Der Tod der Elfjährigen soll auf Wunsch der SPD-Fraktion im Familienausschuss parlamentarisch aufgearbeitet werden.
Hamburg. Der vermutlich auf eine Methadon-Vergiftung zurückzuführende Tod einer Elfjährigen in Hamburg soll parlamentarisch aufgearbeitet werden. Die SPD-Fraktion kündigte am Mittwoch eine Selbstbefassung des zuständigen Familienausschusses am 31. Januar (17.00 Uhr) kommenden Woche an. „Wir sind erschüttert von dem tragischen Tod des Mädchens. Der Fall muss rückhaltlos aufgeklärt werden – auch parlamentarisch“, sagte Melanie Leonhard, SPD-Fachsprecherin Familie, Kinder und Jugend. In die Sitzung einbezogen sei ferner der Gesundheitsausschusses. Die Elfjährige war am 16. Januar vermutlich durch die Einnahme des Betäubungsmittels Methadon gestorben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Pflegefamilie sowie den Vater des Mädchen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.
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Tödliche Dosis in der Wohnung
Der Kühlschrank verschimmelt, schmutzige und saubere Wäsche lag durcheinander auf dem Boden gestapelt, Schränke gab es keine. Auf den Matratzen der Kinderbetten waren keine Laken aufgezogen. Überall in der ziemlich verdreckten Wohnung lagen abgelaufene Medikamente verteilt. Acht Tage nach dem mysteriösen Tod der elfjährigen Chantal in der Wilhelmsburger Wohnung ihrer Pflegefamilie kommen immer weitere Einzelheiten über die schwierigen Lebensverhältnisse ans Tageslicht.
Wie das Abendblatt erfuhr, waren Polizisten und Retter von dem Zustand der Wohnung so geschockt, dass sie noch am Todestag des Mädchens, das am 16. Januar an einer Methadon-Vergiftung starb, das Jugendamt alarmierten, um den verwahrlosten Zustand der Wohnung anzuzeigen. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wussten: Mitarbeiter des Jugendamts hatten die Familie nur wenige Tage zuvor besucht - und keine Missstände erkannt.
Der Bezirk Mitte, der sich bereits vorgestern schützend vor die Pflegefamilie gestellt hatte, verteidigte auch gestern die Entscheidung, das Mädchen in die Pflegefamilie gegeben - und es dort belassen zu haben. Die Familie sei sowohl 2005, vor der Aufnahme des ersten Pflegekindes, und ein zweites Mal 2008, beim Einzug Chantals, vom Jugendamt geprüft worden, sagte Mitte-Bezirkssprecher Lars Schmidt-von Koss. Bedenken habe es keine gegeben.
Nach Informationen des Abendblatts hatte sich Chantal ihre Pflegefamilie quasi selbst ausgesucht, als ihr klar wurde, dass sie nicht länger bei ihrer alkoholkranken Mutter und ihrem drogenabhängigen Vater bleiben durfte. Chantal war bereits mit den leiblichen Kindern ihrer Pflegeeltern befreundet und oft zu Besuch in deren Wohnung, in der sie sich sehr wohl gefühlt haben soll. Da die Familie damals bereits ein Pflegekind hatte, habe das Jugendamt geprüft, ob sie mit Chantal auch ein zweites Kind aufnehmen könnte, und keine Hindernisse gesehen.
Auf die Frage, wie die Elfjährige an das Methadon gekommen war, gibt es noch keine neuen Erkenntnisse. Die Ermittlungen der Mordkommission laufen auf Hochtouren. Ermittelt wird wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen den leiblichen Vater, die Pflegeeltern und ihr familiäres Umfeld. Bislang wird aber auch ein Unfall und sogar ein Suizid des Mädchens nicht ausgeschlossen, das zwar laut Obduktionsbericht altersgerecht entwickelt war, aber auch mit elf Jahren noch die Grundschule besuchte. Dass Chantal selbst bereits Erfahrungen mit Alkohol oder Drogen gesammelt hat, wird nach jetzigem Ermittlungsstand ausgeschlossen.
Wie das Abendblatt erfuhr, wurden die Ermittlungen auf das engere familiäre Umfeld der Pflegefamilie, aber auch des leiblichen Vaters fokussiert. Dieser zählt aber nicht mehr zu den Hauptverdächtigen: Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll sich der 41 Jahre alte Ex-Junkie, der heute in halbwegs geordneten Verhältnissen lebt, bei der Durchsuchung, aber auch bei seiner Befragung äußerst kooperativ verhalten haben. Aus Ermittlerkreisen hieß es, er nehme den Drogenersatzstoff Subutex und nicht Methadon ein. Dass Chantal das Mittel bei einem ihrer regelmäßigen Besuche in seiner Wilhelmsburger Wohnung erhielt, wird als derzeit nicht wahrscheinlich angesehen.
Stattdessen werden die Zustände in der Pflegefamilie stärker durchleuchtet. Dabei geht es auch um die erwachsenen leiblichen Kinder, die zwar nicht mehr in der Wohnung an der Fährstraße leben, aber regelmäßig dort zu Gast sind. Eine Tochter ist nach Abendblatt-Informationen wegen Drogendelikten vorbestraft und hat zumindest zeitweise als Prostituierte in St. Georg gearbeitet. Hat sie Methadon in der Wohnung gelagert, das Chantal - womöglich ahnungslos - getrunken hat? Das versuchen die Beamten derzeit zu klären.
Die Ermittler gehen jedenfalls davon aus, dass das Mädchen das Methadon in der Vierzimmerwohnung trank. Grund: Das Mädchen hätte sonst nicht leblos in ihrem Bett aufgefunden werden können, da die atemlähmende Wirkung der Ersatzdroge sofort nach dem Verzehr eingetreten sein muss. Wie hoch die Methadondosis in ihrem Körper war, ist noch nicht bekannt. Abschließende Ergebnisse werden erst in einigen Tagen erwartet. (dapd/Denis Fengler)