Wasserflugzeug: Nach Absturz erliegt auch Pilot Verletzungen - wer sind die weiteren Opfer? Für Tostedter Vorwerk-Chef und Bremer Sterne-Koch war der Flug ein Geschenk. Nancy H. verließ mit ihrem Sohn (2) kurz vor dem Start die Unglücksmaschine.
Für einen Zweijährigen war der Lärm der Motoren gleich am Anfang zu laut - seine Mutter stieg mit ihm aus, sie und das Kind überlebten. Ein 63jähriger wollte eigentlich schon am Sonnabend den Rundflug über Hamburg antreten, dann mußte er unerwartet arbeiten, stieg erst am Sonntag in das Wasserflugzeug - und starb in den Trümmern auf den Veddeler Gleisen. Der Absturz des Hafenfliegers von Pilot Jörg Steber: Scheinbar willkürlich schlug das Schicksal am Sonntag vormittag zu, Zufälligkeiten entschieden über Leben und Tod. Wer sind die Opfer dieser unfaßbaren Tragödie?
Es waren Minuten, die über das Schicksal einer ganzen Familie entschieden: Eigentlich wollten am Sonntag auch die Mutter und der kleine Bruder von Aaron H. (12), der bei dem Absturz ums Leben kam, an dem Rundflug mit dem Wasserflugzeug teilnehmen. Es ist kurz vor 10.30 Uhr, als Nancy H. (38) und der kleine Nathan (2) schon im Hafenflieger sitzen. Zusammen mit Aaron, der den Flug zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und Nancys Lebensgefährten Jürgen Z. (38).
Doch für Nathan ist es zu laut, die Mutter klettert mit dem Kleinkind wieder aus dem Wasserflugzeug. Eine Entscheidung, die den beiden mit größter Wahrscheinlichkeit das Leben gerettet hat. Um 10.38 Uhr startet der Flieger.
Nancy H., ihr jüngster Sohn und andere Angehörige von Passagieren warten auf dem Ponton auf die Rückkehr. Plötzlich sehen sie in der Ferne einen Rauchpilz in die Luft steigen. Dann die schreckliche Nachricht: Das Wasserflugzeug ist auf der Veddel abgestürzt. Minutenlang Bangen, Zittern, Hoffen. Zwei Passagiere hätten überlebt, heißt es irgendwann, doch wer?
Nancy H. erfährt, daß ihr Sohn Aaron, ein fröhlicher Junge, der in seiner Freizeit im Kindertheater spielte, tot ist. Diese schreckliche Nachricht bekommen auch die Angehörigen von drei weiteren Passagieren. Aarons Stiefvater Jürgen Z. hat überlebt, mit 40prozentigen Verbrennungen. Auch Pilot Jörg Steber (51) hat überlebt, mit 80prozentigen Verbrennungen - doch er stirbt in der Nacht zu Montag.
Familienvater Jürgen Z. ist jetzt der einzige Überlebende - er liegt auf der Spezialstation des Unfallkrankenhauses Boberg. Seine Chancen, weiter zu überleben, liegen nach Einschätzung von Experten bei rund 60 Prozent.
Den Absturz der De Havilland Beaver DHC-2 - auch die Familie eines anderen Opfers mußte ihn am Sonntag miterleben, auch sie hatte ihm den Flug geschenkt: Rüdiger K. (63), Chefkoch des Bremer Feinschmecker-Restaurants "Grashoffs Bistro". Er wollte, so heißt es, eigentlich bereits am Sonnabend mit der Maschine fliegen, dann aber mußte der Koch am Herd stehen - und stieg erst am Sonntag morgen in die Unglücksmaschine.
Seit mehr als 40 Jahren hatte K. in dem Restaurant gearbeitet, das lange sogar einen Michelin-Stern besaß. Der gebürtige Elsässer bekochte dabei auch viele Prominente, servierte etwa Stammgast Loriot seine Spezialitäten wie Hummer mit Spaghetti oder ein Gratin vom Eisbein. "Er hat mit unglaublicher Konstanz all die Jahre gekocht und war ein sehr sympathischer, bodenständiger Mensch", sagt Heinz Holtgrefe, Bremer Gastronomieexperte des "Weser-Kuriers". K., passionierter Radfahrer, der jeden Tag die zehn Kilometer von seinem Einfamilienhaus in einem Bremer Vorort in die Altstadt radelte, stand ein Jahr vor seinem Ruhestand.
Der 63jährige hinterläßt eine Frau und einen erwachsenen Sohn, der in Hamburg wohnt. Und er erlebt nicht mehr, wie es ist, Großvater zu werden: Seine Schwiegertochter ist schwanger.
Ein weiteres Opfer - er ist eigentlich selbst einer, der im Ernstfall das Leben anderer Menschen rettet: Wilhelm R. aus einem Dorf bei Göttingen engagiert sich bei der Freiwilligen Feuerwehr. Der Handwerker hinterläßt ebenfalls eine Familie.
Im niedersächsischen Tostedt zeigen die Mitarbeiter des Unternehmens Friedrich Vorwerk Rohrleitungsbau am Tag nach dem Absturz, bei dem ihr Chef Peter T. starb, ihre Hilflosigkeit und Trauer. "Wir versuchen, das Unfaßbare zu begreifen", sagen die Mitarbeiter immer wieder. Bürgermeister Günter Weiß (CDU): "Er war der Macher, der Unternehmer, der alles zusammenhielt." Für das Unternehmen sei noch nicht absehbar, wie sich der Verlust auswirken werde, hieß es. T. unterstützte als Sponsor die Bundesliga-Tischtennis-Spielerinnen des MTV Tostedt . T. hatte sich laut Weiß so auf den Flug gefreut. Auch Peter T. hatte ihn geschenkt bekommen: Von seiner Tochter zum Geburtstag.