Die Kosten tragen eine Stiftung und die Klinik. Kinder werden in Kabul ausgesucht, manche sogar gleich dort operiert.
Hamburg. Die Sache mit Hasiba geht Friedrich-Christian Rieß nicht mehr aus dem Kopf. Fußball wollte sie mit ihren Brüdern spielen, die Zehnjährige aus Kabul. Ihr fehlte die Luft. Hasiba hatte einen angeborenen Herzfehler. Was in Deutschland in den ersten Jahren eines Kindes operiert wird, musste für Hasiba wie für Tausende ihrer Leidensgenossen zum sicheren Tod als Jugendliche oder junge Erwachsene führen. In Afghanistan gibt es keine Herzchirurgie.
Privatdozent Rieß, leitender Chirurg im Albertinen-Krankenhaus in Schnelsen, besorgte einen Fußball für Hasiba, ehe er sie auf seinen OP-Tisch legte. Schon wenige Tage, nachdem Rieß und sein Team die Fallotsche Tetralogie am Herzen des Mädchens operiert hatten, ging es mit Hasiba bergauf: "Erst hat sie auf der Station, dann draußen im Park Fußball gespielt", sagt Rieß. "Manche der Kinder sind wie angeknipst. Man hat einen neuen Menschen vor sich."
Zwölf Kinder aus Afghanistan werden in diesem Jahr in Hamburgs größter Herzchirurgie operiert. Von den je rund 16 000 Euro Kosten trägt die Albertinen-Stiftung 11 000, das Krankenhaus selbst 5000 Euro. Der Rotary Club Norderstedt hat gestern eine langfristige finanzielle Unterstützung der "Herzbrücke" zugesagt. Am 6. Oktober (19.30 Uhr) gibt es in der Kirche des Albertinen ein Benefizkonzert.
Die medizinische Brücke Kabul-Hamburg geht auch auf den persönlichen Einsatz des ärztlichen Direktors Matthias Angres zurück. Er flog bereits diverse Male auf eigene Faust nach Kabul, um dort Kinder zu operieren, Ärzte weiterzubilden und einige Jungen und Mädchen nach Hamburg mitzubringen (das Abendblatt berichtete).
Jetzt stellte er eine Liste von 40 Kindern zusammen, denen in den nächsten Wochen und Monaten der Tod droht. Einige werden in Schnelsen am Herzen operiert, andere bei Angres' Kollegen, die er in seinem privaten Netzwerk über Deutschland verteilt in die Pflicht nimmt. "Bei diesen Kindern", sagt Rieß, "steht die Lebensuhr auf fünf vor zwölf."
Der Herzspezialist aus dem Albertinen hat fast 10 000 Patienten gehabt. Die Kinder vom Hindukusch operiert er kostenlos. "Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein, aber man muss irgendwo anfangen", sagt Rieß, der selbst sechs Kinder hat. Die schwachen, oft verstörten afghanischen Kinder kommen in eine verwirrende Welt, werden in Hamburg aber in ein wahres Nest gelegt: Gastfamilien kümmern sich wochenlang um sie. Hinter dem Chirurgen steht für jedes Kind ein Team von Assistenten, Pflegern, Dolmetschern.
Auch Ater-Bibi (10) und Shakila (9) wurden in den vergangenen Monaten im Albertinen operiert. An ihnen lief das gesamte Programm ab: ausgewählt in Kabul, Flug nach Deutschland, Untersuchungen vom Blutabnehmen bis zur Magnetresonanztomografie, Operation, Ruhe, Rückflug. "Manchmal sanieren wir auch noch die Zähne der Kinder", sagt Rieß.
Ater-Bibi und Shakila waren operabel. Das ist nicht immer so. Bei einigen der mehreren Hundert Patienten mit angeborenen Herzfehlern, die Angres im Indira-Gandhi-Krankenhaus in Kabul anschaute, war der Lungengefäß-Widerstand unumkehrbar angestiegen. Ihnen würde nur eine Herz-Lungen-Transplantation helfen. Die kleine Hasiba hatte vor lauter Luftnot nur am Boden gehockt, weil sie sich nicht belasten konnte. In dieser "Hockerstellung" (Rieß) kauern viele Kinder in Kabul dem sicheren Tod entgegen. Hasibas Hautfarbe hat sich von blau zu rosa gewandelt seit der Operation in Hamburg.
In die OPs der deutschen Chirurgen kommen bisweilen auch Herzkranke mit Verletzungen, die vom Dauer-Ausnahmezustand in ihrer Heimat künden: Schusswunden, Verbrennungen, abgerissene Füße, Hände - Landminen sehen als Modell "Schmetterling" wie Spielzeug aus.
Bis zu 200 kleine Patienten schaut Albertinen-Doktor Angres pro Kabul-Mission an. Die Eltern strecken ihm ihre Kinder entgegen. Er muss oft binnen Minuten entscheiden, wer sofort Hilfe braucht, wem möglicherweise vor Ort geholfen werden kann und wer voraussichtlich nur noch wenige Wochen zu leben hat.
"Die Herzbrücke steht für einen respektvollen Umgang zwischen Christen und Muslimen. Das zu betonen, ist mir sechs Jahre nach den furchtbaren Anschlägen vom 11. September ein besonderes Anliegen", sagt Prof. Fokko ter Haseborg, Vorsitzender der Albertinen-Stiftung. In Hamburg leben etwa 13 000 Afghanen. Da fällt es etwas leichter, Gastfamilien für die Kinder zu finden. Demnächst will die Herzbrücke sogar von Düsseldorf aus einen Jet chartern, um Kinder nach Deutschland zu fliegen und andere wieder zurückzubringen.
Der acht Jahre alte Modjibullah machte auf Rieß einen "beinahe debilen Eindruck". Irgendwie nahm der Kleine seine Umgebung nicht richtig wahr und verhielt sich seltsam. Ihn am Herzen zu operieren war das eine. "Aber während seines Aufenthaltes in Deutschland stellten wir fest, dass er einen Ohrenschaden hatte, der sich leicht operieren ließ." Die Ärzte gaben seinem Leben buchstäblich neuen Sinn. Er kann jetzt hören.