Wahlvorsteher Thomas Müller sieht an diesem Tag rot. Wieder und wieder. Tonnenweise. Der 44-Jährige sitzt an einem Biertisch, neben ihm zwei 240 Liter fassende Mülltonnen, bis oben hin gefüllt mit Zetteln, roten Zetteln. Es sind die Stimmzettel für die Wahlkreislisten, und Thomas Müller zählt die Kreuze auf ihnen, den ganzen Tag und dann noch einmal zur Kontrolle. Er ist einer von mehr als 2800 Wahlhelfern in dem ehemaligen Bürohaus in der City Nord, dem größten der 16 Auszählzentren der Stadt.

280 000 Stimmzettel sind es allein hier. Auf vier Stockwerken sitzen die Helfer in den einstigen Großraumbüros mit 70er-Jahre-Charme und senfgelbfarbenen Teppichen und zählen Kreuzchen. Im ersten Stock die aus Eppendorf und Winterhude. Es geht emsig zu. Auch an der Zählstation für das Wahlbüro 40908, das "Reich" von Thomas Müller und seinen neun Kollegen. Ein erfahrener Zähltisch.

"Ich mach das schon seit fast 20 Jahren", sagt Müller. Ihn bringen weder die roten Zettel noch das neue Wahlrecht mit maximal zwölf Kreuzen verteilt auf vier Stimmzettelhefte aus der Ruhe. Mit den Landes- und Bezirkslisten, die überall schon am Sonntagabend ausgezählt wurden, war sein Wahllokal bereits nach zwei Stunden durch. Alles eine Frage des Systems. Und der Verständigung: "Ist einer unsicher, ob der Stimmzettel gültig ist, stimmt der Tisch darüber ab", sagt er. Im Auszählzentrum gibt es eben Demokratie zum Anfassen. Einer der Gründe, weshalb Müller immer wieder dabei ist. Und, weil es "irgendwie auch Spaß macht."

Spaß, aber auch harte Arbeit. Teilweise sogar körperlich. Ein Stockwerk höher, im Bereich Barmbek, Uhlenhorst, Dulsberg, hocken Petra Rußmann und Tochter Katharina auf Knien vor Zettelstapeln auf dem Boden. "Wir sortieren die Zettel, auf denen nur die Gesamtlisten der Parteien angekreuzt wurden", sagt Petra Rußmann. Die Schuldnerberaterin hat sich extra drei Tage freigenommen, die Neugier hat sie angelockt. "Ich studiere Politikwissenschaft und wollte einfach mal hinter die Kulissen gucken", sagt Katharina Rußmann (22). "Ist ja schließlich ein großer Aufwand." Und vor allem viele Kreuze. Damit die Konzentration nicht nachlässt, gibt es Salzstangen, Tee aus Thermoskannen und wechselnde Aufgaben: erst die ungültigen Stimmzettel aussortieren, nach Gesamtliste sortieren, dann nach panaschierten Stimmen innerhalb einer Partei - abwechslungsreich, das neue Wahlrecht.

Doch nicht alles war zu Beginn so gut organisiert wie die Wahlhelfer. Am Morgen standen zahlreiche von ihnen in einer langen Schlange vor der Tür und mussten bis zu 45 Minuten warten, bevor sie in das Gebäude durften. Alle, die noch keinen Wahlhelfer-Ausweis hatten, hätten erst einmal warten müssen, so Kirsten Ben Rached (57) aus dem Wahllokal Forsmannstraße. "Die Organisatoren schienen vom Ansturm ein wenig überfordert", sagt sie. "Das hätte schon besser vorbereitet werden können."

Von "normalen Anfangsschwierigkeiten" spricht die stellvertretende Bezirkssprecherin Katja Glahn. Dazu gehörte auch, dass es die ersten eineinhalb Stunden noch keinen Strom, sondern nur eine Notbeleuchtung gab. Ab dem Vormittag lief dann aber alles - so gut, dass es einige optimistisch stimmte. "Bis Mittwoch werden wir locker fertig", sagt einer. "Vielleicht sogar schon früher." Doch bis dahin gibt es noch tonnenweise Arbeit.