Mit der Unterstützung der Spezialeinheit des Wasserzolls gelang der spektakuläre Fund von 1,33 Tonnen Kokain im Hamburger Hafen.
Hamburg. Die Morgensonne scheint vom königsblauen Himmel auf das blinkende, blubbernde Hafenwasser herunter. Dunstschleier steigen vor der Pontonanlage zwischen Landungsbrücken und "Cap San Diego" auf. Die Stadt schlummert noch. Alles wirkt friedlich. Am Pier der Überseebrücke schaukelt ein mit Wärmebildkamera und Nachtsichtgeräten ausgerüstetes Zollschiff. Volker Biermann, 61 Jahre alt, Vollbart, wettergegerbtes Gesicht, blitzende Augen, ist wie so oft seit fünf Uhr auf den Beinen. Der ehemalige Kapitän auf großer Fahrt ist seit 30 Jahren Ermittler beim Wasserzoll. Er ist Rauschgiftfahnder und der Verbindungsbeamte in Sachen Drogenschmuggel im Hamburger Hafen. Der weit gereiste Netzwerker hat "exakt 223 Informanten" aus der ganzen Welt in seinem Adressbuch stehen: "Lotsen, Schauerleute, Festmacher, V-Männer und Insider" in Häfen und Hafenkneipen ebenso wie Beamte in Botschaften, Konsulaten und Behörden. Er spricht neben Englisch auch Französisch, Spanisch und Niederländisch.
Biermann schiebt sich den letzten Bissen seines Wurstbrötchens in den Mund, spült mit schwarzem Kaffee nach. Dann legt er seine Dienstwaffe an, setzt die marineblaue Kapitänskappe auf und gibt das Zeichen zum Abmarsch. "Lasst uns in See stechen, Männers", sagt der Einsatzleiter der Wasserzoll-Eliteeinheit mit dem Furcht einflößenden Namen "schwarze Gang": "Es geht der organisierten Kriminalität und den Kokainkartellen an den Kragen. Wenn es gut läuft. Wenn nicht, haben die Bösen Glück. Auf jeden Fall zeigen wir Flagge und Präsenz. Wir sind es, die den Drogenschmugglern im Nacken sitzen."
Respektiert und gefürchtet
Die schwarze Gang - die so heißt, weil die Zollfahnder bei ihren überraschenden Schiffsdurchsuchungen, die manchmal nur ein paar Stunden, maximal zwei Tage dauern, in dunklen Overalls operieren und sich bei der Arbeit unter Deck oft öl- oder rußverschmierte Gesichter holen - verfügt über fünf Einsatzschiffe und besteht aus 43 Männern und einer Frau. Mit 31 Jahren ist sie die Jüngste der Truppe, deren Altersdurchschnitt 50 Jahre beträgt. Nur noch wenige Gang-Mitglieder sind wie Biermann ehemalige Seefahrer. Seeleute wissen am besten, wie und wo man auf einem Schiff Drogen, aber auch Waffen, Schnaps, Zigaretten und gefälschte Waren versteckt. Früher waren alle, die zur schwarzen Gang gehörten, vorher auf den Weltmeeren unterwegs. Man konnte sich nicht bewerben. Man wurde geholt. Das ist heute anders.
Der Job in ständiger Bereitschaft und im Drei-Schicht-System bei jedem Wind und Wetter ist hart. Zermürbend. Und natürlich nicht mal besonders gut bezahlt. Die Wasserzöllner von der schwarzen Gang, respektiert und gefürchtet in den riesigen Hafenanlagen mit weit über 300 Liegeplätzen, haben aktuell ein echtes Nachwuchsproblem.
Doch momentan ist die Stimmung der Spezialtruppe gut. Denn erst Anfang April haben Zoll, Polizei und Staatsanwaltschaft in einer gemeinsamen, viele Monate währenden verdeckten Operation im Hamburger Hafen 1,33 Tonnen Kokain entdeckt. Die größte jemals in Deutschland gefundene Menge Rauschgift, versteckt in einem Container. Der Straßenverkaufswert der gestreckten Droge läge bei weit über 100 Millionen Euro. Ein enormer Erfolg für die Fahnder, die in verschiedenen Ländern Telefone abhörten, Wohnungen und Hotelzimmer verwanzten, E-Mails abfingen und Verdächtige observierten.
