Der Anschlag auf die togolesische Nationalmannschaft weckt Befürchtungen - um die Sicherheit bei der bevorstehenden WM.
Luanda. Die Zuschauer feierten ihre Mannschaften, feuerten sie enthusiastisch an, schwenkten ihre Fahnen. Die Spieler sangen inbrünstig die Hymnen ihrer Länder. 50 000 erwartungsfrohe Menschen hatten sich im Stadion des 11. November in Angolas Hauptstadt Luanda versammelt - zum Anstoß des 27. Afrika-Cups. Fußballfeste beginnen so oder ähnlich. Angola gegen Mali (4:4) stand auf dem Programm, und hätte die Begegnung nicht mit einer Schweigeminute begonnen, niemandem wäre wohl aufgefallen, dass dieses Turnier kein gewöhnliches Sportereignis mehr werden kann.
Als die Afrikaspiele in Luanda eröffnet wurden, befand sich die Fußball-Nationalmannschaft Togos bereits auf dem Heimflug in ihre Hauptstadt Lomé. Premierminister Gilbert Houngbo hatte die Rückkehr angeordnet und den Regierungsjet nach Angola geschickt. "Es ist das Beste, nicht in Angola zu bleiben", sagte Regierungssprecher Pascal Bodjona, "es sind drei Menschen getötet worden, unser Torhüter Kodjovi Obilale liegt in Johannesburg auf der Intensivstation. Da können wir nicht einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen; denn es ist Unfassbares passiert. Wir wollen gemeinsam um unsere Toten trauern und sie zu Grabe tragen."
Das Unfassbare hatte sich am Freitag ereignet. Die Fußballauswahl Togos war in zwei Bussen aus ihrem Trainingsquartier in der Demokratischen Republik Kongo zu ihrem Spielort in die angolanische Exklave Cabinda unterwegs, als zehn Kilometer hinter der Grenze Rebellen der Befreiungsfront für die Unabhängigkeit Cabindas (FLEC) aus dem Hinterhalt das Feuer auf den Konvoi eröffneten. "Wir wurden beschossen wie Hunde. Die Angreifer waren bis an die Zähne bewaffnet", berichtete Mittelfeldspieler Thomas Dossevi vom französischen Erstligaklub FC Nantes. Im Kugelhagel starben Assistenztrainer Abolo Amelete, Pressesprecher Stanislas Ocloo und ein Busfahrer. Sieben weitere Personen wurden verletzt, darunter Obilale schwer. Er wurde zur Operation nach Südafrika in ein Johannesburger Krankenhaus geflogen. Zwei Kugeln hatten den Torwart des französischen Amateurklubs GSI Pontivy in Bauch und Rücken getroffen. "Es geht ihm gut, er ist außer Lebensgefahr", sagte ein Kliniksprecher am Sonntag.
"Wir haben noch viel Glück gehabt", erzählte der Leverkusener Profi Assimiou Touré der "Bild am Sonntag". Den ersten Bus hätten die Angreifer mit ihren Maschinengewehrsalven durchsiebt. "Die dachten, dass wir da drinsitzen. Aber in dem Bus war nur Gepäck." Der Busfahrer starb im Kugelhagel. Im zweiten Fahrzeug gelang es den meisten Spielern, sich unter den Sitzen in Deckung zu bringen, jedoch nicht alle rechtzeitig genug. Nationaltrainer Hubert Velud, ein Franzose, wurde am Arm getroffen, sein Assistent und der Pressesprecher überlebten nicht. "Es war schrecklich anzusehen, wie ein Mitspieler mit einer Kugel im Körper schrie und dann bewusstlos zusammensackte", sagte Mannschaftskapitän Emmanuel Adebayor von Manchester City.
Ein mögliches Massaker verhinderte die angolanische Polizei. Sie hatte die Busse begleitet, das Feuer erwidert und die Armee zur Verstärkung gerufen. Das Gefecht dauerte zehn Minuten. "Eine Ewigkeit", wie Adebayor empfand. "Ich werde diese Todesangst nie vergessen."
