Senatspräses sieht 2009 als “schwierigstes Jahr seit langer Zeit“. Die Koalition sei dagegen sehr stabil.

Hamburger Abendblatt:

Ein Jahr Schwarz-Grün ist fast vorbei. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Ole von Beust:

Erstens lief die Zusammenarbeit im Alltag von Beginn an vertrauensvoll, diskret und an der Sache orientiert. Wir hatten in der Koalition weder Reibereien noch Riesenkrach. Zweitens haben wir eine Reihe von Dingen geschafft: Wir haben einen Doppelhaushalt aufgestellt. Wir haben als erstes Bundesland ein Konjunkturprogramm aufgelegt - insgesamt 550 Millionen Euro. Wir haben die Trassenführung der Hafenquerspange festgelegt, und der Bau der Ortsumgehung Finkenwerder kann nun wirklich beginnen. Und wir haben Pläne für einen möglichen Umzug der Universität zur Diskussion gestellt und Details der Schulreform präsentiert.



Abendblatt:

Was hat Sie am meisten überrascht?

Von Beust:

Wohl tatsächlich, dass wir noch keinen Krach hatten. Bei anderen Koalitionen ist die Euphorie des Anfangs häufig schnell verflogen, schauen Sie nach Berlin. Unser Alltag in der Zusammenarbeit kennt nicht die üblichen Gesichtswahrungskämpfe, den Neid auf Erfolge des anderen und Eigenprofilierungssüchte. Es läuft partnerschaftlich und unkompliziert.



Abendblatt:

Und 2015 kommt die Vollfusion?

Von Beust (lacht):

Nein, das mit Sicherheit nicht.



Abendblatt:

Was unterscheidet diese Koalition von dem Bündnis mit Schill-Partei und FDP?

Von Beust:

Damals war die Spannbreite erheblich größer. Und: Weder die Kollegen der Schill-Partei noch die der FDP waren politikerprobt. Die Grünen sind dagegen politische Profis. Die Diskussion und Meinungsbildung nach dem Gerichtsverfahren in Sachen Kohlekraftwerk Moorburg beispielsweise lief sehr professionell, obwohl es ein für die GAL sehr schwieriges Thema war.



Abendblatt:

Da Sie so begeistert von Schwarz-Grün sind, warum nicht auf Bundesebene?

Von Beust:

Wir hier können pragmatisch arbeiten, dort geht es doch mehr um grundsätzliche Fragen. So müssen wir in Hamburg nicht über die Zukunft der Kernkraftwerke entscheiden, wo die Positionen sehr weit auseinanderliegen. Ich finde es richtig, dass CDU/CSU im Bund sagen, unser Wunschpartner ist die FDP. Dabei wird aber auch das kein Zuckerschlecken. Die FDP verspricht etwa auf der einen Seite Steuererleichterungen sofort für alle und fordert auf der anderen Seite die sofortige Sanierung der öffentlichen Haushalte. Das ist schon sehr beherzt.



Abendblatt:

Und wenn Angela Merkel Sie um einen Rat bittet angesichts Ihrer Hamburger Erfahrungen?

Von Beust:

Ich würde niemals nie sagen, denn es ist immer besser, mehrere Bündnisoptionen zu haben - auch auf Bundesebene.



Abendblatt:

Angesichts der Riesenprobleme, die es jetzt gibt: Ist die Stimmung bei Schwarz-Grün besser als die wirkliche Lage?

Von Beust:

Nein. Aber die Art, wie wir versuchen, Lösungen zu finden, erleichtert die politische Arbeit. Wir stehen vermutlich wirtschaftlich vor dem schwierigsten Jahr seit langer, langer Zeit. Hamburg droht vom Globalisierungsgewinner in Teilen zum Globalisierungsverlierer zu werden. Die Branchen, die jetzt besonders leiden, sind bei uns angesiedelt: Hafen, Logistik, Außenhandel, Flugzeugbau, Schiffsbau und -zulieferung.



Abendblatt:

Wann erwarten Sie denn eine Besserung?