Doch die internen Feierlichkeiten über den großen Drogenfund sind vorbei, die Hintergrund- und Auswertungsgespräche geführt. Sogar eine gute Tonne Kokain ist auch nicht viel mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Der Kampf gegen den Kokainschmuggel geht weiter.
"Die Taucher sind schon unterwegs zum Fruchthafen", brummt Volker Biermann, während er die Leinen des 17 Meter langen Zollschiffs losmacht. Klar zum Ablegen.
Ziel der Zollfahnder an diesem sehr frühen Morgen ist die "Pacific Reefer", ein Bananendampfer aus Kolumbien. Über 80 Prozent des weißen Pulvers, das weltweit den Weg in die Nasen der Konsumenten findet, stammen aus dem von Korruption und Bürgerkrieg gebeutelten Andenland, in dem sich Guerilla und Paramilitär zu großen Teilen mit dem Drogenhandel finanzieren. Nahezu 1000 Tonnen Kokain pro Jahr schmuggeln kolumbianische Kartelle in die Welt. Knapp die Hälfte des Stoffs geht nach Europa. Zehn Prozent davon, schätzen Experten, passieren den Hamburger Hafen. Die 40 bis 50 Tonnen kommen hier mit einem Reinheitsgrad von 90 Prozent an. Zwischen- und Straßenhändler strecken die Droge auf bis zu sieben Prozent herunter. Die Gewinnspannen sind gigantisch: Für ein Kilo Kokapaste bekommt der Bauer in Kolumbien 700 bis 800 US-Dollar. 3000 Dollar kassiert der Importeur oder Drogenkurier. Ein Kilo reines Kokain kostet in Deutschland 30 000 Euro. Mehrfach gestreckt und grammweise verkauft bringt es den Verkäufern in Klubs, Kneipen und auf der Straße weit über 100 000 Euro.
Bananendampfer sind verdächtig
Die "Pacific Reefer" hat vor zwölf Tagen den in Fahnderkreisen äußerst berüchtigten kolumbianischen Hafen von Turbo verlassen, ist auf direktem Weg nach Hamburg geschippert und liegt jetzt vertaut im Hansa-Hafen, Schuppen 45. "Diese Direktschiffe, egal ob aus Süd- oder Mittelamerika, sind unsere Haupt-Zielgruppe. Sie alle sind für uns verdächtig", erklärt Biermann. "Und auf der 'Pacific Reefer' wurde vorletztes Jahr in Rotterdam schon einmal Rauschgift gefunden. Im Laderaum 4, C-Deck. Acht Kilo Koks. Gut möglich, dass wir auch heute fündig werden."
Biermann hat an diesem Morgen extra Taucher angefordert. Da der Hamburger Zoll anders als etwa der in Antwerpen oder Rotterdam über keine eigenen Froschmänner verfügt, kommen Profitaucher von der Polizei zum Einsatz. Vier Männer sollen das Schiff "abtauchen", untersuchen, ob Kokainschmuggler an der Außenhaut des Schiffes "wasserdichte Drogenpakete" befestigt haben.
In Turbo sollen selbst die örtlichen Zöllner tief im Drogensumpf stecken, gerne mal ein Auge zudrücken und den Kokainschmuggel mit koordinieren. Schert einer aus, wird er erschossen. So wie kürzlich zwei Zöllner aus Turbo, die eine größere Drogenladung verraten haben und mit Kopfschüssen von der Kokainmafia hingerichtet wurden. "An den beiden wurde ein Exempel statuiert", glaubt Biermann. "Seitdem sind die Tipps aus Turbo rar. Kann man irgendwie ja auch verstehen."
Er klettert über die Gangway auf das Schiff, das unter der Flagge der Niederländischen Antillen fährt. Der russische Kapitän händigt dem Cheffahnder mit der Lizenz zur Schiffkontrolle Frachtpapiere und Crewliste aus. Auch die gesamte Mannschaft besteht aus Russen. Biermann erklärt auf Englisch, was er und die Taucher vorhaben. Der Kapitän lässt die blau-weiße Alpha-Flagge aufziehen. Sie bedeutet: alle Maschinen stopp; Taucher am Schiff im Einsatz. Nachdem die Froschmänner etwa eine Stunde bei nur 30 Zentimeter Sicht im Wasser waren, ist klar, dass an der Außenhaut der "Pacific Reefer" kein Kokain versteckt ist. "Es ist zwar jeden Tag Fischerwetter - aber nicht jeden Tag Fangwetter", kommentiert Biermann knapp. Dann zückt er das Diensthandy und ruft seinen Verbindungsmann im Rotterdamer Hafen an, der nächsten Station des Bananenschiffs. "Die 'Pacific Reefer', die morgen bei euch einläuft, haben wir bereits abgetaucht", sagt er auf Niederländisch. "Nichts gefunden. Ihr könnt ja dann mal an und unter Deck gucken. Sag Bescheid, wenn ihr was findet."
