gerecht. Aber es ist ein Mosaikstein. Der neutrale Herrscher über die Netze sorgt dafür, dass es einen diskriminierungsfreien Zugang für andere Anbieter gibt. Er steht stärker in der Pflicht, dass Wettbewerber in den Markt hineinkommen. Das drückt die Preise und nützt letzten Endes dem Verbraucher. Bisher haben wir einerseits die Herrschaft der Energiekonzerne über die Netze und andererseits die Produktion konzentriert bei einem Oligopol. Die großen Vier beherrschen 85 Prozent der Produktion. Den Mosaikstein Netz anzufassen, hat letzten Endes eine Preis drückende Wirkung und das ist sozial.

Hamburg ist europäische Umwelthauptstadt 2011. Verpflichtet der Titel zur Vorreiterrolle und dazu, die Energieversorgung in die eigene Hand zu nehmen?

Braasch:

Auf jeden Fall. Die Gründung von Hamburg Energie kann für das Wirken der Stadt bei der Energie- und Klimapolitik nur ein erster Schritt gewesen sein. Um die Qualität der Klimaschutzpolitik voranzubringen, braucht es mehr. Und dieses Mehr sind zum Beispiel die Versorgungsnetze. Das im Kontext von "green capital" zu sehen, macht Sinn. Auch wenn die Entscheidungen ein Jahr später fallen.

Schönberger:

Bei aller Sympathie für die Auszeichnung, es besteht durchaus die Sorge, dass es im kommenden Jahr einige Leuchtturmprojekte geben wird, sich strukturell aber nichts ändert. Die Volksinitiative zielt auf die Veränderung der strukturellen Bedingungen ab. Insofern passt das als eine Art Gegenpol in das Jahr der "green capital" hinein. Um deutlich zu machen, dass wir strukturell etwas verändern müssen und Veranstaltungen nicht ausreichen.

Was für ein Signal würde vom Rückkauf der Netze ausgehen?

Hörmann

Der Kauf würde zeigen, dass hier aktiv die Energiepolitik in die eigenen Hände genommen wird. Es wäre ein Signal für die Korrektur der Energiepolitik, das sicherlich auch auf die ganze Republik ausstrahlen würde.

Braasch:

Das wäre ein bundesweites Signal, wenn die zweitgrößte Stadt Deutschlands diesen Schritt macht. Wenn Hamburg seine Rolle als Klimaschutzhauptstadt ernst nimmt, dann ist das eine der zentralen Weichenstellungen für die Zukunft, und das wird wahrgenommen.

Viele Hamburger Politiker bekunden, dass sie für den Rückkauf sind. Warum braucht es da noch Ihre Initiative?

Braasch:

Zwischen politischer Willenserklärungen und realer Politik ist ein großer Unterschied. Wir haben 2012 Neuwahlen, mit gegebenenfalls neuen politischen Konstellationen. Wir wollen die Politik sozusagen "festnageln". Das ist das Kernziel der Volksinitiative. Deshalb ist es gut, dass Hamburg das Instrument der direkten Demokratie hat, um mit dem Volkeswillen Politik in die Pflicht zu nehmen.

Wie viele Unterschriften haben sie?

Braasch:

Absolute Zahlen werden wir noch nicht verraten. Aber wir sind trotz des relativ engen Zeitplans und trotz der Sommerferien ziemlich optimistisch, dass wir das schaffen.