Der SPD-Fraktionsvorsitzende schließt 2012 eine rot-rote Koalition nicht aus. Für CDU-Finanzsenator Michael Freytag empfindet er “persönlich nur noch Mitleid“.

Hamburger Abendblatt:

Wie sieht Ihre Bilanz nach einem Jahr Schwarz-Grün aus?

Michael Neumann:

Es fällt auf, wie sehr sich Grüne, CDU und Bürgermeister um Harmonie bemühen. Und es hat sich zwischenmenschlich zwischen den Handelnden etwas entwickelt. Das ist überraschend. Was die Ergebnisse betrifft, ist die Bilanz mäßig durchwachsen. Über die Resultate der Arbeit müssen letztlich die Wähler entscheiden.



Abendblatt:

Nanu, Sie sind ja so milde gestimmt ...

Neumann:

Immer das gleiche Spiel: Eigenlob vom Bürgermeister - überzogene Kritik von mir? Das nehmen die Leute einem nicht ab. Aber natürlich gibt es vieles, was schlecht läuft. In Sachen Moorburg, Haushalts- und Bildungspolitik leistet sich der Beust-Senat Dinge, von denen im Wahlkampf nie die Rede war. Ich denke, viele Wähler reiben sich verwundert die Augen. Sie erleben jetzt, dass die CDU ihre Schulpolitik auf dem schwarz-grünen Altar opfert und dass die grüne Umweltsenatorin im Falle Moorburg ein Kraftwerk mitmacht, das uns noch einen jahrelangen Rechtsstreit bescheren wird. Und was tut der Bürgermeister? Er redet sich und anderen das alles schön.



Abendblatt:

Die jüngste Umfrage von Ende Februar hat gezeigt, dass die CDU abrutschte, die SPD davon aber nicht profitieren konnte. Woran liegt das?

Neumann:

Jedenfalls nicht an unserer Arbeit. In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir es geschafft, unsere Kraft auf den Senat zu konzentrieren, und prompt haben die Damen und Herren Probleme. Stichworte: HSH Nordbank, Finanz- und Bildungspolitik. Das zeigt: Wenn wir geschlossen sind und uns den Senat vornehmen, machen wir einen guten Job.



Abendblatt:

Ihre Selbstkritik bezieht sich auf den SPD-Kandidatenstreit Eimsbüttel ...

Neumann:

Es gab einige Irrungen und Wirrungen, da gibt es gar nichts zu beschönigen. Unsere Aufgabe ist es, Alternativen zum Senat zu entwickeln. Es gab unrühmliche Geschichten, aber ich bin froh, dass wir das zu den Akten gelegt haben und nach vorne schauen.



Abendblatt:

Warum sollen die Bürger jetzt SPD wählen?

Neumann:

Weil man sich auf uns verlassen kann. Wir stehen zu wichtigen Infrastrukturprojekten, von der Elbvertiefung bis hin zur HSH Nordbank. Wir machen nach der Wahl, was wir vor der Wahl versprochen haben. Wir stehen für Berechenbarkeit - auch in der Bildungspolitik. Den Eltern sind in der Schulpolitik von der CDU vor der Wahl Versprechungen gemacht worden, die nun nicht gehalten werden. Wenn man ehrlich ist, tanzt die GAL der CDU da jetzt auf der Nase rum.



Abendblatt:

Wäre die SPD der bessere Koalitionspartner?

Neumann:

Ich werbe nach wie vor für ein Bündnis mit den Grünen, aber nicht um jeden Preis. Wir hätten uns von der GAL nicht so über den Tisch ziehen lassen wie die CDU. Sie hat um der Macht willen vieles preisgegeben, und ich finde: Da muss es Grenzen geben. Die CDU wird bei der Bundestagswahl die Quittung insbesondere für ihre Schulpolitik bekommen - garantiert.



Abendblatt:

Letztlich kann die SPD nicht davon profitieren, dass die Schulreform so umstritten ist. Liegt es nicht auch daran, dass Sie an der Schule für alle als Fernziel festhalten?

Neumann:

Entscheidend ist, wie man vorgeht. Wenn wir uns dafür entscheiden, Gymnasien und starke Stadtteilschulen zu entwickeln, werden die ersten Kinder dort in gut 15 Jahren ihr Abitur machen. Und dann muss man sehen, ob es eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für die Schule für alle gibt. Um die zu schaffen, werden wir aber sicher länger als eine Schülergeneration benötigen. Das sind Perspektiven mit dem entsprechenden Zeitrahmen. Der Beust-Senat bricht die Schulreform jetzt im Hauruckverfahren übers Knie. Nach dem Motto: ,Wir haben nur vier Jahre Zeit, wir müssen das jetzt aufs Gleis schieben'.



