Immer wieder gab es aufsehenerregende Taten und Tote im Milieu. Die Polizei sieht aber nicht die Gefahr eines neuen Bandenkriegs.

Die Ermittlungen der Polizei zu der Schießerei vor dem "Eros Laufhaus" auf der Reeperbahn, bei der ein Mann schwer verletzt wurde, sind noch nicht abgeschlossen. Doch eines scheint schon jetzt sicher: Zwar handelt es sich bei dem Opfer aller Wahrscheinlichkeit nach um ein Mitglied der verbotenen Rockerbande Hells Angels. Aber einen neuen Bandenkrieg um die Macht auf dem Kiez befürchten die Ermittler nicht. Doch sowohl die Schüsse vom Sonntagmorgen als auch die Zunahme von Messerstechereien werfen eine Frage auf: Wie gefährlich ist der Kiez?

Schießereien, sagt die Polizei, sind seit den Bandenkriegen in den 80er-Jahren selten geworden. "Konflikte werden mittlerweile auf geschäftliche Weise geregelt. Alle Beteiligten hielten sich an die Regeln auf St. Pauli, "da eine Konfrontation mit der Polizei unbedingt vermieden werden soll", sagt Polizeisprecher Ralf Meyer.

Doch die "alltägliche Gewalt", wie Meyer Messerstechereien und brutale Schlägereien nennt, habe zugenommen. Oft gerieten vor allem junge betrunkenen Männer aus nichtigem Anlass aneinander. "Inzwischen genügt ein falscher Blick - und schon wird zugestochen", sagt ein Ermittler zum Abendblatt. Eine Herausforderung für die Polizisten der Davidwache, die besonders am Wochenende verstärkt Präsenz auf der "Partymeile" zeigen. Dabei führen sie verstärkt "lageabhängige Kontrollen" durch. Sie dürfen also auf der Suche nach Messern und anderen Waffen Personen ohne bestimmten Verdacht kontrollieren.

Doch immer wieder gab es auch jene aufsehenerregenden Taten im Milieu, die Macht demonstrieren, potenzielle Gegner einschüchtern - oder ausschalten sollten. Beispiel: Das Massaker im Bordell Blue Night, 1996 an der Budapester Straße. Zwei Menschen starben im Kugelhagel. In eine Schießerei waren auch Mitglieder der "Marek-Bande" im Jahr 2005 verwickelt: Sie wollten dem konkurrierenden Luden "Mannheimer-Peter" eine Lektion erteilen. Seitdem herrschte im Zuhältermilieu relative Ruhe, auch wenn die Bande um Ex-Kampfsportler Carsten Marek sich derzeit vor Gericht verantworten muss. Doch das könnte sich bald ändern. Ein Kiez-Wirt: "Noch ist alles beim Alten. Aber wenn der Boss lange in den Knast muss, wittern andere Gruppen Chancen."

Eine Situation, die auch Ermittler fürchten: Immer dann, wenn in vergangenen Jahren ein Machtvakuum entstand, entwickelten sich Revierkämpfe unter den Platzhirschen, die ihre Macht seit eh und je gern mit teuren Autos, edlem Schmuck und Rücksichtslosigkeit demonstrieren. Legendär: die Jungluden- von der "Nutella-Bande" oder die "GMBH", die in den 80er-Jahren den Kiez kontrollierte. Ihre Bezeichnung verdankte sie den Vornamen der Bosse: Gerd, Mischa, Beatle und Harry. Zuhälter "Wiener Peter" engagierte Profikiller Werner Pinzner, um sich gegen die "GMBH" durchzusetzen. 1983 gab es zwei Tote bei einer Schießerei im Eros-Center. Nach den Albanern in den 90er-Jahren - die ihre Macht mit äußerster Brutalität ausbreiteten, folgten 2000 die "Hells Angels". Die Polizei beendete deren Herrschaft. Nutznießer dieses letzten großen Umbruchs: Der nach Ansicht von Milieu-Kennern (noch) amtierende Kiez-König Marek.

Zu der Schießerei war es gekommen, nachdem zwei Männer im Dollhouse in der Großen Freiheit aneinandergeraten waren. Anscheinend führten sie ihren Streit wenig später im "Laufhaus" weiter. Zunächst hieß es, dass ein 26-jähriger polizeibekannter Mann geschossen hätte. Dann stellte sich heraus: Für die Tatzeit hat er ein Alibi. Zum Vorfall schweigt er. Auch der 42-jährige verletzte "Höllenengel" schweigt bislang beharrlich - wie im Milieu üblich.