In Harburg müssen Müllmänner um ihre Arbeitsplätze zittern, weil sie als Gegenleistung für ein Essen blaue Säcke entsorgten.
Harburg. Auf ihrer Tour über die Veddel machten die hungrigen Müllmänner mittags nicht selten Rast in der Ponton-Kneipe Zur Reling. Wirtin Ines Müller (Name geändert) tischte in der (inzwischen geschlossenen) Kneipe bevorzugt Deftiges auf. Besonders beliebt waren bei den Männern neben der Currywurst der Grillteller mit Nackensteaks und Pommes. Der Clou: Für das Essen mussten sie keinen Cent zahlen.
Doch der kulinarische Schmaus könnte den zehn Müllwerkern jetzt noch akute Bauchschmerzen bereiten: Ihnen droht nicht weniger als der Verlust ihrer Jobs. Denn als Gegenleistung für die Einladung zum Gratisschmaus warfen die Stadt-Angestellten schon mal den ein oder anderen blauen Müllsack, den ihnen Ines Müller in die Hand drückte, extra auf den Wagen.
Gestern der Bestechlichkeitsprozess vorm Amtsgericht Harburg. Angeklagt: die zehn Müllmänner und Ex-Wirtin Müller. Nachdem ein Angestellter seine Ex-Chefin bei der Polizei angeschwärzt hatte, waren die Männer in den Fokus der Ermittlungen geraten. Bis zu 17-mal sollen sie 2007 mittags kostenfrei in der Kneipe gespeist und dafür zusätzlich Abfall entsorgt haben. Wenn die Bedienung nachfragte, ob die kostenlosen Essen in Ordnung gingen, soll Müller wiederholt geantwortet haben: "Mach mal!"
Was nach einer Lappalie klingt, ist für die Stadtreinigung eine ernste Sache. Ob die Angestellten, die im öffentlichen Dienst tätig sind, Trinkgeld oder eine Tafel Schokolade von Kunden einstecken dürfen, ist strikt geregelt. Nicht anders als das deutsche Staatsoberhaupt auch müssen Müllmänner penibel dokumentieren, wann und wie viele Geschenke sie erhalten. Maximal zehn Euro sind drin - und das auch nur zwischen Weihnachten und Silvester. Bei Süßigkeiten und Kaffee darf der Sachwert 5 Euro nicht überschreiten. Damit, sagt Stadtreinigungssprecher Reinhard Fiedler, solle verhindert werden, dass die Müllmänner im Austausch mehr Abfall mitnehmen als erlaubt. "Außerdem ist es untersagt, Gegenleistungen zu fordern." Den Kollegen werde daher geraten, grundsätzlich auf Geschenke zu verzichten. "Damit kein falscher Verdacht aufkommt", so Fiedler.
Ob die Müllmänner als Folge der Gratisbewirtung wirklich ihre Jobs verlieren, ist zwar noch nicht entschieden. Doch keinesfalls nimmt die Stadtreinigung den Vorfall auf die leichte Schulter. "Wir müssen erst den Sachverhalt prüfen, bevor wir entscheiden können. Im Extremfall kann das Arbeitsverhältnis beendet werden. Wir wollen hier nichts kleinreden, denn immerhin handelt es sich um Angestellte des öffentlichen Dienstes", sagt Fiedler.
Vorteilsgewährung statt widriger Diensthandlung
Offenbar ahnen auch die Männer, die sich auf Anraten ihrer Verteidiger mit keinem Ton zum Vorwurf äußern, dass für sie viel auf dem Spiel steht: Im Gerichtssaal wirken sie nervös, verängstigt fast. Amtsrichter Malte Thies will die ganze Sache gar nicht so hochhängen, sieht davon ab aufzuklären, wie oft die Angeklagten sich von Ines Müller einladen ließen und ob die Speisen tatsächlich teurer waren als 5 Euro. Thies bietet an, den Fall gegen Geldbußen einzustellen. Zwei der Stadtreinigungsmitarbeiter, die nur ein- oder zweimal bei der Currywurst-Runde dabei gewesen sein sollen, könnten nach seinem Dafürhalten ohnehin freigesprochen werden - doch da spielt die Staatsanwaltschaft nicht mit.
Glück für die Angeklagten: Auf Druck der Verteidigung schwächt das Gericht den Vorwurf für Wirtin Müller zur "Vorteilsgewährung" und für die Müllmänner zur "Vorteilsannahme" ab - damit steht für die Angestellten zumindest nicht mehr der Vorwurf einer pflichtwidrigen Diensthandlung im Raum.
Zumindest strafrechtlich kommt die Grillteller-Runde mit einem blauen Auge davon. Das Amtsgericht verurteilt die zehn Müllwerker und Wirtin Ines Müller zu Geldstrafen, die für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden, außerdem müssen sie eine Geldauflage in Höhe eines Monatsgehalts zahlen. "Da die Geldstrafen nur unter Vorbehalt ausgesprochen wurden, erfolgt kein Eintrag ins Strafregister", sagt Verteidiger Philipp Napp.
Auch wenn das Amtsgericht die Müllmänner schuldig gesprochen hat - sollte eine Kündigung ausgesprochen werden, bliebe ihnen die Möglichkeit, die Sache vor Gericht mit Hoffnung auf einen Freispruch in der zweiten Runde noch einmal aufzurollen. Grund: Richter Thies verhängte einen Strafbefehl. Napp: "Dagegen lässt sich innerhalb von zwei Wochen Einspruch einlegen. Alles bisher Ausgesprochene wird dann aber hinfällig, und wir steigen wieder in die Beweisaufnahme ein."