Blohm + Voss, das letzte große Aushängeschild des Hamburger Schiffbaus, wird arabisch. Der neue Eigentümer aus Abu Dhabi kauft weit mehr als nur ein Unternehmen.
Sicher, es gibt Schlimmeres. Man hätte den Mitarbeitern von Blohm + Voss sagen können, dass hier nie wieder ein Schiff auf Kiel gelegt wird, dass keines mehr in die Docks einläuft, den größten Schönheitssalon der Stadt. Man hätte ihnen genau das sagen können, was die Arbeiter in vielen anderen deutschen Werften im vergangenen Jahr so oft hören mussten: dass der Schiffbau in Deutschland keine Zukunft hat.
Die Manager von ThyssenKrupp aber haben ihnen gar nichts gesagt, den Frauen und Männern ihres Tochterunternehmens Blohm + Voss, bevor sie gestern den Medien bekannt gaben, dass sie das Hamburger Traditionsunternehmen nach Arabien verkaufen. Mehrheitseigner ist künftig die Gesellschaft Abu Dhabi Mar von Scheich Hamdan bin Zajed al-Nahjan in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Seit mehr als einem Jahr wütet die Wirtschaftskrise in der Branche, sie drückte eine Werft nach der anderen in die Insolvenz. Diese Krise sah man Blohm + Voss nicht an, dem prominentesten Schaufenster deutscher Schiffbaukunst. Die Docks waren stets gut gefüllt, die Projekte prestigeträchtig, sei es die Reparatur der "Queen Mary 2", sei es der Bau der weltgrößten Yacht "Eclipse" für den russischen Milliardär Roman Abramowitsch. Von außen, von der Hafenpromenade aus, wirkt die Werft so vital wie ein Baby mit roten Bäckchen. Doch glaubt man dem Management von ThyssenKrupp, stammt die Röte vom Fieber. Würde Abu Dhabi Mar nicht einsteigen, sagte Thyssen-Manager Olaf Berlien gestern, müsste man den Yachtbau "Weihnachten zumachen".
Wie ernst oder wie schlecht es um Blohm + Voss tatsächlich stand und steht, wurde auch gestern nicht wirklich klar. Verschlossen und verstockt agierte der Essener Industriekonzern ThyssenKrupp in den vergangenen Jahren, wenn es um Gegenwart und Zukunft seiner Werften in Emden, Kiel und Hamburg ging. Auch deshalb, weil sich ein Unternehmen, das Marineschiffe baut, besonders ungern in die Karten sehen lässt. Nach außen hin für alle sichtbar, doch hinter der Fassade abgeschottet agierte das Mutterunternehmen bei Blohm + Voss. Nun, mit der Übernahme der Werft, wird sich zeigen, was Hamburg näher liegt - Essen oder Abu Dhabi.
Scheich Hamdan kauft weit mehr als ein Unternehmen, er kauft ein Stück Hamburg. Ein Filetstück. Mehr als 1000 Schiffe baute Blohm + Voss, seit Hermann Blohm und Ernst Voss 1877 auf der damaligen Elbinsel Kuhwerder ihre Werft und Maschinenfabrik gegründet hatten. Viele dieser Schiffe trugen ruhmreiche Namen, andere schrieben unrühmliche Geschichte, die bis heute nicht vergessen ist.
Unter anderem mit der "Vaterland", abgeliefert von Blohm + Voss im Jahr 1913, machte der legendäre Hapag-Chef Albert Ballin den Briten den Rang des größten und prächtigsten Passagierdampfers in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg streitig. Die Viermastbark "Passat" von 1911 überlebte, anders als ihr berühmteres Schwesterschiff "Pamir", die Ära der Segelfrachter; sie liegt heute als Museumsschiff in Travemünde. Die "Bismarck", die Blohm + Voss 1939 vom Stapel ließ, sollte Hitlers Speerspitze beim Kampf um die Weltmeere sein; sie sank beim ersten Kriegseinsatz, fast 2000 Menschen starben. Für den massenhaften Tod auf dem Wasser stehen auch die Blohm + Voss-Schiffe "Wilhelm Gustloff", versenkt 1945 in der Ostsee mit 9000 Flüchtlingen an Bord, und die "Cap Arcona", die kurz vor Kriegsende mit 4600 Häftlingen aus dem KZ Neuengamme sank. Botschafter eines friedlichen Deutschlands ist das Segelschulschiff "Gorch Fock" der Bundesmarine, fertiggestellt von Blohm + Voss im Jahr 1958, fast baugleich mit der ersten "Gorch Fock" von 1933.