Von Beust:

Ich hoffe, dass es Ende 2010/Beginn 2011 erkennbar wieder aufwärts geht. Wenn ich sehe, was derzeit in China oder in den Vereinigten Staaten passiert, dann glaube ich, dass es relativ lange dauern wird. Ich tue alles, dass es schneller bergauf geht. Stichwort Konjunkturprogramm. Aber es bringt doch niemandem etwas, künstlich Optimismus zu erzeugen. Denn wahr ist: Hamburg ist extrem vom Welthandel abhängig, und der steckt in großen Schwierigkeiten.



Abendblatt:

Stichwort HSH Nordbank: Altbürgermeister Peter Schulz hat Ihnen gerade vorgeworfen, nicht genug Führungskraft in dieser Krise bewiesen zu haben.

Von Beust:

Ich schätze Herrn Schulz sehr, aber was hätte ich anders machen sollen und vor allem können? Es ist ein Rettungspaket verabschiedet worden, zu dem es offensichtlich keinerlei wirkliche Alternative gibt. Und ich sehe es nicht als Aufgabe des Regierungschefs an, öffentlich rumzuposaunen, sondern die Probleme anzugehen. Das ist geschehen. Vielleicht ist die Meinung von Herrn Schulz auf etwas oberflächlicher Lektüre gegründet.



Abendblatt:

Hätte und hat Finanzsenator Michael Freytag, der nun im Kreuzfeuer der Kritik steht, Ihre öffentliche Unterstützung besonders nötig gehabt?

Von Beust:

Ich kenne Michael Freytag als einen durchsetzungsstarken Politiker mit sehr breitem Kreuz. Er ist eine starke Persönlichkeit und braucht nicht jedes Mal die segnende Hand des Bürgermeisters, wenn es Schwierigkeiten gibt. Er kann kämpfen, aber er weiß auch, dass ich voll hinter ihm stehe. Ich respektiere seine Arbeit gerade beim Erarbeiten des Rettungspakets ausgesprochen.



Abendblatt:

Heißt der Finanzsenator auch Ende des Jahres Michael Freytag?

Von Beust:

Davon gehe ich aus.



Abendblatt:

Die SPD hat dem Rettungspaket für die Bank in der Bürgerschaft zugestimmt. Nötigt Ihnen das Respekt ab?

Von Beust:

Ja. Für die Opposition wäre es reizvoll gewesen, sich einen weißen Fuß zu machen. Aber ich verkenne natürlich auch nicht die strategische Absicht: Die SPD macht das nicht allein aus inhaltlichen Gründen, sondern auch um zu zeigen, wie verantwortungsbewusst sie ist.



Abendblatt:

Andererseits hilft Ihnen das Ja der SPD zum Rettungspaket doch auch: Die Unterstützung wird nun parlamentarisch sehr breit getragen.

Von Beust:

Ja sicher. Wenn es Probleme geben sollte, kann außer den Linken niemand sagen, er wäre nicht im Boot gewesen.



Abendblatt:

Die SPD will aber auch in einem Untersuchungsausschuss klären, wie es zu dem Bank-Desaster kam und wer dafür verantwortlich ist. Ist das nachvollziehbar?

Von Beust:

Ja.



Abendblatt:

Hätten Sie als Oppositionschef in vergleichbarer Lage auch einen PUA gefordert?

Von Beust:

Mit Sicherheit.



Abendblatt:

Wie weit sollte die Untersuchung zurückreichen?

Von Beust:

Die Untersuchung sollte nach meiner Einschätzung bis zu der Entscheidung zurückreichen, in das Kreditersatzgeschäft einzusteigen. Nebenbei, es gab ja damals Gründe, so zu verfahren, es gab dafür lange gute Zinsen und Dividenden. Aber hinterher ist man immer klüger.



Abendblatt:

Wann ist Ihnen aufgefallen, dass es brennt bei der HSH Nordbank?