Nur einen Tag später schienen die Spieler den Schock überwunden zu haben. "Wir haben geweint, uns schmerzt das Herz, und der Kopf fragt nach dem Warum, aber wir machen uns nicht wie Feiglinge aus dem Staub. Wir wollen beim Afrika-Cup antreten", verkündete Thomas Dossevi den einstimmigen Beschluss der Mannschaft in der Nacht zum Sonntag. "Das ist keine Party mehr, aber wir wollen unsere Nationalfarben, unsere Werte zeigen und dass wir Männer sind." Den erzwungenen Rückflug nach Togo traten sie widerwillig an. "Wir hatten uns durchgerungen, etwas Gutes zu tun für das Land, und zu Ehren derer zu spielen, die gestorben sind. Leider haben sich der Staatschef und die Regierung anders entschieden", sagte Kapitän Adebayor.
Der Vorfall im Grenzgebiet zwischen Kongo und Angola - erstmals ist eine Fußballmannschaft gezielt von Terroristen attackiert worden - hat die Diskussionen um die Sicherheit bei der Fußball-WM in Südafrika (11. Juni bis 11. Juli) neu entflammt. "Dieser Reflex war zu erwarten", sagt Otto Pfister. Der 72 Jahre alte Fußballlehrer gilt als Afrika-Experte. Der gebürtige Kölner war in den vergangenen 25 Jahren wiederholt auf dem Kontinent als Trainer tätig. Pfister hatte während der WM 2006 in Deutschland die Nationalmannschaft Togos betreut. "Klar", sagt Pfister, "das wird jetzt direkt auf die WM projiziert. Dies ist ein harter Schlag für Afrika. Die Kritiker der WM in Südafrika werden wieder Oberwasser bekommen. Man darf jedoch nicht den Fehler machen, Angola und Südafrika zu vergleichen. Zwischen diesen Ländern gibt es gerade im Bereich der Sicherheit erhebliche Unterschiede." Pfisters Rat: "Niemand sollte in Panik verfallen. Nirgendwo auf der Welt kann heute absolute Sicherheit garantiert werden, weder in Amerika, Europa noch in Afrika."
Das Auswärtige Amt in Berlin überarbeitet, falls notwendig, täglich seine Reisewarnungen für alle Länder der Welt. Den Text für Südafrika hat die Behörde seit 14 Monaten in der Substanz unverändert gelassen. "Südafrika", stand da auch am zweiten Tag nach dem Anschlag auf der Homepage, "verzeichnet eine hohe Kriminalitätsrate einschließlich hoher Gewaltkriminalität, vor allem in Großstädten und deren Randgebieten." Folgende Vorsichtsmaßnahmen werden daher von der Bundesregierung empfohlen: "Die Innenstädte von Johannesburg, Pretoria, Durban und Kapstadt sollten nach Geschäftsschluss gemieden werden; an Sonntagen sollte man nur in Gruppen in die Innenstädte gehen. Ebenso wird tagsüber zu erhöhter Vorsicht geraten."
Vor der Auslosung der Qualifikationsspiele zur WM 2010 war im November 2007 der ehemalige österreichische Fußballprofi Peter Burgstaller auf einem Golfplatz in der Nähe Durbans ausgeraubt und ermordet worden. Die Anzahl der Gewaltdelikte ist in Südafrika so hoch wie in kaum einem anderen Land der Welt. Täglich passieren bis zu 50 Morde. Zum Vergleich: In Deutschland wurden im gesamten vergangenen Jahr insgesamt knapp 800 Tötungsdelikte registriert. Betuchte Ausländer leben in Südafrika meistens in Hochsicherheits-Gettos, ihre Häuser sind von Mauern mit Stacheldraht umgeben, Polizisten kontrollieren ständig die Gebiete. Ähnlich werden es die Fußball-Nationalmannschaften bei der WM im Sommer erleben. Ihre Hotelanlagen werden hermetisch abgeschirmt sein. Der Einsatz von 190 000 Sicherheitskräften ist geplant, Flugzeuge und Hubschrauber überwachen das Land aus der Luft. Die Geheimdienste der Teilnehmerstaaten arbeiten mit den südafrikanischen Behörden bereits intensiv zusammen.