Abendblatt:

Was ist das Ziel des Untersuchungsausschusses zur HSH Nordbank?

Neumann:

Wir wollen feststellen, wer im Senat die Verantwortung für die Fehler trägt. Und aus denen müssen wir lernen, damit Hamburg nicht wieder in so eine Falle gerät.



Abendblatt:

Ole von Beust will auch die Verantwortlichkeit der SPD zur Sprache bringen.

Neumann:

Ich habe überhaupt keine Sorge, wenn da auch die früheren Finanzsenatoren Ortwin Runde und Ingrid Nümann-Seidewinkel vorgeladen werden. Unser Aufklärungsinteresse ist ohnehin nicht vom Parteibuch der Akteure abhängig. Das haben wir oft bewiesen - etwa beim PUA Feuerbergstraße.



Abendblatt:

Die SPD wirft von Beust vor, nicht genug Führung in der Krise gezeigt zu haben. Was konkret hätte er denn machen sollen?

Neumann:

Er hätte sich drum kümmern müssen. Wir brauchen einen Bürgermeister, der handelt. Es ist schon interessant, dass sich Herr von Beust zu einer marxistischen, antikapitalistischen Kritik hinreißen lässt, aber zur HSH-Krise nicht einmal das Wort ergriffen hat. Bei schönem Wetter kann jeder segeln. Erst bei schwerer See zeigt sich, was einer kann. Was Herr von Beust bislang geleistet hat, reicht vielleicht für eine Bootsfahrt in lauer Sommernacht.



Abendblatt:

Die SPD hat dem Rettungspaket in der Bürgerschaft zugestimmt. Danach hielt der Finanzsenator eine geradezu höhnische Rede auf die SPD. Wie beurteilen Sie dieses Verhalten?

Neumann:

Die Art, wie Herr Freytag sich darstellt, finden auch viele in seiner Partei nicht klug. Das sollte ihn nachdenklich stimmen. Für ihn persönlich habe ich nur Mitleid. Zu allen Themen spult der immer wieder das Gleiche ab. Das aber ist sein Problem.



Abendblatt:

Glauben Sie, dass er im Amt bleiben wird?

Neumann:

Freytag ist als Landesvorsitzender und als Finanzsenator schwer angeschlagen. Wenn erst mal die Treueschwüre kommen, weiß man, dass es zu Ende geht. Ich habe gehört, es sei bereits ein Headhunter im Einsatz, der einen neuen Job für ihn suchen soll.



Abendblatt:

SPD und Linke stimmen oft gemeinsam, ist eine Koalition denkbar?

Neumann:

Jenseits ihrer politischen Überzeugungen sind die Abgeordneten sympathisch. Aber mein Traum wäre eine Koalition nicht.



Abendblatt:

Sie schließen also eine Koalition nach der nächsten Wahl nicht aus?

Neumann:

Es muss vor der Wahl eine klare Aussage geben, und die muss nach der Wahl gelten. Die Aussage muss entweder lauten, dass man es sich vorstellen kann oder nicht. Es hilft nichts rumzueiern.



Abendblatt:

Was heißt das?

Neumann:

Es hängt von der Linkspartei ab, ob sie bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Wenn die auf dem Spielfeld ist, um das mal in der Fußballsprache zu sagen, ist sie auch Gesprächspartner. Es hängt aber auch davon ab, welche Position meine Partei zu Thema Linkspartei entwickelt, welche Erfahrungen in den Bezirken gesammelt wurden. Und es hängt schlussendlich auch von der Persönlichkeit und der Glaubwürdigkeit des Spitzenkandidaten ab.



Abendblatt:

2008 hatte die SPD sich gegen eine Koalition mit den Linken ausgesprochen. Bereuen Sie das jetzt?

Neumann:

Nein. Wir stehen zu unserem Wort. Wir hätten nach der letzten Bürgerschaftswahl ein rot-rot-grünes Bündnis machen können. Die GALier Kerstan und Maaß waren dafür. Wir haben dagegen Wort gehalten. Man muss nicht alles machen, was man könnte.



Abendblatt:

Werden Sie 2012 Spitzenkandidat?

Neumann:

Wir werden das rechtzeitig vor der Wahl entscheiden. Der Parteivorsitzende und der Fraktionsvorsitzende sind da natürlich - neben anderen - immer Kandidaten, die infrage kommen.



Abendblatt:

Wie ist Ihre Stimmung nach acht Jahren Opposition?

Neumann:

Gut. Ich finde aber, dass wir jetzt lange genug in der Opposition sind. Ich möchte Politik gestalten - und bin dazu bereit.