Maßlos erfolgreich sind Hamburgs Großereignisse: Mehr als eine Million Gäste werden an diesem Wochenende erwartet, um dem Hafen zum 819. Geburtstag zu gratulieren. Bis zu 850 000 Fans sollen den Marathonläufern zugejubelt haben, und etwa 900 000 Menschen vergnügen sich jährlich beim Straßenfest an der Alster. Auf einen "Riesenerfolg" folgt nicht selten ein "Rekordjahr". Doch wer kann verlässlich sagen, wie viele Besucher über den Dom schlendern oder der "Queen Mary 2" zuwinken? Wer schätzt diese Zahlen - und wie? Sechs Experten verraten, wie genau sie Maß nehmen.
Sascha Albertsen, Hamburg Tourismus GmbH (Hafengeburtstag, QM2, Schiffstaufen): "Bei uns sind drei Mitarbeiter für das sogenannte Monitoring zuständig." Sie schätzen die Publikumsdichte, schließen sich mit den Veranstaltern kurz und erkundigen sich nach der Auslastung der großen Hotels. "Keine Frage: Mit einer Schätzung kann man total danebenliegen."
Ulf Kalkmann, Einzelhandelsverband, schätzt die Zahl der potenziellen Käufer an verkaufsoffenen Sonntagen oder beim Late-Night-Shopping. "30 Jahre Erfahrung geben mir den Mut dazu", sagt er. Haben die 1300 Geschäfte in der Innenstadt sonntags geöffnet, dann macht sich Kalkmann gegen 14 Uhr selbst ein Bild. Anschließend telefoniert er mit den Geschäftsführern von etwa zehn großen Warenhäusern. "Es ist schlicht unzählbar, wie viele Menschen sich über die Mö drängen", sagt Kalkmann. "Das ist nicht wie im Fußballstadion, wo man die verkauften Tickets zählt." Der Vorteil: "Niemand kann am nächsten Tag beweisen, dass ich womöglich danebenlag." Lockt das "Immer mehr"-Fazit? "Nein, aber Öffentlichkeitsarbeit ist Marketing." Im Klartext: Ein und dieselbe Zahl lässt sich unterschiedlich interpretieren. "Ich könnte sagen: 'Mehr als 100 000 Menschen waren da' oder 'Nur 110 000 sind gekommen' - die Wirkung ist gleich ganz anders."
Dirk Marx, Werbegesellschaft des Ambulanten Gewerbes und der Schausteller (WAGS), organisiert Alstervergnügen, Airport Classics, Weihnachtsmärkte: "Wir versuchen, angemessen zu schätzen. Aber es gibt Veranstalter, die ihre Aktionen erfolgreicher darstellen, als sie sind." Statt von 900 000 Menschen würden diese zuweilen gern von einer Million sprechen, "weil es einfach besser klingt". Wer sich grob verschätze, müsse allerdings mit Folgen rechnen: "Wer die Besucherzahl zu hoch vorhersagt, braucht mehr Sicherheitskräfte, mehr Toiletten, mehr Geld." Gleichzeitig treibe eine großzügige Schätzung die Standmieten in die Höhe. Derzeit koste eine Bierbude auf dem Alstervergnügen 3000 Euro Miete für vier Tage. "Seit drei Jahren halten wir diesen Preis konstant", sagt Marx. "Das zeigt, dass wir die Publikumsmenge realistisch einschätzen. Denn wenn Miete und Umsatz in einem unangemessenen Verhältnis stünden, blieben die Händler weg."
Wer allerdings im Vorfeld einer Veranstaltung von zu wenigen Interessierten ausgehe, lege sich mit den Sponsoren an: "Die ziehen sich finanziell zurück, das Ereignis ist gefährdet."
Wolfram Götz, Agentur Act Agency, seit 1987 Organisator des Hamburg-Marathons: "Wir verlassen uns in erster Linie auf die Schätzungen der Polizei." Allerdings könne man neben den Fans am Straßenrand zusätzlich noch die Zuschauer auf den Balkonen und an den Fenstern einbeziehen.
Michael Jenke, Wirtschaftsbehörde, Referat für Volksfeste und Sonderveranstaltungen (Dom, Hafengeburtstag): "Beim Hafengeburtstag gilt es, eine Strecke von 3,6 Kilometern zu überblicken - eine exakte Zählung ist ausgeschlossen." Es sei jedoch wichtig, ein Ereignis realistisch darzustellen. "Sonst macht man sich für die Zukunft lächerlich."
Ralf Meyer, Polizei Hamburg: "Bei kleineren Veranstaltungen werden die Teilnehmer gezählt, bei größeren qualitativ geschätzt." Das heißt: Die Einsatzkräfte überblicken, meist aus einem Hubschrauber, einzelne Abschnitte des Areals, schätzen die Besucherdichte pro Quadratmeter und rechnen sie auf das gesamte Gebiet hoch. Manche Veranstalter würden die Schätzungen der Polizei übernehmen, andere nicht. "Dabei werden zuweilen Zahlen veröffentlicht, die von unseren Werten sehr deutlich abweichen."