Paramilitärische Separatisten-Bewegungen wie in Angola sind in Südafrika unbekannt. Um die ölreiche Provinz Cabinda im Norden Angolas, ehemals Portugiesisch-Kongo, gibt es seit Jahrzehnten Kämpfe. Die FLEC fordert die Unabhängigkeit der Region. Die politische Fraktion der Organisation hatte 2006 ein Friedensabkommen mit Angola unterzeichnet, radikale Splittergruppen stehen weiter unter Waffen. Am 1. Dezember hatte die Regierung Angolas erklärt, die FLEC existiere nicht mehr. Ein folgenschwerer Irrtum. Angola hatte die Teilnehmer des Afrika-Cups dennoch gewarnt, aus dem Norden mit dem Bus anzureisen. "Ich weiß nicht, was Togo bewogen hat, es trotzdem zu tun", sagte ein Sprecher der Organisationskomitees. Ein Verbot gab es nicht. "Wir sind von niemandem gewarnt worden", erklärte Togos Regierungssprecher Bodjona.
Die Ankündigung des afrikanischen Fußballverbandes, auch nach dem Anschlag beim Afrika-Cup am Spielort Cabinda festzuhalten, wertete FLEC-Generalsekretär Rodrigues Maingas inzwischen als Kriegserklärung: "Die Waffen werden weiter sprechen", sagte er am Sonntag. Maingas lebt in Frankreich im Exil. Es sei kein spezieller Anschlag auf die Mannschaft Togos gewesen, "es hätte auch Angola, die Elfenbeinküste oder Ghana treffen können. Wir sind im Krieg. Wir bedauern den Tod von Menschen, aber in den vergangenen 35 Jahren sind auch Tausende Einwohner Cabindas gestorben."
Der Fußball-Weltverband Fifa bemüht sich derweil um Schadensbegrenzung. Der Anschlag tangiere die WM nicht, sagte Präsident Joseph Blatter: "Ich habe weiter vollstes Vertrauen in Afrika und bin sicher, dass der Kontinent in der Lage ist, eine WM zu organisieren." Auch Rudi Völler sorgt sich nicht um die Sicherheit in Südafrika. "Man sollte jetzt nicht alles zusammenschmeißen und Südafrika Unrecht tun", meinte der frühere Teamchef des Deutschen Fußball-Bundes und heutige Sportdirektor des Bundesligaklubs Bayer Leverkusen.
Südafrikas Staatspräsident Jacob Zuma durfte dann auch die Schießerei als regionalen Konflikt einordnen - und abtun. "Die schockierenden und inakzeptablen Vorfälle in Angola werden keinen Einfluss auf das Weltturnier in Südafrika haben", sagte Zuma in Luanda vor der Eröffnungszeremonie des Afrika-Cups. "Südafrika ist nach wie vor zu 100 Prozent bereit, die WM auszurichten. Der Angriff auf die togolesische Delegation darf nicht überbewertet werden, aber er sollte Ansporn für den afrikanischen Kontinent und den Rest der Welt sein, den Terrorismus zu bekämpfen, wo immer er auftaucht."
Rationalität klingt so. Vielleicht ist sie angebracht. The games must go on. Heute um 17 Uhr bestreiten die Elfenbeinküste und Burkina Faso, mit HSV-Profi Jonathan Pitroipa, im Estádio Chimandela in Cabinda das erste Spiel in der Gruppe B, der Gruppe Togos.