Blohm + Voss überlebte als Unternehmen beide Weltkriege und alle Wirtschaftskrisen drumherum. Nach dem Zweiten Weltkrieg genoss der deutsche Schiffbau noch einmal eine große Blüte, in den 60er- und 70er-Jahren zählte Deutschland wieder zu den führenden Schiffbaunationen. Die Werftindustrie in Hamburg boomte. Howaldt, Deutsche Werft, Stülcken und Schlieker waren neben Blohm + Voss die großen Namen jener Zeit. Übrig blieben Blohm + Voss und das kleinere Familienunternehmen Sietas in Neuenfelde, das auch die Reparaturwerft Norderwerft im Hafen betreibt.
Ein Hamburger Unternehmen im rechtlichen Sinne ist Blohm + Voss schon längst nicht mehr, nach dem Krieg übernahm Thyssen, später ThyssenKrupp, schrittweise die Kontrolle. Ein Hamburger Unternehmen aber ist die Werft in den Augen vieler Hamburger und ihrer Besucher bis heute, Gesicht und Projektionsfläche der Hansestadt und ihrer Geschichte, die der Schifffahrt zugewandt ist. Eine lebendige Werbung für Hamburg und dessen Wirtschaft, auch abseits von Hafengeburtstagen und runden Jubiläen in Elbnähe.
Eine "Hamburger Lösung" für diesen Teil der städtischen Identität hatte angesichts der Krise nie jemand im Sinn, eine Übernahme von Blohm + Voss durch Hamburger Investoren. Das mag daran liegen, dass man mit dieser Vorgehensweise bei der Reederei Hapag-Lloyd durch Hamburger Geldgeber im zurückliegenden Jahr viel Lehrgeld gezahlt hat. Die Stadt und hier ansässige Investoren kauften die Mehrheit, als die Krise die Schifffahrtslinie mit voller Wucht erwischte.
Eine solche Lösung kann es für Blohm + Voss nicht geben. Niemand weiß, was die Flutwelle dem deutschen Schiffbau nach dem Tsunami der Weltwirtschaft übrig lässt. Durch das Aufkommen der asiatischen Schiffbau-Mächte Japan, Südkorea und zuletzt China wurde die Werftindustrie in Europa, auch in Deutschland, mit jeder Krise der vergangenen Jahrzehnte immer mehr in die Defensive gedrängt. Dass Blohm + Voss heutzutage noch immer rund 1700 Menschen beschäftigt, erscheint da als große Erfolgsgeschichte. Den Strukturwandel und die Rationalisierungsschübe der Branche hat die Hamburger Großwerft vergleichsweise lange überstanden.
Nüchtern und beinahe gleichgültig klangen die Reaktionen und Kommentare, die Politiker gestern zum geplanten Verkauf abgaben. Für die Weiterführung des Traditionsunternehmens sei es entscheidend, "dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben", teilte Wirtschaftssenator Axel Gedaschko (CDU) mit. Der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs sagte: "Der Verkauf an die Araber ist sicherlich nicht optimal, aber die beste der schlechten Möglichkeiten."
Gemeinsam mit den arabischen Investoren wolle man neue Märkte erschließen, Megayachten und Marineschiffe in die vielen aufstrebenden Märkte der Welt verkaufen, sei es in Asien oder in der arabischen Welt, erläuterten die künftigen Partner gestern: "ThyssenKrupp und Blohm + Voss sind in vielen Ländern präsent, in denen wir es nicht sind. Unsere Marken werden ihre Werte gegenseitig steigern", sagte der Unternehmer Iskandar Safa, Miteigentümer von Abu Dhabi Mar.
Man mag sich fragen, warum ein international agierender Topkonzern wie ThyssenKrupp das nicht selbst geschafft hat. Unklar bleibt auch, welche Interessen ThyssenKrupp mit seinen verbleibenden Anteilen bei Blohm + Voss verfolgt. Man rechne mit einer "langen Zusammenarbeit", sagte der Neueigentümer Safa.
Es kann sein, dass Blohm + Voss mit seiner hoch qualifizierten Belegschaft auch diese Wirtschaftskrise übersteht. Wenn es gelingt, neue Aufträge für Yachten, für Reparaturen, für Militärschiffe zu akquirieren, werden auch künftig Schiffe inmitten Hamburgs gebaut werden. Den Mitarbeitern von Blohm + Voss wäre das zu wünschen, aber auch der Stadt. Denn maritime Museumsstücke besitzt Hamburg mittlerweile in ausreichender Zahl.