Stefan Rehm, Vorstandsmitglied der Diakonie Hamburg, will jetzt einen runden Tisch, um mit Vertretern der Stadt und Experten Lösungen zu erarbeiten.

Pflegenotstand in Hamburg: Es mangelt an Fachkräften. Etwa 2000, so schätzen Experten. Schon jetzt könnten die 13 000 pflegebedürftigen Senioren in den 144 Hamburger Pflegeheimen nicht immer angemessen versorgt werden. "Wir müssen dringend etwas ändern, sonst droht der Kollaps", sagt Stefan Rehm (46), Vorstandsmitglied der Diakonie Hamburg. "Die Situation ist katastrophal", sagt auch Michael Mierbach aus der Fachgruppe Altenpflege der Gewerkschaft Ver.di. Der Personalmangel habe vor allem zwei Gründe: "Pflegekassen und Staat stellen zu wenig Geld für Pflege zur Verfügung", sagt Diakonie-Sprecherin Katharina Weyandt. "Zudem fehlt in der Altenpflege der Nachwuchs, weil der Beruf gesellschaftlich wenig anerkannt, aber oft sehr hart ist." Ein Altenpfleger verdient nach Tarif monatlich 2200 Euro brutto.

Hintergrund: Über den Zustand in deutschen Pflegeheimen ist eine Debatte entbrannt, nachdem der Pflegequalitätsbericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) gravierende Mängel dokumentiert hatte. Ein Gutachten über 40 000 Senioren in 8000 Pflegeheimen hatte ergeben, dass mehr als ein Drittel der Heimbewohner (34,6 Prozent) in Deutschland nicht ausreichend mit Essen und Getränken versorgt werden. 35 Prozent werden laut MDS-Bericht nicht häufig genug umgebettet, liegen sich daher wund.

Dabei sei die Schuld nicht bei den Pflegekräften zu suchen, so die Hamburger Experten. Mierbach: "Das Personal kann den Fachkräftemangel einfach nicht mehr auffangen." Nach den Vorgaben der Sozialbehörde soll sich ein Pfleger um 1,6 Senioren aus der höchsten Pflegestufe III kümmern. In Wahrheit versorge ein Altenpfleger jedoch deutlich mehr Bedürftige, weiß Michael Mierbach.

"Diese Normen sind in der Praxis genauso utopisch wie Zeitfenster für das Waschen oder Füttern der Bewohner", sagt Ilona Wolf (56), leitende Altenpflegerin im Eppendorfer Carl-Ninck-Haus, einem Pflegeheim der Stiftung Anscharhöhe. "Es gibt bei uns nur eine Regel, an die wir uns halten", sagt Wolf. "Jeder Bewohner wird top versorgt. Egal, wie viele Minuten das dauert."

Zeit gebe es jedoch immer zu wenig, sagt Diakonie-Vorstand Rehm: "Theoretisch stehen einem Heimbewohner der Pflegestufe III 148 Minuten pro Tag zu." Praktisch sei das allerdings nicht umsetzbar. "Jeder Mensch hat schließlich unterschiedliche Bedürfnisse."

Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) versucht, mit dem vorhandenen Personal auszukommen. Lange könne es so jedoch nicht weitergehen, sagt Wolfgang Korn vom DRK Harburg. Viele Mitarbeiter seien schlicht überlastet, doch das Geld für weiteres Personal fehle. Thorsten Kerth vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) hält den enormen Verwaltungsaufwand für ein Problem. Beispiel: In einem Pflegeheim gebe es für jeden Bewohner eine mehr als 30-seitige Akte, die von den Pflegekräften geführt werden müsse. "Natürlich ist die Dokumentation notwendig", so Kerth. "Aber für das Pflegepersonal ist es eine zusätzliche Aufgabe."

Längst tobt auf dem Pflegemarkt ein regelrechter Preiskampf und Verdrängungswettbewerb. 3500 Euro kostet nach Aussage der Experten ein Pflegeplatz in einem Hamburger Pflegeheim durchschnittlich pro Monat. "Insbesodere großen Mitbewerbern geht es nur um Profit", sagt Kerth. Mit extrem günstigen Preisen würden sie den Markt kaputt machen. "Bald geht es nicht mehr darum, die Qualität der Pflege zu halten, sondern die Menschen bis zu ihrem Tod zu verwalten."

Stefan Rehm befürchtet das auch. Deshalb fordert er einen runden Tisch: Vertreter von Pflegekassen und Stadt sowie die Träger der Heime, der medizinische Dienst und Pflegewissenschaftler sollen gemeinsam eine Lösung entwickeln.

Für Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) stellt sich die Pflegesituation in Hamburg keineswegs so bedrohlich dar: "Wir lassen die Pflege in Hamburg nicht schlechtreden. Die Qualität der Einrichtungen ist durchweg gut."