"Abgetaucht" werden verdächtige Schiffe im Hamburger Hafen erst seit 1998. Damals haben die Drogenschmuggler ihre verbotene Ware oft und gerne außen am Schiff befestigt. Die Taucher der Schmugglerbanden flogen dem Frachter dann hinterher und holten die wasserdichten Drogenpakete, in die bis zu 100 Kilogramm passen, unbemerkt vom Schiff. "Momentan hängt draußen nur noch selten etwas dran", sagt Volker Biermann. "Die Schmuggler sind nicht blöde. Es hat sich längst bis nach Kolumbien, Venezuela und Ecuador herumgesprochen, dass wir hier in Westeuropa Taucher einsetzen."
Globalisierte Ermittler
Dass die Fahndungsbehörden von Zoll, Polizei und Grenzschutz in den großen Häfen Westeuropas immer enger zusammenarbeiten, dass sie Informationen nicht für sich behalten, weil sie den Erfolg gerne auf ihrem eigenen Konto verbuchen wollen, sondern weitergeben, ist auch mit ein Verdienst von Volker Biermann. Er ist Mitinitiator der Anfang 2000 gegründeten RALFH-Gruppe. Die Großbuchstaben stehen für die Hafenstädte Rotterdam, Antwerpen, Le Havre, Felixstowe und Hamburg. In all diesen Häfen gibt es schwarze Gangs. Und alle schwarzen Gangs ziehen an einem Strang. Die Oberfahnder treffen sich dreimal im Jahr jeweils für eine Woche. Das Ziel: eine immer bessere Koordination der westeuropäischen Hafenstädte in der Drogenbekämpfung im Seeverkehr.
"Informanten und V-Männer, die uns vorab von größeren Drogenlieferungen berichten, dürfen wir deutschen Zöllner ja nicht bezahlen. Dafür gibt es keinen Etat in unserem Haushalt", erklärt Volker Biermann. "In anderen westeuropäischen Ländern steht für die Verpetzer und Tippgeber schon Geld bereit. 20 000 bis 30 000 Euro werden für brauchbare Informationen aus dem Milieu gezahlt, die zu Drogenaufgriffen führen. Das wird zwar nicht groß kommuniziert, doch ab und an profitieren auch wir via RALFH davon. In den letzten Jahren sind wir immer mehr eine richtig verschworene Gemeinschaft im Kampf gegen Koka geworden. Vertrauen, Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit - das sind die Attribute, die uns stark machen."
Größere Aufgriffe in letzter Zeit? Ohne konkrete Tipps sei die tägliche Suche nach Drogen auf und an den Schiffen wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, sagt Biermann und überlegt einen Moment. "Im Juni 2009 haben wir in Hamburg 50 Kilogramm Kokain von einem Frachter geholt, im Jahr davor 77 Kilo. Pro Jahr kommen schon ein paar Hundert Kilos zusammen. Und vor fünf Jahren ging uns bei einer Operation eine Yacht mit einer Tonne Kokain und Marihuana ins Netz. Auch diese Lieferung wurde vorher verpfiffen, sodass wir gezielt zuschlagen konnten und Kommissar Zufall keine Rolle mehr spielte."
Die größten Fahndungserfolge waren stets das Ergebnis viele Monate währender Ermittlungsverfahren über Länder-, Kontinent- und Behördengrenzen hinaus, wie jüngst der 1,33-Tonnen-Fund im Hamburger Hafen. "Solche spektakulären Aufgriffe sind in unserem Job das Salz in der Suppe", resümiert Volker Biermann, während die Abendsonne elbaufwärts die in Richtung Hafen und Weltmeere fahrenden Schiffe rötlich einfärbt.