Die Reise einer Gruppe in ein Terrorcamp in Pakistan zeige, dass weiterhin junge Menschen radikalisiert werden - vor allem in der Moschee St. Georg.
Videobotschaften im Internet, konkrete Verweise auf Hamburg als Ziel terroristischer Anschläge, die Terrorcamp-Reisen bekannter Dschihadisten: Deutschland und Hamburg stehen auch nach der Bundestagswahl im Fokus islamistischer Attentäter. Davon gaben sich Verfassungsschützer gestern auf einer Tagung in Hamburg überzeugt. Hans-Georg Engelke, Leiter der Abteilung Terrorismus, sieht die Hansestadt als eines der Zentren des Islamismus in Deutschland. Ein Mann, der zurzeit besonders im Fokus der Ermittler steht: der Hamburger Dschihadist Shahab D., der gemeinsam mit seiner Freundin, acht weiteren Männern und einer weiteren Frau im März in ein Terrorcamp bei Peschawar (Pakistan) geflogen war. Mehr als zehn Jahre hatte er zuvor in Hamburg gelebt.
Nach Erkenntnissen der Ermittler spielte die Gruppe um Shahab D., die im März ausgereist war, auch im Vorfeld schon eine gewichtige Rolle im Hamburger Terror-Beziehungsgeflecht. Wie auch die Attentäter vom 11. September 2001 lernten sie sich in der Al-Kuds-Moschee am Steindamm kennen. Die Moschee ist inzwischen in Masjid-Taiba-Moschee ("die schöne Moschee") umbenannt.
Laut Verfassungsschutz hatten und haben die Gruppenmitglieder, von denen nur die deutschen Konvertiten Alexander J. und Michael W. bislang zurückgekehrt sind, Mitwisser und Unterstützer. Es liege nahe, dass diese Menschen, die sich weiterhin in Hamburg aufhalten, wüssten, was die Gruppe plant. Drei der ins Dschihadisten-Camp gereisten Männer seien vorbestraft, unter anderem wegen Gewaltdelikten. Die meisten von ihnen bezogen bis zu ihrer Ausreise staatliche Hilfen wie Hartz IV, Arbeitslosengeld oder BAföG. "Es liegt nahe, dass sie ihre Reise mit diesem Geld finanziert haben", sagt ein Verfassungsschützer.
Einer der Terroristen ist älter als 50 Jahre, sechs sind zwischen 20 und 29 Jahre alt. Die höchst internationale Gruppe (die Mitglieder stammen unter anderem aus Afghanistan, dem Iran, Deutschland und Nordafrika) traf sich nicht nur zum gemeinsamen Koranstudium. "Sie machten auch zusammen Sport, gingen zum Beispiel joggen", so glaubt der Verfassungsschutz. 45 höchst gewaltbereite Dschihadisten, so hat der Verfassungsschutz herausgefunden, gibt es allein in Hamburg. 70 weitere Personen zählen die Ermittler zum gefährdeten Kreis. Bei der Hamburger Polizei kümmert sich die Islamwissenschaftlerin Irmgard Schrand um diese Klientel. Die 49-Jährige - sie spricht Englisch, Spanisch, Arabisch und etwas Persisch - leitet Deutschlands einziges "Präventionsteam Islam" in einer Polizeibehörde, ein Pilotprojekt, in dem die Zuwendung zu hier lebenden Muslimen eine Radikalisierung verhindern helfen soll. Einer der Gründe, die einen jungen Muslim verleiten können, ein radikaler Islamist zu werden, so sagt Schrand, liege in der mangelnden Kenntnis, die in der westlichen Gesellschaft noch immer über den Koran und den Islam vorherrsche. Schrand: "Eigentlich besteht kein Grundkonflikt zwischen der christlichen und der islamischen Welt." So sieht die Wissenschaftlerin im Polizeidienst eine ihrer Hauptaufgaben in der Prävention, darin also, ein Klima zu schaffen, in dem Radikalisierung verhindert werden kann. Schrand: "Wir gehen in die Moscheen, in die Gemeinden, in Schulen und Jugendeinrichtungen.
Das Ziel ist, durch Verständnis und ein gewisses Verbünden Vorbeugung zu erreichen. "Wir gehen mit offenem Visier in die Gemeinden", sagt die 49-Jährige, die ihr Zimmer im Polizeipräsidium mit einem Sammelsurium ägyptisch-arabischer Bücher und Sammelstücke geschmückt hat. Nach wie vor seien die islamischen Gemeinden viel zu wenig in die deutsche Gesellschaft eingebunden, das Wissen um die Eigenarten der Religion viel zu wenig verbreitet. Schrand: "Es gibt ja nicht den einen Islam. Fast jede Nationalität lebt ihre eigene Ausrichtung. Das macht es für uns ja so schwer, Zugang zu finden." Die radikalen Islamisten, da ist sich Schrand sicher, schaden vor allem den friedliebenden Muslimen, also der breiten Masse der Korangläubigen.
Ihr Wissen über die auch für viele Polizeibeamte fremde und befremdliche Religion verbreitet Schrand auch in Vorträgen an den Kommissariaten. Schöpfen dortige Beamte den Verdacht, dass Jugendliche oder muslimische Gruppen sich radikalisieren, rufen sie die Wissenschaftlerin zur Gefahreneinschätzung. Wieso aber werden Muslime zu Dschihadisten? "Nur wenige von ihnen", sagt Irmgard Schrand, seien gewaltbereit. "Und die, die es sind, suchen oft ebenso Anerkennung wie viele 'gewöhnliche' Gewalttäter." Es könnten sogar romantische Gefühle sein, die junge Männer in den Heiligen Krieg ziehen ließen. Oft entsteht der Hass jedoch aus Vernachlässigung: "Für Jugendliche kann Religion ein Halt sein. Doch dann sind sie auch beeinflussbar."