Bauern klagen über Händlermacht. 300 Höfe in Hamburg mussten seit 2000 aufgeben. Bauern spüren die Folgen der Wirtschaftskrise.
Hamburg. Die meisten Erntehelfer auf den Feldern von Nils Hansen* kommen aus Polen. Nur wenige Deutsche sind bereit, diesen Knochenjob zu machen: sechs Tage die Woche, auch bei sengender Hitze, um 5.30 Uhr geht es los. Die Arbeiter erhalten pro Stunde sechs Euro. Mehr kann Hansen ihnen nicht zahlen. Denn er muss scharf kalkulieren, damit er mit seinen diversen Salatsorten keine Verluste schreibt.
Der Hamburger steht stellvertretend für viele deutsche Bauern. Sie leiden nicht nur unter der Hitzewelle, sondern vor allem unter den Spätfolgen der Wirtschaftskrise . Die Erzeugerpreise sind durch den Absatzeinbruch 2009 abgestürzt - und der Preiskampf in der Lebensmittelbranche sorgt dafür, dass sie höchstens kurzfristig wieder steigen. "Diese Woche bekomme ich für eine Kiste mit zehn Köpfen Eisbergsalat 2,40 Euro - das deckt gerade meine Kosten", sagt Hansen. "Die Handelsketten nutzen bei den Preisverhandlungen ihre starke Position aus."
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts sind die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte 2009 um 15 Prozent im Vorjahresvergleich gefallen. Erholt haben sie sich seitdem nicht, klagt der Hamburger Bauernverband. Das liegt auch daran, dass Absatzmärkte wie Russland oder Großbritannien weggebrochen sind. "Die Folge ist ein deutlicher Überschuss an Ware auf dem deutschen Markt", sagt der Hamburger Bauernpräsident Heinz Behrmann. "Dank ihrer Marktmacht können die Discounter nun die Preise diktieren."
Wer ein paar Cent mehr fordert, riskiert die Auslistung
Das erlebt Nils Hansen jeden Tag, wie er erzählt. Seinen richtigen Namen will der Hamburger Landwirt nicht in der Zeitung lesen, denn: "Wer die Absatzstrukturen kritisiert, riskiert sein Geschäft." Sein Geschäft mit Salaten macht der Bauer zum Großteil mit Vollsortimentern wie Rewe oder Edeka. Die Preisverhandlungen sind seiner Beschreibung zufolge knallhart: Jede Woche muss Hansen seinen Großkunden ein Angebot vorlegen. Wer ein paar Cent zu viel verlangt, riskiert, als Lieferant ausgelistet zu werden. "Es kann dauern, bis man wieder zu einem Angebot aufgefordert wird - mal streichen sie einen für eine Woche, mal für immer." Selbst die genossenschaftlichen Erzeugergemeinschaften, in denen die meisten Hamburger Bauern organisiert sind, haben den riesigen Ketten wenig entgegenzusetzen.
Zum wöchentlichen Angebot kommen regelmäßig spontane Anfragen auf Hansens Handy. Innerhalb von Sekunden muss er dann entscheiden, wie viel sein Betrieb liefern kann und wie tief er mit dem Preis gehen will. Wenn ihm der Einkäufer Summe X nennt, die er für 20 000 Köpfe Salat zahlen will, hat Hansen die Wahl: Er kann den oft ruinösen Preis akzeptieren. Oder er fordert ein paar Cent mehr pro Kopf und der Einkäufer wird versuchen, die Ware woanders zu bekommen. "Oft kaufen sie dann doch bei mir", sagt Hansen. "Diese Mengen muss man in entsprechender Qualität erst einmal aufbringen können." Wenn er sein Gemüse aber nicht verkaufen kann, verdorrt es auf dem Feld.
An Discounterketten liefert Hansen gar nicht erst. "So günstig kann ich nicht produzieren", sagt der Bauer. Er setzt auf Qualitätsware, die aufwendig per Hand statt mit Maschinen geerntet wird. Trotzdem: Branchenexperten zufolge setzen die Preisvorgaben der Discounter auch die Vollsortimenter unter Preisdruck. "Gerade der Markt bei Obst und Gemüse tickt speziell, weil die Preise je nach Angebot und Nachfrage schwanken und kurzfristig eingekauft wird", sagt ein Insider dem Abendblatt. Oft gehe es bei den Verhandlungen um Zehntelcents. "Das ist eine Begleiterscheinung des extremen Wettbewerbs im deutschen Lebensmittelmarkt."
Auch aus der Branche kommt Kritik. Erst im Juni hat Alain Caparros, Vorstandschef der Rewe-Gruppe, die permanenten Preissenkungen als "Handelskrankheit" bezeichnet, die in ihren Folgen schlimmer als die Wirtschaftskrise sei. Tatsächlich gibt es kein europäisches Land, in dem die Discounter einen so hohen Marktanteil erobert haben wie in Deutschland. Das Preisniveau ist deshalb niedrig: Die Verbraucher geben hierzulande nach Foodwatch-Angaben weniger als elf Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus - in Italien sind es 15 Prozent.
Handelsverband widerspricht dem Vorwurf des Preisdiktats
Der Handelsverband HDE, der die deutschen Einzelhändler vertritt, wehrt sich gegen den Vorwurf des Preisdiktats. In den vergangenen fünf Jahren seien die Lebensmittelpreise stärker gestiegen als die Verbraucherpreise insgesamt, sagt HDE-Geschäftsführer Kai Falk dem Abendblatt unter Berufung auf Zahlen des Statistischen Bundesamts. "Der Einzelhandel spielt zudem eine große Rolle bei der Förderung der deutschen Landwirtschaft." So kämen 80 Prozent der Frischwaren aus deutscher Produktion, bei Obst und Gemüse seien es 50 Prozent.
Gut möglich, dass das nicht mehr lange so sein wird. Denn die strukturellen Veränderungen im Lebensmittelhandel stellen viele deutsche Landwirte vor massive Probleme. So gab es in Hamburg nach Angaben des Bauernverbands vor zehn Jahren noch 1300 landwirtschaftliche Betriebe, inklusive Zierpflanzenzucht. Mehr als 300 davon haben seitdem aufgegeben, vor allem Bauernhöfe mit Milchvieh, aber auch mit Gemüse. Auch Hansen beobachtet das Höfesterben um ihn herum. "In meiner näheren Umgebung gab es mal 60 Gemüsebauern", sagt er. "Davon sind heute noch zehn übrig - und auch die werden es nicht alle schaffen." * Name geändert