Der 17-jährige Berhan I. ist wegen Totschlags angeklagt. Trotzdem lief er frei herum. Jetzt soll er seine Freundin schwer verletzt haben.
Hamburg. Prellungen, Hautabschürfungen an Oberkörper und im Gesicht, ein gebrochenes, eingegipstes Wadenbein: Spuren der Gewalt, die ihr Freund Berhan I. ihr in aller Öffentlichkeit - auf dem Pausenhof ihrer Berufsschule - am Donnerstag vergangener Woche angetan hat. Erst, als mehrere Lehrer eingriffen, hatte der wie von Sinnen prügelnde Berhan I. von der angehenden Friseurin, die zu diesem Zeitpunkt schon am Boden lag, abgelassen. Einmal wurde die junge Harburgerin bereits operiert, ein zweiter Eingriff wird folgen müssen. Berhan I. hatte seine Freiheit genutzt, um einmal mehr eine schwere Gewalttat zu begehen. Gerüchte besagen, er habe die 18-Jährige auf den Strich schicken wollen und sei "ausgetickt", als sie dieses abgelehnt habe.
+++ 20-Cent-Mord: "Warum hat man die freigelassen?" +++
Vor Gericht wird derzeit wegen Totschlags gegen den türkischstämmigen Jugendlichen aus Wilhelmsburg verhandelt. Er ist einer der beiden Schläger, die Ende 2009 den Dachdecker Thomas M. am Harburger Bahnhof töteten, weil der ihnen keine 20 Cent geben wollte. Der Prozess, der im März begonnen hatte, musste im Mai neu aufgerollt werden, weil eine Beisitzende Richterin wegen der Vulkanaschewolke in Spanien festsaß und die Hauptverhandlung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht fortgesetzt wurde.
Statt die Hauptverhandlung sofort zu wiederholen - möglich wäre ein Termin Anfang Mai gewesen -, terminierte die Strafkammer den Neubeginn auf den 25. Mai, weil eine Richterin von ihrem Urlaub nicht abrücken wollte. Damit überschritt das Gericht aber die maximal zulässige Dauer der Untersuchungshaft von sechs Monaten im Fall der beiden Angeklagten Onur K. und Berhan I.
Mitte Mai beschloss das Oberlandesgericht, die 17-Jährigen auf freien Fuß zu setzen. Denn es gelte das Primat der Verfahrensbeschleunigung. Die U-Haft darf bislang nur in Ausnahmefällen verlängert werden, etwa dann, wenn die Ermittlungen besonders umfangreich sind oder ein Richter erkrankt ist.
Über die Richter der Großen Strafkammer 27 brach daraufhin eine Welle der Empörung herein. Der Landeschef der Polizeigewerkschaft, Uwe Koßel, sagte, es sei "frustrierend", wenn die Polizei Täter fasse und solche Gründe dann zu ihrer Freisetzung führten. Eine Sprecherin des Weißen Rings bezeichnete den Vorgang als "empörend".
Der Prozess wurde neu eröffnet, musste aber gleich wieder vertagt werden, weil Berhan I. an einer Mandelentzündung erkrankt war.
Erst gestern erfuhr die Mutter des getöteten Dachdeckers, dass sich Berhan I. nach der Gewalttat wieder in Haft befindet. "Ich bin erleichtert", sagte Vera J. und erhob erneut schwere Vorwürfe gegen die Große Strafkammer 27. "Beide wären nicht rausgekommen, wenn das Gericht sauber gearbeitet hätte", sagte Vera J. dem Abendblatt. "Ich dachte mir, dass Berhan wieder irgendetwas anstellt. Für mich ist der Kerl eine tickende Zeitbombe." Während der Hauptverhandlung habe sie das Auftreten des Mannes, der zwei Fußtritte gegen den Kopf ihres Sohnes eingeräumt hatte, mehrfach als "sehr aggressiv" empfunden. Der Totschlagsprozess wird am Dienstag fortgesetzt.
Vor dem Haftrichter, der Berhan I. am Sonnabend in die Untersuchungshaft zurückschickte, leugnete der 17-Jährige, seine Freundin getreten, geschlagen und gewürgt zu haben.