Urlaub und Krankheitsfälle verschärfen die Situation noch. Markus Schreiber, Amtsleiter in Mitte: “Was sich da abspielt, ist eine Katastrophe.“
In den Kundencentern der Bezirksämter herrschen chaotische Zustände. Ob Altona, Bergedorf, Mitte oder Wilhemsburg - überall das gleiche Bild: Bürger, die bei drückender Hitze fünf Stunden auf Pässe warten müssen. Überarbeitete Angestellte. Und Vorgesetzte, die wegen totaler Überfüllung ihre Center vorzeitig schließen lassen. "Was sich da derzeit abspielt, ist eine Katastrophe", bestätigt Markus Schreiber (SPD), Leiter des Bezirksamts Mitte. "Früher hatten wir durchschnittliche Wartezeiten von elf Minuten. Jetzt kommt unter einer Dreiviertelstunde gar keiner mehr raus."
Die Hauptschuld gibt Schreiber dem neuen Softwaresystem der Kieler Firma Dataport, mit der die Bezirksämter seit Dezember 2006 arbeiten. "Es kommt ständig zu Abstürzen und Störungen. Meine Mitarbeiter sehen auf dem Schirm dann nur noch eine Eieruhr", bestätigt Rolf Graubner, Leiter des Kundencenters Mitte. Land unter auch in Altona: "Die Software macht Probleme, verzögert alles. Die Belastung ist extrem. Verschärft wird sie dadurch, dass von zwölf meiner Kollegen derzeit vier krank und weitere vier im Urlaub sind. Und das zur Hochsaison, wenn alle neue Pässe brauchen. Dieser Montag war der schlimmste Tag seit ich hier arbeite", sagt Inge Alter, Leiterin des Fachamtes Einwohnerwesen. "Drei Kollegen sind weinend zusammengebrochen, zwei musste ich nach Hause schicken. Die vielen Überstunden machen sich bemerkbar."
Doch den Kunden ergeht es nicht besser. Marlene Müller, durch ihren Rollstuhl ohnehin belastet, ist seit 10.45 Uhr vor Ort. Um 15.40 Uhr wartet sie immer noch: "Die Luft ist stickig, gegessen habe ich auch nicht genug, der Blutzuckerspiegel sinkt. Schlimm."
In Mitte stapeln sich derweil unerledigte Anträge. Heute bleibt das Center geschlossen, um "über 2000 Vorgänge abzuarbeiten. Wir kommen sonst nicht dazu", so Graubner. Die Dienstags-Regel gilt bis Ende der Sommerferien. Auch andere Ämter reagieren mit eingeschränkten Öffnungszeiten .
Der Unmut der Kunden trifft indes Sachbearbeiter wie Fabian Staade: "Die Leute laden ihren Frust bei uns ab." Zu Unrecht, wie Schreiber sagt: "Im Kundencenter arbeiten hochmotivierte Leute. Es ist ein Jammer, dass ausgerechnet sie das jetzt abkriegen." Doch auch ein Krisengipfel der Bezirksamtsleiter mit Bürgermeister Ole von Beust (CDU) Anfang Juni brachte keinen Durchbruch. Der Dataport-Vorstandsvorsitzende Matthias Kammer versprach zwar in einem Rundschreiben, das dem Abendblatt vorliegt: "Maßnahmen zur gezielten Beseitigung der zugrunde liegenden Ursachen werden vorbereitet" und kündigte für November ein Update der kränkelnden Software "OK.EWO" an. Grundsätzlich sei diese aber "für das Hamburgische Meldewesen geeignet". Schreiber bezweifelt das: "Seit der Einführung gibt es Probleme. Der Senat sollte prüfen, ob Hamburg sich weiterhin an das Unternehmen Dataport binden will." Doch eine Vertragskündigung ist erst 2013 möglich, das Unternehmen gehört der Stadt zu 44 Prozent. Jörn Riedel, Abteilungsleiter IT in der Finanzbehörde: "Da gibt es andere Möglichkeiten der Abhilfe. Wir brauchten die Software, um den neuen Anforderungen an Pässe gerecht zu werden. Die zweifelsohne existierenden Probleme sind erkannt, aber komplex."