Von Beust:

Bis ins zweite Quartal 2008 sah es so aus, dass die Bank vernünftige Gewinne macht. Es gab einmal einen Vorwurf im Wahlkampf. Dabei ging es um die Verschiebung der Bilanzpressekonferenz der Bank auf die Zeit nach der Bürgerschaftswahl. Damals habe ich mich gleich erkundigt, ob es Grund zur Besorgnis gibt. Die Antwort lautete: nein.



Abendblatt:

Der zurückgetretene schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Marnette sagt, die drei Milliarden Euro aus dem Rettungspaket für die HSH Nordbank seien Ende des Jahres verfrühstückt.

Von Beust:

Herr Marnette hat dem Rettungspaket zugestimmt. Substanzielle Bedenken hat er bei den gemeinsamen Terminen nicht erkennen lassen. Ich gehe davon aus, dass auch er der Auffassung war, dass die Entscheidung vernünftig ist.



Abendblatt:

Abgesehen von der Finanzkrise dürfte die Schulreform der größte Brocken sein, der vor Schwarz-Grün liegt. Wagen Sie mal eine Prognose: Klappt die Reform?

Von Beust:

Ja. Spätestens zur nächsten Wahl werden uns auch scharfe Kritiker sagen, dass sie sich geirrt haben. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Es muss deutlich werden, dass es um mehr Qualität geht. Sechs Jahre gemeinsames Lernen - davon drei Jahre ganz gemeinsam und drei Jahre unter Einbeziehung der weiterführenden Schulen - führt dazu, dass die Leistungsstarken ihre Stärken ausbauen können und die Schwächeren besser gefördert werden.



Abendblatt:

Es gibt ein Volksbegehren gegen die Primarschule und Proteste. Wann würden Sie die Reißleine ziehen, um Schaden von der Stadt abzuwenden?

Von Beust:

Auf hypothetische Fragen antworte ich nicht. Ich gehe davon aus, dass wir die Menschen überzeugen können. Schon jetzt gibt es eine Mehrheit von 60 Prozent der Eltern mit schulpflichtigen Kindern, die für die Primarschule sind. Im Übrigen: Im Koalitionsvertrag steht, dass wir Volksentscheide akzeptieren.



Abendblatt:

Das Problem ist doch auch Ihre eigene Partei, in der es Gegner der Reform gibt.

Von Beust:

Das stimmt. Andererseits hat der Parteitag den Koalitionsvertrag einstimmig unterstützt. Wir sind uns einig darin, dass die Schulreform nicht zur Disposition steht, es aber durchaus um das Wie geht. So bin ich dafür, auch die Höchstgrenze der Klassengrößen für Gymnasien gesetzlich festzuschreiben, wie das bei Primar- und Stadtteilschulen vorgesehen ist, und die Schließung von Gymnasien mit aller Kraft zu vermeiden.



Abendblatt:

Wie groß sollen die Gymnasialklassen maximal sein?

Von Beust:

27 oder 28 Schüler.



Abendblatt:

Warum mehr als an Stadtteilschulen, an denen nur 25 Schüler vorgesehen sind?

Von Beust:

Weil dort die Klassenstruktur homogener ist. Die Entscheidung für die Aufnahme werden in Zukunft sehr sachkundig die Lehrerkonferenzen treffen. An Stadtteilschulen ist der Integrationsbedarf höher.



Abendblatt:

Sie sind als Umweltminister im Gespräch, haben aber einen Wechsel ins Bundeskabinett bislang immer zu 100 Prozent ausgeschlossen. Jetzt sagen Sie: Man soll niemals nie sagen. Eine Akzentverschiebung?

Von Beust:

Es gibt weder eine Anfrage noch meinen Wunsch oder gar Frustrationserscheinungen hier. Mich drängt nichts nach Berlin. Im Gegenteil: Ich finde meine Aufgabe hier persönlich sehr viel befriedigender als eine doch eher abstrakte Tätigkeit in der mir fremden Berliner Atmosphäre.



Abendblatt:

Schließen Sie aus, dass Sie im Herbst Ihre politische Karriere in Berlin fortsetzen?

Von Beust:

Zum jetzigen Zeitpunkt ja.